WEIHNACHTSGESCHENKE /. Wackerle
Nr. 52
Stiller Syluelter
^geräuschlos öffnet sich meine Wohnzimmerthür,
V®) und „Gnädige Frau, es ist angerichtet!"
meldet der Diener.
Na, also trinken wir unsern Thec, nämlich
mein Mann, mein Bub und ich.
Mir sitzen im kleinen Eßzimmer, einladend
schimmert der zierlich gedeckte Tisch, freundlich
übergossen vom Schein der lsängelampe, die ihr
Licht liebkosend gleiten läßt über die rothen Tulpe»
und zierlichen Maiglöckchen, auf der alten Ledcr-
tapete milde Reflexe von Gold und Roth weckt,
sich vergeblich bemüht, die dunkle Lichenholzdecke
aufznhellen, und ein Lächeln zu zaubern auf die
ernsten Heiligenbilder an den Wänden, die feier-
lich von ihrem goldenen Hintergrund auf uns und
nufere Bratkartoffeln, Heringssalat und Pfann-
kuchen mit Punsch herabschauen.
Ja, Bratkartoffeln, Heringssalat, Punsch und
Pfannkuchen; denn heut ist Sylvester und ohne
die kann man in unserem Hause die letzte Mahl-
zeit im alten Jahre nicht halten!
Friedlich sitzen mir bei einander, ein Bild
glücklichen Familienlebens, und nachdem mein
Bub so viel Punsch getrunken hat, wie er irgend
bekommen kann, der Heringssalat entsprechend vom
Gebieter kritisiert ist, wobei ein kleiner General-
tadel abfällt, in den sich unsere Leute im be-
sonderen, die übrigen Dorfbewohner in, allgemeinen,
der Pastor an der Spitze, theilcn können, lassen wir
unsere Gläser zusammenklingen und trinken auf
Dein Wohl, geliebtes Töchtcrchcn!
's ist Winterzeit, da hat sich meine kleine, gold-
haarige Sonne versteckt, scheint, leuchtet und wärmt
fern von daheim, denn Lise-Lottc tanzt heut in
Berlin.
Dann wird der Weihnachtsbaum noch einmal
angezündet und erstrahlt in mystischer Belle im
großen, dunkeln Saal. Wir steh'n um ihn vereint,
und doch, wie weit getrennt in Gedanken und
Gefühlen! Mein Mann ist voll beschäftigt, indem
er darauf achtet, daß kein Zweig zu brennen an-
fängt, kein Wachslicht auf den Teppich tropft.
Mit seinem langen pusterohr macht er jedem er-
löschenden Licht unbarmherzig den Garaus.
Der Bub hingegen hat schrecklich viel zu thun!
Erst muß er Lichter in Nußschalen ans einer großen
Wasserschüssel schwimmen lassen, um zu erfahren,
wer von uns am längsten lebt, Vater, Mutter,
Schwester Lise-Lotte, oder er selbst.
Dann wird Blei gegossen und aufgeregt kommt
er alle Augenblicke herein gestürzt mit einem neuen
bleiernen Drakel.
voriges Jahr goß er nur wunderbare Schiffe,
denn unsere Zukunft lag auf dem Wasser; dies
Jahr sinds wildreiche Jagdgrülidc, Hunde und alle
Arten Stubcnvögcl, auch ein ganzer Nord-Süd-
Lrprcß ist dabei. DH, Du beneidcnswcrthe Kinder-
phantasie, die Du in allem siehst, was Du zu sehen
wünschest!
Ich wandere langsam auf und nieder, der süße
Tannenduft mischt sich mit dem Rauch der ge-
liebten Ligarettc, leis knistern die Goldfähnchen
am Weihnachtsbaum, ein Licht nach dem anderen
erlischt, nun brennen nur noch drei. Traumhaft
süß, wehmüthig und geheimnißvoll ist mir diese
Stunde.
Ich schicke die Gedanken in die Vergangenheit,
weit, weit zurück.
Ich sehe mich wieder im ewig heiteren Lltcrn-
hause, ein fröhlich Kind, verwöhnt von Elternliebe,
Weihnachten feiernd, glückselig. — Ein junges
Mädchen dann, lachlustig, übermüthig, gefeiert,
sich ganz als singender Sonnenschein fühlend.
