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1902

JUGEND

Nr.' 49

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4

in wundervolles Gebäude — der Gipfel des
Geschmacks, lieber dem ksauptportal leuchten
in goldenen Lettern die beherzigenswerthen Worte:
"i)hr Jünglinge! Seid immer eingedenk,
daß jeder von Euch den schwarzen Adler-
orden im Malkasten mit sich trägt!"

Ich betrat das Vesti-
bule, wo sich ein alter ehr-
würdiger Kuuftiuvalide
erbot, den Cicerone zu
spielen. Er hatte ein höchst
distinguirtes Exterieur,
da er drei Generationen
hindurch de» Akademie-
direktoren als Bartmodell
bei Darstellung allerhöch-
ster Herrschaften gedient
hatte.

Es war die Zeit der üblichen Morgenandacht.
Wir folgten dem Strome der Akademiker in die
stilvolle Aula hinein. Es war eine kurze, aber
eindrucksvolle Feier. Nach dem Choral „Lobe den
Herrn," der allmählich in die weihevollen Klänge
des „Saug an Aegir" überging und mH den
Schlußmotiven des „Preußenliedes" endete, (eine
kunstvolle Komposition eines Freischülers der Mu-
sikabtheilung) betrat ein Professor die Cathedra
und gedachte in kraftvollen Worten des Tages,
an welchem vor Jahren Blücher den Rheinüber-
gang ausführte.

„Die Genieklasse," flüsterte mir mein Führer
zu, als wir den Nebenraum betraten. „Sie steht
unter Leitung des Professor Schnackfuß. Hier
werden nur Schüler mit ganz außerordentlicher
Auffassungskraft und der Qualifikation zum Re-
serveoffizier ausgenommen. Einige wenige, vom
Lehrer leicht hingekritzelte Bleistiftstriche müssen
den: Eleven zur Ausführung eines großen,
allegorischen Gemäldes genügen. Sie machen
aber alle vorzügliche Carriere!"

Ueber einen kleinen fjof gelangten wir tu oie
„Abtheilung für Plastische Kunst." Lin
liebenswürdiger Gberbildhauer, dessen Brust die
Ehrenzeichen sämmtlicher deutschen Bundesstaaten
und der drei Hansastädte zierten, übernahm hier
die Führung. —

„Wir sind von einer kolossalen Leistungsfähig-
keit" leitete er feinen Dortrag ein, „wenn Tag
und Nacht gearbeitet wird, können wir pro Woche
sechs große Denkinalsanlagen, zwölf einfache
Statuen, zehn berittene Linzelfiguren und einige
Dutzend Nebenfiguren fertigstellen, vorausgesetzt
natürlich, daß die Gesichter der einzelnen Darzu-
stellenden nicht gar zu große Verschiedenheiten
aufweisen." —

In der riesigen „Knet-Halle" herrschte eine
fieberhafte Thätigkeit, da einige Dutzend tele-
graphische Aufträge eingelaufen waren.

Line sinnreiche Arbeitseiutheilnng machte mir
die Schnelligkeit der Produktion plausibel. Die

Sehr lehrreich waren übri-
gens auch die Müller'schen
Proportionstafeln. Sie
sind nach den genauesten
Schätzungen zusammengestellt
und ganz dazu augethan, bei
Schilderungen des modernen
Lebens, sofort einen Anhalt
für die „Größen"- und „Acht-
ungs-Verhältnisse der wich-
tigsten Personen zu bieten.

Lin dreimaliges Hoch,
in welches besonders die
Stipendiaten begeistert
einstimmten, beschloß den
offiziellen Actus und der
Direktor entließ die Stn-
direnden mit den einfachen
Worten: „Und nun

geht hin und t h n t
Eure Schuldigkeit!"

Wir gingen einen Cor-
ridor entlang und näher-
ten uns den Auditorien.

Im ersten wurde „Kurbrandenburgische Aesthetik"
gelesen, es interessirte mich nicht besonders. Daun
folgte eine Thür weiter Professor Schnullers
„Zukunftsmöglichkeiten der Barttracht".
Ich trat hinein. — Nachdem der Vortragende in
lichtvollen Ausführungen die zwingenden histor-
ischen Gründe der Entstehung der modernen Lart-
tracht gegeben, kam er nach einigen Ausführ-
ungen zu der Ueberzeugung, daß mannigfache,
psychologische Momente dafür sprechen, daß die
Entwicklung uothwendiger Weise zum „Adler-"
oder „Triumphbart" führen müsse.

„Wir kommen gerade recht zur Proklamirnng des
Siegers im ,Marinewett malen/" mit diesen
Worten zog mich mein Cicerone in einen benach-
barten Saal. Es war ein hochaktuelles Thema
„Panther conlra Crate" als Aufgabe gestellt
und ich muß sagen, daß mich die Art der Auf-
fassung des preisgekrönten Akademikers durchaus
verblüffte. Auf der mäßig bewegten See erblickte
man nur den „Panther" in voller Flaggenparade
— der „Crate" war bereits in den Grund gebohrt
und entzog sich dadurch der Darstellung.

letzte Hand an das Kunstwerk legte der sogenannte
„Boutonnier", ein älterer Akademiker, welcher
die Knöpfe auf die Uniformen drückte. „Ein höchst
verantwort licher Posten", bemerkte der Bildhauer.—
In der benachbarten Musikschule war die
offizielle Unterrichtszeit bereits vorüber, nur einige
Stipendiaten waren noch in der „Armeemarfch-
kompofitions-Klaffe" beschäftigt und verur-
sachten einen wahren Höllenlärm.

wir näherten uns dem Ausgange.

Das Gesehene hatte mich derart befriedigt,
daß ich schleunigst zum Sekretariat lief, um meine
sofortige Immatrikulation zu beantragen. Da
ich mich leider nicht genügend durch „Papiere"
ausweisen konnte, nahmen mich zu meinem Er-
staunen einige russische Gendarmen in Empfang
und sxedirten mich via Myslowitz-Moskan nach
Sibirien. Ein geheimes Abkommen des
Akademischen Senats mit der befreun-
deten russischen Regierung soll dieser
Maßregel zu Grunde liegen.
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Monogrammist Frosch: Illustrationen zum Text "Ein Rundgang durch die neue Akademnie der Künste
[nicht signierter Beitrag]: Ein Rundgang durch die neue Akademie in Strebersdorf
 
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