1903
J U GEN D
Nr. 3
Berlin wird Weltstadt!
Wie sehr man sich zur Zeit in Berlin nicht nur um
die Münchner Malerei, sondern auch um die Münchner
Dichter bekümmert, beweist schlagend ein ernstge-
meintes Schreiben, das Max Halbe zu Neujahr von
einem anonymen „Verehrer" aus der Neichshauptstadt er-
hielt. Der Dichter verlas es selbst in einer fröhlichen Tafel-
runde von Zunftgenossen und gab zugleich mit Vergnügen
die Erlaubniß, es in der „Jugend" zu veröffentlichen.
Es lautet:
„Herrn vr. Max Halbe.
Sie grollen noch immer dem großen mächtigen Ber-
lin, mit seinem kunst- und sachverständigen dankbaren
und leicht zu begeisternden Publikum in theatralischen
Dingen. Das heutige Berlin mit seinen zwei Dutzend
ausgezeichnet prosperirenden Theatern ist ja heute mit den
Vororten eine 3 Millionenstadt, und dieser Stadt wollten
Sie einen Hieb versetzen, das ist ja ungefähr so, als
wenn eine Fliege einem Elephanten einen Stich bei-
bringen will. Die Stadt wird immer größer und reicher,
was ist der heutige Münchener Kunstmarkt zum Berliner?
Dabei kennt Sie das heutige Publikum nicht mehr, Sie
sind durch Ihren Wegzug der jüngeren Generation un-
bekannt geworden und der älteren haben Sie durch Ihre
letztm Leistungen den Glauben beigebracht, als ob Sie
durch das Münchener Milieu ihre Schaffenskraft ver-
loren, oder in München unter den bayerischen
Saufbrüdern den Verstand vertrunken haben.
Sie haben doch das hungernde Wien oder gar Dresden
gegen Berlin ausspielen wollen. Hier ist die Schule für
dramatische Schriftsteller und Schauspieler, erst hier werden
durch die Berliner Schule die Stücke interpretirt, das zeigte
stch bei der Aufführung des armen Heinrich. Alle Schau-
spieler, die vor 1—2 Jahren nach Wien unter Verlockungen
gingen, bekommen Heiniweh, ebenso geht es Barnay und
uuch allen Dramatikern, die nur hier schaffen können. Ich
gedauerte Sie, als ich Ihren Feuilleton im „Tag" las, noch
duben Sie Zeit, zurückzukehren, Berlin ist vorbildlich,
usteyer-Förster hat an Alt-Heidelberg eine halbe
'Million bisher verdient, und alle Dramatiker
»achen vorzügliche Geschäfte."
Bouillon und Sekt
ZeHu„!t?°"igsberger Hartung'sche
Entlast«,? erzählt: „Als bei Bismarcks
dem A,,"?.eine hochgestellte Persönlichkeit
»emeffie« Mkanzler die Einführung des all-
Kaike« . ."Ulmrechts vorwars, stinimte der
d-mRoden Worten zu: „Da hat er
rend * ^champagner gereicht, wäh-
HM-zL der Bouillon bedurfte."" -Dann
^0 °/n lip?;?larc unt dem Volk immer noch um
Denn dieü ^"^mt, als seine Nachfolger,
und die ihm, wie die Sektsteuer
Ehamvon« ^dlle beweisen, weder den
v aUer- noch die Bouillon! -u-
D'e Verpreussung frankreiebs
0rt,*rittc- lüic ans Paris
mit bem bisb r "the Käppi,
Stelle treten.
werden dch'^ 2ft,°TOl ’
E°n
lebenden Nachbar-
staateseineJnterpel.
latron einbringen.
£dgaj<
Weltchronik der „Jugend"
AMicles, trotz des Larneval,
3st schon wiederum der .fall:
So zum Beispiel ward in Aachen,
wo schon viel kuriose Sachen
Schwarzer Stumpfsinn anfgerührt,
„Non na van na" aufgeführt
Und die Schwärzlichkeitsvertreter
Schrieen wieder Weh und Zeter
Ueber diese Fra» Giovanna,
Die der Liebe süßes Ulannah
In das Zelt dem princivalli,
Diesem ungeheuren Lalli,
Bringt in tiefvcrschwicgener Nacht,
Ghne daß Gebrauch er macht!
Ach, wie schwer ist's doch in Aachen,
Diesen Leuten recht zu machen,
lvird geliebt in einem Stück,
weisen sie es schroff zurück;
Aber, wenns vor Edclmuth
Drinnen förmlich stinken thut,
Finden sie es auch nicht gut! —
Bündler und Lonservative,
welche ob dein Zolltarife
Sich bekanntlich nach den Haaren
wild und kampfbereit gefahren,
Sind nun seit Neujahr schon wieder
Festverb und ne Herzens brüder.
