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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 7.1902, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52
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Nr. 52

Einladung zum

„Münchner Illustrario-nen" (Simplizissimus — Flicgrude Blätter — Jugend)
veranstaltet am 12. Januar 1903 von der Münchner Presse
(Auskunft erthcüt das Bureau des Münchner Journalisten- und Schriststellervereins, Max Josefstraße 1/».)

wir bleiben wir!

Es geschehen Zeichen, aber keine Wunder, Nein,
ganz und gar nicht, so mußte es kommen: der
deutsche Idealismus in der Politik, von den
herrschenden Klasse» immer verachtet und oft ver-
lacht, — wie sollte er dreißig Jahre nach der Gründ-
nng des Reiches in denselben Kreisen sich eines auch
nur minimalen Ansehens erfreuen'? Im Gegentheil,
nachdem den gleichen Brüdern Zeit gegeben, sich
unter den gleichen Kappen zu sammeln, sind wir
von der Jdealisirnng des Lebens im Reiche weiter
denn je entfernt. Nun geht der Betteltanz erst
recht los, und wären wir eingepfercht in die Ställe
der Feudalen oder der Schwarzen oder der Feuer-
rothen, so könnten wir wirklich sagen: es ist eine
Affenschande zu leben, und den ganzen deutschen
Krimskrams soll der Teufel holen:

Aber Gottlob sind wir in diese undeutschen Ställe
nicht eingepfercht; wir pfeifen >vns auf die Edelsten
der Nation und ihre nothleidenden Fideikommisse,
auf den Zolltarif, auf die Romduselei und Lcxhcinze-
inuckerei, und ans die Gleichmacherei, — wir sind
wir, und da tvir cs bleiben, so wird das Unkraut
der Reaktion nicht in den Himmel wachsen. Zwar
werden wir in der Minorität bleiben — da§ ist nun
einmal das Loos der Vornehmen! Aber wir werden
den Feinden der Freiheit die geile Suppe versalzen,
daß ihnen speinbcl wird. Wir werden uns ergötzen
an ihrer senilen Katzenjämmerlichkeit und bleiben
deutsch und frei und jung und — gesund!

Das ist der Hauptwitz, Prosit!

«eorg ssirttz

LLckerbar!!!

Fm Staate virginien lRordamenkaj will ein
Dr. Ware durch einen Gefeyesvorschlag allen Fenen
das Küsten verbieten, die keinen ärztlichen Gcsund-
heitsschein besiken, und Strafen bis zu 5 Dollars
auf den Kuß setzen.

Da d'rüben, wo sie Alles besser wissen,
lvo Freiheit, Trusts und Wolkenkratzer sprießen,
Und man am Sonntag das Vergnügen missen
Muß, wein und Bier und Schnapse zu genießen,
Doch voni Gewissen Reiner wird gebissen,
wenn's ihm passierte, Linen zu erschießen,

Dort will ein Mensch, so Hab' ich hören müssen,
Durch ein Gesetz verbieten nun das

Rüssen!

„Denn," sagt in seinem Legislatorkollcr
Der Miesepeter, „wenn beim Ruß die Lippen
Sich aneinandersaugen, sind sic voller
vcrderbcnschwangcrcr Bakteriensippen!

Bestrafen muß man drnm mit manchem Dollar
Den Unfug, so von fremdem Mund zu nippe»,
Damit sich Reiner meuchlings da erkose
Die Diphthcritis und Tuberkulose!"

„Nur Jenem, dein auf Diensteid ist bescheinigt
vom Arzt, daß ganz baccillcnfrci sein Mund ist,
Erlaubt man, daß er sich im Ruß vereinigt
Mit etwas weiblichem, das auch gesund ist;
Sonst, ob ihn auch der Licbeshunger peinigt
Und seine Seele von verlangen wund ist,
verbietet man das Busseln ihm vom Staat ans —
Und spülte er den Mund mit Sublimat ans!"

D Mensch, der diesen Stumpfsinn ansgchcckt hat,
Ich frage nur: wenn nun ein Pärchen plötzlich
Selbander seinen Liebeswahn entdeckt hat
Und Linem ist's durch Zufall nicht gesetzlich
Beglaubigt, daß cs keinerlei Defekt hat —

Soll dieses —• der Gedanke ist entsetzlich! —
Bevor sie sich am ersten Ruß erquicken,

Lrst um Lrlaubniß zum Bezirksarzt schicken?

