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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 7.1902, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 47
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https://doi.org/10.11588/diglit.3885#0344

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Nr. 47

JUGEND

1902

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^t. Oeorg der Drachentödter

oft unentrinnbarste Rache von Schicksalsmächten, das;
sie uns die Substanz unserer Wünsche zubilligen und
sie nur durd> ihr Mehr oder Weniger in ihr Gegcn-
thcil und ihre Karikatur verkehren.

Ausrede

Man hat vielfach versucht, ein menschliches Ge-
bahreu auszufiuden, zu dem es in dem Thierischeu
gar keine Analogie gäbe. Aber selbst die Sprache
und die Staatsbildung, ja die Sittlichkeit und die
Kunst finden dumpfe Ansätze ihrer Entwicklung im
nntcrmenschlichen Dasein, An einem Punkt aber
scheint mir die Distanz zlvischcn Mensch und Thier
nicht durch die leiseste Annäherung verringert zu
sein. Manche Thiere mögen ein dunkles Gefühl ge-
Ihanen Unrechts haben, — aber kein Thier entschuldigt
sich! Die Ausrede, die die Schuld noch zum Ver-
dienst ausputzt, ist das ausschließliche geistige Eigen-
thum des Menschen, an das auch die höchsten Thiere
sich nicht hcranivagen, während es dem niedrigsten
Menschen als Patcngeschcnk der Gattung in die Wiege
gelegt ist. Dies erscheint mir als die robusteste Leistung
des menschlichen Geistes, Was ist dagegen der Hebel
des Archimedes, der nur den Erdkörper von seiner
Stelle rücken konnte? Hier wird mit der ganzen
sittlichen Welt unumschränkt geschaltet, in der ^Aus-
rede biegen wir alle moralische Wirklichkeit in die
Form unseres souveraincn Willens, Und das ist das
Mhstischste, daß diese allereigenste That des mensch-
lichen Geistes auf seinen niederen Stufen nicht nur
ebenso, sondern reicher und reiner blüht, als auf
seinen höchsten; sie ist daS Patrimonium der Ent-
erbten im Geiste, eine tiefe innere Gerechtigkeit hat
das Unvergleichlichste des Menschengeistes am meisten
Denen gegönnt, die selbst die Vergleichlichstcn sind,

Dieser Güte, mit der unser Geschlecht gebildet ist,
mußte id) denken, als ich in einem Reisewerk von
einem indianischen Stamme las, der seine Abkunft
von einem Bären herleitete. Sie verehren jeden
Bären als ihren Ahnen, der ihnen heilig ist. Aber
dennoch schmeckt Bärcnfleisch gut. Wenn sie also
dennoch diesen heiligen Ahnen in einem Einzelbeispiel
getödtet haben, so bereiten sic ihm ein Opfermahl
ans seinem eigenen Fleisch und halten ihm eine Rede:
„Du sichst, daß unsere Kinder Hunger leiden. Sie
lieben dich so, daß sie dich durchaus ihren Körpern
einverleiben wollen. Kann cs für den großen Bären
cttvas Schöneres geben, als von den Kindern des

großen Bären verzehrt zu werden?"-

Als ich bis hierher geschrieben hatte, las ich dies
einem Freund vor. Der aber meinte, das sei wieder
einmal echt menschlicher Größenwahn, daß mir die
Thiere für der Ausrede unfähig hielten, die Ausrede
sei eine kosmische und keine bloß menschliche That-
sache. Als er sich aber meinen Gegengründen schon
ergeben mußte, sagte er: „Wie? Habe ich nicht mit
eigenen Ohren gehört, was eine Löivin antwortete,
die ihre Jungen anfgefressen hatte und der nian dar-
über Vorwürfe machte? Ich that es, sagte sie, um
mich meiner Familie zu erhalten!" 8.

Julius Diez (München)

fflädchcnsinn

Die jungen Mädchen in ihrem lieblichen Stolz
gefallen sich oft in dem pathetischen Ausspruch:
„Den ich liebe, dem will id; fitr’s ganze Leben
angehören!" — Sie überschätzen die Ansprüche
der Männer, ein so großes Geschenk verlangen
die ja gar nicht!

» » »

Lin Mann liebte ein wunderschönes, elegantes,
modernes, weibliches Wesen. Seit einem Iahl
oder länger, Hundert Briefe hatten sie gewechselt,
es war kein Zweifel möglich, sie erwiderte seine
brennende Leidenschaft. Sie schmachteten »ach
einander. Und eines Tages fügte es der Glücks -
znfall, daß er die Verehrte, Vergötterte, Angebetete
nach einem Souper, im wagen nach Hanfe brin-
gen durfte.

Lr küßte sie leidenschaftlich.

„Sie verdrücken mir ja den Hut!!!" rief sic
ein über das andere Mal, besorgt und zürnend.

1*. v. H.

Legende

von Unatole Cöncton

Ich schreite einsam noch durch das Gelände —

Doch reden meine Verse jetzt fdjuii dicke Bände,
Wenn ich nur Jemand fände,

Der mit mir rannte dort dnrd) jene Wände!

Ich bin zu Ende —

Und fdjreite langsam weiter fort durd> das Gelände,

Legende.
Register
Anatole Töneton: Legende
Julius Diez: Vignette
Julius Diez: Sankt Georg der Drachentödter
P. v. S.: Mädchensinn
 
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