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Nr. 1

1903

Goffesdiemf

Sicher und harmlos,

Wie Götter und Kinder,
Hthmen wir freudig
Des Lebens üage.

Aber die Dächte,

Des Lebens Dächte
Feiern wir fromm.

' Uns fegnet der Dlond
fDit weihen Händen:

Hm Bange des Berges
Huf hoher Warte
Sieht er das Silber
Uns vor die Fähe,

Und goldene Sterne
Flammen und kreifen
Ueber den Scheiteln
Der Gottgebornen !

Fern drängt ein Windftoh
Schwer durch den Bochwald ..
Bus feinem Raufchen
Spüren wir schauernd
Ewigen Bauch . . .

»Lernet verachten
Die niedern Geschlechter I
Boch durch die Wipfel
Wandelt der Sturm.

Lernet verachten
Die [Deute der Menschen I
Rein, für die Dlenfchheit
Schlage das Herz!

Lernet gebieten
Bis ßerren den Herrschern!
Dur was euch eigen,

Schirmet und baut!»

Otto erleb Kartlebeti

VATER KRONOS

Die Zauberstiefel

von Leon Xöitt'of

n,e'^ nicht, ob der treffliche Soupirail die
Vorsicht besessen, sein Mobiliar gegen Brand
schaden zn versichern; doch in diesem Falle hätten
die Versicherungsgesellschaften ein verdammt schlech-
tes Geschäft gemacht, denn Soupirail stand jeden
Augenblick in Flammen.

Dieser verdammte Soupirail! Dieses Ungeheuer!
wie ihn seine arme kleine Frau nannte. Nicht,
daß er borhaft war, aber er konnte keinen Unterrock
sehen, ohne sofort'wie ein Pulverfaß aufzulodern.

Jedesmal, wenn Madame Soupirail unversehens
in ein Zimmer trat, bemerkte sie ihren unverbesser-
lichen Gatten, wie er sich über die Mange einer
ihrer Freundinnen, oder über die Schulter ihres
neuen Dienstmädchens lehnte. Die unglückliche
Frau war ihrer Sache so sicher, daß sie keine Thür
mehr zu öffnen wagte und selbst den Schlüssel
ihres Spcisefchrankes nicht mehr ohne Perzklopfen
nmdrehte.

Soupirail, der nicht bösartig war, war auf-
richtig betrübt, daß er seiner Frau solchen Schmerz
bereitete, aber du lieber Gott, die Sache ging eben
über seine Kräfte.

Er mochte sich noch so oft, wenn er abgefaßt
war, die schrecklichsten Scene» machen, sich die nn-
angenehmsten Namen beilegen, sich selbst seiner
eigenen Achtung für verlustig erklären, die feier-
lichsten Lide von sich fordern und sich feierlich vor
dem Spiegel zu schwören, sich es nie mehr zu ver-
zeihen, wenn er es wiederthäte, — bot sich eine

neue Gelegenheit, zeigte sich eine neue verbotene
Frucht, bumms, machte pcrr Soupirail einige
Lancanbewegungen, machte Nasenlöcher wie ein
verliebter Kater, und fünf Minuten später —
planst! faßte ihn seine unglückliche Gattin wie-
der ab.

*

* *

Natürlich war Soupirail bemüht, sich wieder
mit ihr zu versöhnen und benutzte dabei jede Ge-
legenheit. So bcnnstte er die vier Namen seiner
Fra», um ihr vier Mal zu gratuliren. Mit Ver-
gnügen hatte er die russisch-französische Alliance
willkommen geheißen, die ihm neue Vorwände
zur Ueberreichung seiner Geschenke lieferte, da das
Bster-, das IVeihnachts- und das Neujahrsfest ja bei
den beiden Nationen auf verschiedene Tage fallen.

Diese Methode hatte allerdings das Unange-
nehme, daß sie Soupirail etwas theuer zu stehen
kam; auch mußte er sich fortwährend den Kopf
zerbrechen, um etwas Neues heranszukitzeln, denn
seit einiger Zeit hatte Madame Soupirail — jedes
Unglück, selbst das eheliche ist immer zu etwas
gut — so viel Ringe, Juwelen, Toiletten, daß
ihr Mann nicht inehr wußte, welche Sühneopfer
er ihr bringen sollte.

*

* *

Das Neujahrsfest stand vor der Thür, Ma-
dame Soupirail schmollte feit Anfang Dezember
und wanderte mit der liebenswürdigen Miene
eines Uhu, der große Familiennnannehmlichkeiten
gehabt hat, durch das paus; während Soupirail
sich den Schädel zerbrach, um etwas Neues zu
finden, was er ihr noch schenken könnte.