Und ein Jahr, da überstrahlte das Licht in
meinem Herzen alle Weihnachtskerzen, denn ich
war dem Glück begegnet, und wartete, daß es zu
mir kommen sollte. Aber es kam nicht, und der
nächste Lichterbaum brannte für eine stille Braut,
die vom Glück nichts mehr wußte und auch als
Frau ihm nie mehr begegnet ist, denn das Glück
trägt ein weißes Kleid und duftende Lilien in der
Hand, und verheiratheten Frauen begegnet cs selten.
Zu ihnen schickt es höchstens seinen Stiefbruder,
den Rausch, und der erzählt ihnen dann „das
Märchen vom Glück", und über dieses Märchen
fließen viele, viele Thränen.
Zischend erlischt am Weihnachtsbanm das letzte
Licht.
von ferne höre ich die Leute Sylvcstcrliedcr
singen, hell und klar klingt unter ihnen meines
Sohnes Stimme, er singt das Znkunftslicd seiner
Mutter!
Und ich laufe hinaus in die Küche, küsse ihn,
nehme ein Glas Punsch und stoße mit allen Leuten
an, schleppe meinen Buben ab und stecke ihn ins
Bett und fcire noch eine kleine Drgie in kindischer,
mütterlicher Zärtlichkeit.
Unten sitzt mein Mann bei der Zeitung und
gähnt laut und leise.
Langsam gehen die Stunden.
Endlich geht er zu Bett, nun rasch die Thür
zu seinem Zimmer verschlossen — und ich bin
allein.
Einsam und allein!
De» Zauber dieser Worte versteht nur derjenige,
der dieses Glück selten genießt.
Ein Fest der Seele, Freiheit, Abfallen aller
Fesseln, das bedeutet ihr mir.
Nun laß mich dich auf meine Art genießen,
letzte Stunde der Einsamkeit im alten Jahr.
Ich trage meine Lampe zum Schreibtische; du
liebe Lampe, einziges Lebewesen, das um mich ist,
denn Licht ist Leben, du hast meiner Mutter in
einsamer Todesstunde auf dem dunkeln lvege in
die ewige Nacht geleuchtet, nun brenne für mich
in dieser stillen, heimlichen Stunde.
Erst hol' ich meinen geliebten Storni und lese
sein schönstes Gedicht, ein Sterbender. „Gefangen
gab ich niemals die Vernunft, auch um die lockendste
Verheißung nicht; was übrig ist, ich harre in Ge-
duld!"
So hoffe ich auch einst zu sterben, so aus diesem
Gefühl heraus den großen Schritt ins Unbekannte
1902
zu thun. Sterben — ob es so leicht ist,
mit Bewußtsein, gefaßt und ohne Zit-
tern sterben? Ich glaube nicht. Schon
der Gedanke, daß dann alles genau so
weiter geht wie bisher, hat etwas
Grauenhaftes.
Jeder, oder wenigstens jede Mutter,
denkt, hofft im tiefsten Herzen eine un-
ausfüllbare Lücke zu hinterlassen. Thut
das unter Tausenden auch nur Eine
und wer verdient es? Ich nicht, nein,
ich sicher nicht, wenn man vor dem
Tode die vollste Wahrheit über sich und
seine Fehler niederschriebe, wessen Liebe
wäre stark genug, dieser Wahrheit Stand
zu halten?
Unwiderstehlich lockt es mich zu schrei-
ben, was ich von mir denke:
„Ich bin eine große Egoistin.
Bei allem, in großen, wie in kleinen
Dingen, gilt mein erster Gedanke dem
eigenen vorthcil. Wohl bin ich eines
großmüthigen Impulses fähig, aber
nur, um ihn hinterher meist bitter zu
bereuen. Mein Wille soll erstes Gesetz
für die Meinen sein, meine Meinung
als die allein richtige gelten. Meine
Wahrheitsliebe ist nicht Liebe zur Wahr-
heit, sondern Rücksichtslosigkeit, denn
wenn es mir so paßt, kann ich ausge-
zeichnet lügen.
Der innerste Duell meines starken
Standes- und Familiengefühls, meiner
Vaterlandsliebe, ist der Hochmuth.
Alt, krank und arm, in tiefster Seele
ist mir das zuwider.