Rann solchen Rußgelüstes Unterdrückung
Nicht erstens gleichfalls die Gesundheit schädigen?
Und zweitens: wenn sie nicht in der Verzückung
Des ersten Liebesrausches dies erledigen —

Wie leicht verfliegt die selige Bcrückung
Und eh' sie von der Bbrigkeit, der gnädigen,
Lrlaubniß haben — die auch noch was kostet! —
Erlischt die Gluth, die erst so schön geglostctl

Und drittens: wenn die Liebe wirklich stark wär',
Erstickte kein Gesetz das wilde Feuer,

Und auch 5 Dollars — was gleich zwanzig

Mark war' —

wär' ihnen wohl pro Ruß noch nicht zu thencr!
Sic küßten los, als ob das Geld nur (Duark wär',
Die Rostenrechnnng wüchse ungeheuer —

Und seine Mitgift gäb' wie taube Nüsse
Das Paar schon vor der lqochzeit aus für Russe!

Nein! Ihr da drüben in dem Staat virginien,
Schmeißt jenen Mann zu Norfolk in den tfafcn,
pängt ihn an eine Eurer höchsten Pinien —
Doch küßt Luch weiter ohne Paragraphen
Und ohne Angst, mikrobischc Lrinnyc»,

Sie könnten hinterher dafür Luch strafen:

Lin heißer Ruß von liebesrother Lippe
Ist einen Schnupfen wcrth — selbst

eine Grippe!

Biedermeier mit ei

88z

6in Munschzetlel

Lieber Gott!

Es ist nun bald wieder Weinachtcn, Da
gläben dir die Engel wieder deinen Bart an. Die
zicen dir auch den Kitcll und den großen Sack
wider an, llnser Lehrer hat gesagt, ich soll den
Zettel noch mal schreiben. Du kannst das sciw»
lesen. Ich will eine grose Gnackworscht, Zeige
der Mutter aber nicht, die ist die Worscht auch
gerne. Du kannst die Gnackworscht ja an einen
Strik bintcn. Wenn ich Abens schlafe, da ban-
mellst du damit ans Venßter da stehe ich auf und
schneide die Worscht ab und du zcrst den Strik
wieder nauf. Aber eine fette. Ich will auch einen
Luftpalong wo ich in die Schule fahren kann.
Und eine richte Elcktrieschsche. Wo ich allein sitzen
kann. Wcider nicht. Meine Mutter will gerne
ein bar Zehne. Die hat nur kein Geld, Du hast
doch viele Gott, lieber, dein Sack ist doch voll.
Du kibst der Mutter ei» par. Drangläben thue
ich selber. Der Grete schickst du eine Pupe, Die
sind bei Ottos in der Weisemvelser Straße, Ick
bin nun fertig dein Felix.

Die Glocke

Auf Grund der letzten Aeichstagsarbeit modernifnt

wohlthätig ist des Lentruins Macht,
wen» es der Staat bezähmt, bewacht!

Doch furchtbar wird die „piinmelskraft",
wenn sie der Fessel sich entrafft,

Linhertritt auf der eignen Spur,

Die freie „Mutter der Lnltur."
wehe, wenn es, losgelassen
Mit dem edlen Innkerstand —

Denn im Unterdrücken passen
pfaff und Junker zu einand! —

Das Gesetz bekommt zu fassen
In die gottgeweihte lfand!

Aus dem Lcntrum
vor der Wahl,

Allemal,

tpuillt der Segen,

Strömt entgegen

Wahrheit, Freiheit, Recht dem Volke;

Aus der schwär,c» Lentrumswolke
— Nach der Wahl! —

Zuckt der Strahl!

Boffnnngslos

weicht das Recht der „Götterstärke" —
Müßig steht es seine Werke
Und verwundert untergeh'n.

1902
Register
Georg Hirth: Wir bleiben wir!
Biedermeier mit ei: Lächerbar!!!
[nicht signierter Beitrag]: Die Glocke
Julius Diez: Einladung zum Faschingsfest "Münchner Illustrationen"
[nicht signierter Beitrag]: Ein Wunschzettel
 
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