1902
JUGEND
Nr. 50
ÖClobltbätigkeitsbajar Paul Rieth
Unter den Verkäuferinnen ist auch eine rassige, junge Jüdin. Baron X, der sie eine Zeit lang mit dem Monocle zu fixieren allerhuldvollsi
geruht hatte, redete sie endlich — taktvoll wie immer — an: „Ah — möchten Sie mir nicht auch mal 'u Glas Sekt geben, schöne Sarah?"
„Sie irren, mein Herr," ward ihm a tempo zur Antwort, „die den Kamee len zu trinken gab, hieß Rebekka!"
freibeitsbotlcbaft
Bei der Einweihung der Görlitzer Ruhmeshalle
hielt der Kaiser eine Rede, die mit der Verheißung
schloß: „Freiheit für das Denken, Freiheit in der
Weiterbildung der Religion und Freiheit für unsere
wissenschaftliche Forschung: das ist die Freiheit, die
Ich dem deutschen Volke wünsche und ihm er-
kämpfen möchte."
Das war ein Wort! — Das Wort soll gelten
Und Echo finden für und für!
Und einen Hundsfott dürft ihr schelten
Den, der's nicht achtet nach Gebühr l
„Gedankenfreiheit" zu erbetteln,
wie Schillers schwärmender Marquis,
Und dann Verschwörung anzuzetteln,
Thur nimmer Norh — wir haben siel
Für Denken, Wissenschaft und Glauben
Ist Freiheit jetzt im deutschen Land,
Und wcr's versucht, uns d i e zu rauben,
Den straft des Raifers starke Häusl
Nun wagt des Glaubenshasses Schlange
Sich nimmer vor aus ihrem Loch,
Die hier, wie drüben, allzulange
Das Volk vergiftet — oder doch?
Nun darf der freie Denker wagen,
Zu leuchten mit der Wahrheit Licht
In alle Tiefen und zu sagen,
was er ergründet — oder nicht?
8>7
Und wem der Glaube nicht gegeben,
Auch der soll nun willkommen sein
An jedem Play in Staat und Leben,
wcnn's nur ein Mann ist! — Oder nein?
Ein Geistcrlenz, ein wundervoller,
Durchschimmert von der Freiheit Strahl,
Voll Dufr und Pracht erblühen soll er —
Nun rüstet Euch zum Freudcnmahll
Schon freut sich Michel ungcmcsscn,
wie ihm die gute Suppe frommr —
wird sie wohl wirklich auch gegessen,
So heiß sic aus der Lüche kommt?
lierman i.
JUGEND
Nr. 50
ÖClobltbätigkeitsbajar Paul Rieth
Unter den Verkäuferinnen ist auch eine rassige, junge Jüdin. Baron X, der sie eine Zeit lang mit dem Monocle zu fixieren allerhuldvollsi
geruht hatte, redete sie endlich — taktvoll wie immer — an: „Ah — möchten Sie mir nicht auch mal 'u Glas Sekt geben, schöne Sarah?"
„Sie irren, mein Herr," ward ihm a tempo zur Antwort, „die den Kamee len zu trinken gab, hieß Rebekka!"
freibeitsbotlcbaft
Bei der Einweihung der Görlitzer Ruhmeshalle
hielt der Kaiser eine Rede, die mit der Verheißung
schloß: „Freiheit für das Denken, Freiheit in der
Weiterbildung der Religion und Freiheit für unsere
wissenschaftliche Forschung: das ist die Freiheit, die
Ich dem deutschen Volke wünsche und ihm er-
kämpfen möchte."
Das war ein Wort! — Das Wort soll gelten
Und Echo finden für und für!
Und einen Hundsfott dürft ihr schelten
Den, der's nicht achtet nach Gebühr l
„Gedankenfreiheit" zu erbetteln,
wie Schillers schwärmender Marquis,
Und dann Verschwörung anzuzetteln,
Thur nimmer Norh — wir haben siel
Für Denken, Wissenschaft und Glauben
Ist Freiheit jetzt im deutschen Land,
Und wcr's versucht, uns d i e zu rauben,
Den straft des Raifers starke Häusl
Nun wagt des Glaubenshasses Schlange
Sich nimmer vor aus ihrem Loch,
Die hier, wie drüben, allzulange
Das Volk vergiftet — oder doch?
Nun darf der freie Denker wagen,
Zu leuchten mit der Wahrheit Licht
In alle Tiefen und zu sagen,
was er ergründet — oder nicht?
8>7
Und wem der Glaube nicht gegeben,
Auch der soll nun willkommen sein
An jedem Play in Staat und Leben,
wcnn's nur ein Mann ist! — Oder nein?
Ein Geistcrlenz, ein wundervoller,
Durchschimmert von der Freiheit Strahl,
Voll Dufr und Pracht erblühen soll er —
Nun rüstet Euch zum Freudcnmahll
Schon freut sich Michel ungcmcsscn,
wie ihm die gute Suppe frommr —
wird sie wohl wirklich auch gegessen,
So heiß sic aus der Lüche kommt?
lierman i.