Mitleid empfinde ich nur mit Kin-
dern und Thieren, die Leiden meiner
Nebenmenschen sind mir gleichgiltig.
Ich liebe die Natur, bewundere die Kunst und
habe die Schönheit zu meinem Götzen gemacht.
Als Gattin bin ich keinen Schuß Pulver werth,
denn den Mann, den zu lieben ich geschworen,
habe ich nie geliebt, nicht einen Athemzug lang;
die Ehe ist mir ein einziger, langer, steiniger Leidens-
weg.
Aller Männer Liebe, die mein geworden ist,
war mir nur befriedigte Eitelkeit und schnell ver-
wehte Sinnenlust. Glücklich hat mich keine ge-
macht.
Lieben, lieben mit aller Glut meines Herzens
kann ich nur meine Kinder, für sie lebe ich und
sterbe ich, sie liebe ich mehr wie mich selbst. Mutter-
liebe ist kein Verdienst, ich weiß es wohl, und
doch, wenn ihr, meine Kinder, einst diese Zeilen
lesen solltet, um dieser Liebe willen vergebt mir,
daß mich die schönste Eigenschaft der Frau nicht
schmückte, die Milde eines unwandelbar gütigen
Herzens. Ich weiß nicht warum, ich weine bitter-
lich?
viel Schuld, aber auch viel Leid steht zwischen
dicscil Zeilen. Db's jemals besser wird? Nein,
— nie.
Lin Feigling, wer den heitern Gleichmuth
sinken läßt!
Ich will das neue Jahr draußen erwarten,
unter den flimmernden Sternen. —
Dumpf tönen die zwölf Glockenschläge durch
die Nacht, todt und geboren reichen sich wieder
ein Mal die Hände. Ewiges Gleich im ewigen
Wechsel!
Lin neues Jahr beginnt, ein Jahr voll Leid,
Kampf, Enttäuschung und Schmerzen für alle
Kreatur.
Tröstend klingt in meiner Seele das alte Dichter-
wort:
„Und hast Du einer Welt Besitz gewonnen,
Sei nicht erfreut darüber, es ist nichts,
vorüber gehn die Schmerzen und die Wonnen,
Geh an der Welt vorüber, es ist nichts."
I). von haften
880
Nr. 52
Stiller Syluelter
^geräuschlos öffnet sich meine Wohnzimmerthür,
V®) und „Gnädige Frau, es ist angerichtet!"
meldet der Diener.
Na, also trinken wir unsern Thec, nämlich
mein Mann, mein Bub und ich.
Mir sitzen im kleinen Eßzimmer, einladend
schimmert der zierlich gedeckte Tisch, freundlich
übergossen vom Schein der lsängelampe, die ihr
Licht liebkosend gleiten läßt über die rothen Tulpe»
und zierlichen Maiglöckchen, auf der alten Ledcr-
tapete milde Reflexe von Gold und Roth weckt,
sich vergeblich bemüht, die dunkle Lichenholzdecke
aufznhellen, und ein Lächeln zu zaubern auf die
ernsten Heiligenbilder an den Wänden, die feier-
lich von ihrem goldenen Hintergrund auf uns und
nufere Bratkartoffeln, Heringssalat und Pfann-
kuchen mit Punsch herabschauen.
Ja, Bratkartoffeln, Heringssalat, Punsch und
Pfannkuchen; denn heut ist Sylvester und ohne
die kann man in unserem Hause die letzte Mahl-
zeit im alten Jahre nicht halten!
Friedlich sitzen mir bei einander, ein Bild
glücklichen Familienlebens, und nachdem mein
Bub so viel Punsch getrunken hat, wie er irgend
bekommen kann, der Heringssalat entsprechend vom
Gebieter kritisiert ist, wobei ein kleiner General-
tadel abfällt, in den sich unsere Leute im be-
sonderen, die übrigen Dorfbewohner in, allgemeinen,
der Pastor an der Spitze, theilcn können, lassen wir
unsere Gläser zusammenklingen und trinken auf
Dein Wohl, geliebtes Töchtcrchcn!
's ist Winterzeit, da hat sich meine kleine, gold-
haarige Sonne versteckt, scheint, leuchtet und wärmt
fern von daheim, denn Lise-Lottc tanzt heut in
Berlin.