Er irrte melancholisch an den Läden
vorüber, warf einen zerstreuten Blick
auf alle Auslagen, selbst auf die der
Apotheker, der Gaskocherfabrikanten
und der Spaßvögel von Bandagisten,
die sogar der Venus von Milo und
dem Apollo von Belvedere fehlende
Gliedmaßen anzusesten pflegen. — bis
ct an den Laden eines Schuhmachers
kam, wo unter andern Schuhwaaren
zwei reizende kleine Damenstiefelchen stan-
den, in deren Betrachtung er sich vertiefte.

Es waren kokette Sticfelchen mit Pelz
ejefüttert und hofyett ßaefen, hinten auf
dem Absatz mit einer Stahlkctte, die
dem Ganzen etwas Schneidiges gab,
weil man sich die fehlenden Sporen leicht
daz» denken konnte.

Sofort erinnerte sich Soupirail an
ein Ballet, das er in der „Mlpmpia" von
jungen Personen, sogenannten Slavin-
nen (gebürtig aus Batignolles) hatte
tanzen sehen. Sie trugen an ihren
stinken Beinen Stiesel mit ähnlichen
Kettchen und verabreichten sich — jeder
amiisirt sich so gut, wie er kann —
mit ihren eigenen packen Schläge in
ihre eigenen Rückenfortsetzungen. Und
Sonpiraü hatte bemerkt, daß das Klap-
pern der Stahlketten jeden ihrer Schritte
mit einem lauten, Hellen, fröhlichen
ct.on begleitete, der trotz der Entfernung
deutlich zu vernehmen war.

welcher Gedanke schoß ihm jetzt
durch den Kopf? Das weiß ich nicht,
boefy er schlug sich vor die Stirn, wie
der selige Archimedes, aber auf fran-
zöjisch, denn griechisch konnte er nicht.
Dann trat er in den Laden und kaufte
ein paar solcher Stiefel nach dem Maße
seiner Frau. Unter den lautesten Freude-
bezeigunzen brachte er sie nach Pause,
ja, er küßte sogar zärtlich die Papp-
schachtel, in der die Sticfelchen lagen.

P. Pfeiffer » * *

Am Neujahrstage war Madame Sou-
pirail nicht wenig erstaunt, als ihr Mann
ihr feierlich die kleinen Kettenstiefelchrn
überreichte, von denen der eine, dem Tage
entsprechend, ein Bouquet, der andere eine Düte
mit Bonbons enthielt. Sie verbarg ihre Enttäusch-
ung keinen Augenblick.

„Mas fällt Ihnen denn ein, mir Schuhe zu
schenken? Der Kopfputz, den Sie mir verehren, ist
Ihnen wohl noch nicht genug?"

„Diese Stiefel," erklärte Soupirail mit ernster
Stimme, indem er sich »m den Sarkasmus ihrer
lvorte ebensowenig kümmerte, wie Rothschild um
ein falsches Fünffrancsstück, „diese Stiefel sind keine
gewöhnlichen Stiefel. Infolge der Beschwörungen,
die ein berühmter Magier über sie ausgesprochen,
erfülle» sie den ersten Ivnnsch, den man hegt, wenn
man sie sich anzicht."

„Zauberstiefel? ach, Unsinn!"

„Du kannst es ja probieren," meinte Soupirail,
indem er ein Knie zur Erde beugte und seiner Frau
einen der kleinen Stiefel überreichte.

„Ah," murmelte Frau Soupirail, indem sie den
Fuß vorschob und den Kopf schüttelte, „sie werden
es nie zu Stande bringen, daß Du mir treu bleibst."

„Doch, doch, ich schwöre es Dir," rief Soupirail,
nahm seinen put und Stock und ging fröhlich
trällernd in's Eafö.

So ungläubig Madame Soupirail war, sie
mußte sich denn doch den Thatsachen fügen, von
dem Tage an, wo sie die kleinen Klapperstiefel,
deren Kette bei jedem Schritt einen so hübschen,
lauten u.on von sich gab, in der Wohnung zu
tragen angefangen, nahm ihr Leben eine ganz
andere Wendung.

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Register
Otto Erich Hartleben: Gottesdienst
Richard Pfeiffer: Vater Kronos
Léon Alfred Fourneau gen. Xanrof: Die Zauberstiefel
 
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