Dann wird der Weihnachtsbaum noch einmal
angezündet und erstrahlt in mystischer Belle im
großen, dunkeln Saal. Wir steh'n um ihn vereint,
und doch, wie weit getrennt in Gedanken und
Gefühlen! Mein Mann ist voll beschäftigt, indem
er darauf achtet, daß kein Zweig zu brennen an-
fängt, kein Wachslicht auf den Teppich tropft.
Mit seinem langen pusterohr macht er jedem er-
löschenden Licht unbarmherzig den Garaus.
Der Bub hingegen hat schrecklich viel zu thun!
Erst muß er Lichter in Nußschalen ans einer großen
Wasserschüssel schwimmen lassen, um zu erfahren,
wer von uns am längsten lebt, Vater, Mutter,
Schwester Lise-Lotte, oder er selbst.
Dann wird Blei gegossen und aufgeregt kommt
er alle Augenblicke herein gestürzt mit einem neuen
bleiernen Drakel.
voriges Jahr goß er nur wunderbare Schiffe,
denn unsere Zukunft lag auf dem Wasser; dies
Jahr sinds wildreiche Jagdgrülidc, Hunde und alle
Arten Stubcnvögcl, auch ein ganzer Nord-Süd-
Lrprcß ist dabei. DH, Du beneidcnswcrthe Kinder-
phantasie, die Du in allem siehst, was Du zu sehen
wünschest!
Ich wandere langsam auf und nieder, der süße
Tannenduft mischt sich mit dem Rauch der ge-
liebten Ligarettc, leis knistern die Goldfähnchen
am Weihnachtsbaum, ein Licht nach dem anderen
erlischt, nun brennen nur noch drei. Traumhaft
süß, wehmüthig und geheimnißvoll ist mir diese
Stunde.
Ich schicke die Gedanken in die Vergangenheit,
weit, weit zurück.
Ich sehe mich wieder im ewig heiteren Lltcrn-
hause, ein fröhlich Kind, verwöhnt von Elternliebe,
Weihnachten feiernd, glückselig. — Ein junges
Mädchen dann, lachlustig, übermüthig, gefeiert,
sich ganz als singender Sonnenschein fühlend.
Und ein Jahr, da überstrahlte das Licht in
meinem Herzen alle Weihnachtskerzen, denn ich
war dem Glück begegnet, und wartete, daß es zu
mir kommen sollte. Aber es kam nicht, und der
nächste Lichterbaum brannte für eine stille Braut,
die vom Glück nichts mehr wußte und auch als
Frau ihm nie mehr begegnet ist, denn das Glück
trägt ein weißes Kleid und duftende Lilien in der
Hand, und verheiratheten Frauen begegnet cs selten.
Zu ihnen schickt es höchstens seinen Stiefbruder,
den Rausch, und der erzählt ihnen dann „das
Märchen vom Glück", und über dieses Märchen
fließen viele, viele Thränen.
Zischend erlischt am Weihnachtsbanm das letzte
Licht.
von ferne höre ich die Leute Sylvcstcrliedcr
singen, hell und klar klingt unter ihnen meines
Sohnes Stimme, er singt das Znkunftslicd seiner
Mutter!
Und ich laufe hinaus in die Küche, küsse ihn,
nehme ein Glas Punsch und stoße mit allen Leuten
an, schleppe meinen Buben ab und stecke ihn ins
Bett und fcire noch eine kleine Drgie in kindischer,
mütterlicher Zärtlichkeit.
Unten sitzt mein Mann bei der Zeitung und
gähnt laut und leise.
Langsam gehen die Stunden.
Endlich geht er zu Bett, nun rasch die Thür
zu seinem Zimmer verschlossen — und ich bin
allein.
Einsam und allein!
De» Zauber dieser Worte versteht nur derjenige,
der dieses Glück selten genießt.
Ein Fest der Seele, Freiheit, Abfallen aller
Fesseln, das bedeutet ihr mir.
Nun laß mich dich auf meine Art genießen,
letzte Stunde der Einsamkeit im alten Jahr.
Ich trage meine Lampe zum Schreibtische; du
liebe Lampe, einziges Lebewesen, das um mich ist,
denn Licht ist Leben, du hast meiner Mutter in
einsamer Todesstunde auf dem dunkeln lvege in
die ewige Nacht geleuchtet, nun brenne für mich
in dieser stillen, heimlichen Stunde.
Erst hol' ich meinen geliebten Storni und lese
sein schönstes Gedicht, ein Sterbender. „Gefangen
gab ich niemals die Vernunft, auch um die lockendste
Verheißung nicht; was übrig ist, ich harre in Ge-
duld!"
So hoffe ich auch einst zu sterben, so aus diesem
Gefühl heraus den großen Schritt ins Unbekannte
1902
zu thun. Sterben — ob es so leicht ist,
mit Bewußtsein, gefaßt und ohne Zit-
tern sterben? Ich glaube nicht. Schon
der Gedanke, daß dann alles genau so
weiter geht wie bisher, hat etwas
Grauenhaftes.
Jeder, oder wenigstens jede Mutter,
denkt, hofft im tiefsten Herzen eine un-
ausfüllbare Lücke zu hinterlassen. Thut
das unter Tausenden auch nur Eine
und wer verdient es? Ich nicht, nein,
ich sicher nicht, wenn man vor dem
Tode die vollste Wahrheit über sich und
seine Fehler niederschriebe, wessen Liebe
wäre stark genug, dieser Wahrheit Stand
zu halten?
Unwiderstehlich lockt es mich zu schrei-
ben, was ich von mir denke:
„Ich bin eine große Egoistin.
Bei allem, in großen, wie in kleinen
Dingen, gilt mein erster Gedanke dem
eigenen vorthcil. Wohl bin ich eines
großmüthigen Impulses fähig, aber
nur, um ihn hinterher meist bitter zu
bereuen. Mein Wille soll erstes Gesetz
für die Meinen sein, meine Meinung
als die allein richtige gelten. Meine
Wahrheitsliebe ist nicht Liebe zur Wahr-
heit, sondern Rücksichtslosigkeit, denn
wenn es mir so paßt, kann ich ausge-
zeichnet lügen.
Der innerste Duell meines starken
Standes- und Familiengefühls, meiner
Vaterlandsliebe, ist der Hochmuth.
Alt, krank und arm, in tiefster Seele
ist mir das zuwider.
Mitleid empfinde ich nur mit Kin-
dern und Thieren, die Leiden meiner
Nebenmenschen sind mir gleichgiltig.
Ich liebe die Natur, bewundere die Kunst und
habe die Schönheit zu meinem Götzen gemacht.
Als Gattin bin ich keinen Schuß Pulver werth,
denn den Mann, den zu lieben ich geschworen,
habe ich nie geliebt, nicht einen Athemzug lang;
die Ehe ist mir ein einziger, langer, steiniger Leidens-
weg.
Aller Männer Liebe, die mein geworden ist,
war mir nur befriedigte Eitelkeit und schnell ver-
wehte Sinnenlust. Glücklich hat mich keine ge-
macht.
Lieben, lieben mit aller Glut meines Herzens
kann ich nur meine Kinder, für sie lebe ich und
sterbe ich, sie liebe ich mehr wie mich selbst. Mutter-
liebe ist kein Verdienst, ich weiß es wohl, und
doch, wenn ihr, meine Kinder, einst diese Zeilen
lesen solltet, um dieser Liebe willen vergebt mir,
daß mich die schönste Eigenschaft der Frau nicht
schmückte, die Milde eines unwandelbar gütigen
Herzens. Ich weiß nicht warum, ich weine bitter-
lich?
viel Schuld, aber auch viel Leid steht zwischen
dicscil Zeilen. Db's jemals besser wird? Nein,
— nie.
Lin Feigling, wer den heitern Gleichmuth
sinken läßt!
Ich will das neue Jahr draußen erwarten,
unter den flimmernden Sternen. —
Dumpf tönen die zwölf Glockenschläge durch
die Nacht, todt und geboren reichen sich wieder
ein Mal die Hände. Ewiges Gleich im ewigen
Wechsel!
Lin neues Jahr beginnt, ein Jahr voll Leid,
Kampf, Enttäuschung und Schmerzen für alle
Kreatur.
Tröstend klingt in meiner Seele das alte Dichter-
wort:
„Und hast Du einer Welt Besitz gewonnen,
Sei nicht erfreut darüber, es ist nichts,
vorüber gehn die Schmerzen und die Wonnen,
Geh an der Welt vorüber, es ist nichts."
I). von haften
880