Fürder wird die stolze Zweiheit
Gegen Bildung, Licht und Freiheit,
Gegen jede» sozialen
Fortschritt und die Liberalen,
Seit' an Seite ihre wehr
Schneidig schwingen, wie vorher! —
Die Berliner Hoftheater
Kriegen einen neuen Vater,
Herrn von Hülsen aus
Wiesbaden —
Graf von Hochberg hat in Gnaden
Seinen Abschied: Sechzigjährig,
War er nimmer recht gelehrig
Für die edle Kunst, zu tanzen
wie die Ulucker und die Schranzen
Pfeifen. An der „Fcuersnoth"
Intendirte er sich todt.
Herr von Hülsen wird nicht minder
Spüren, um wie viel gesünder
Die wiesbad'ner frische Luft,
Als Berliner weihrauchduft! —
Doktor Frcudenthal — er ist
Als erklärter Sozialist
woht bekannt dort in Berlin —
Zum Iustizrath macht man ihn!
Freudig darf man dies begrüßen,
Daß der Ulcnfch es nicht mehr büßen
Uluß in titelloser Noth,
wenn er von Gesinnung roth!
Hoffentlich wird Bebel jetzt
Auch dem Adelsstand versetzt,
während den Lommerzienrath
Singer zu erwarten hat!
voll mar, adlig schon ein Bissel,
Kriegt den Kammerjunkcrschlüsfel,
(Denn er hat ja auch die Nittel!)
Bernstein den Professortitel —
Kurz und gut: auf diese weise
wird der Sozialismus leise
Zur Besänftigung gewandt
Und auch staatlich anerkannt! —
Zu Sylvester ward's bezweckt,
Daß der Ausgleich ward perfekt,
D'rum in heißen Kämpfen nun
Zwischen Vesterreich und Un-
garn man seit gar vielen Woche».
Sich die Köpfe hat zerbrochen.
Bis dreiviertel zehn Uhr Nacht
ward besprochen und bedacht,
Endlich sprach zum Szell der
Körber:
„Sei'n Sie doch kein Spielverderber!
Hegen Sie denn keinen Wunsch
Heute nach Sylvesterpunsch?"
Und zum Körber sprach der Szell:
„Meinetwegen! Aber schnell
Muß jetzt die Geschichte geh'»!" —
Und sie ging um Uhrer zehn!
Fröhlich rief darauf der Unger:
„Sapperlott! Jetzt Hab' ich Hunger —
Speisen werd' ich jetzt gleich cito!"
Und der Körber sprach: „Ich ditto!
Nie werd' ich die Nacht vergessen,
wo ich erst um zehn gegessen!" —
Sonst ist auf der Welt zur Zeit
Alles voller Friedlichkeit:
Mord und Todtfchlag gehen heiter
Dort in Macedonicn weiter;
In Marokko Hub Tumult an —
Abgesetzt wird wohl der Sultan;
Frech sind wieder die Chinesen,
wie sie's vor dem Krieg gewesen;
lvas am Venezueler Strand
vor sich geht, ist Euch bekannt
Und daß Bruder Jonathan
Uns so hämisch, als er kann,
Schadet mit perfide»» Ränken,
Kamt sich Jeder selber denken!
Item: es ist wieder ein
Hochgenuß, ein Mensch zu sein!
»rrodot
Deutschland, England und Venezuela R- Pfeiffer
Ceidienpbantasie aus Ungarn
Der ungarische Ministerpräsident v. Szell hat sich unter deutlicher
Rücksichtnahme auf die Llerikalen entschieden gegen die Einführung der
Leichenverbrennung ausgesprochen.
Leichen zu verbrennen, hat die Mutter Kirche
Unter Anathemen streng verpönt,
'Darum laffe jeder Christ sich nur begraben ...
Wie von Jugend auf er es gewöhnt!
Diesem hohen Machtgebot der Clerikalen
Hält iin freien Magyarenland
Nicht eimnal des Herrn von Szell, des Präsidenten,
Vielgerühmter Liberalismus Stand!
Laratom! Es hieße Mutter Kirche kränken.
Die noch niemols Todte hot verbrannt,
Ober einstens »»msomehr dafür Lebend'ge
Auf die Scheiterhaufen Hot gesandt!
Auf die Flomme hoben Onspruch
Hexen, Ketzer,
Orge Kirchenfeinde nur seit je!
Fromme Christen brauchen ganz
allani Würmel
Ols Bestottungsart I Teremtete!
Krokodil
J U GEN D
Nr. 3
Berlin wird Weltstadt!
Wie sehr man sich zur Zeit in Berlin nicht nur um
die Münchner Malerei, sondern auch um die Münchner
Dichter bekümmert, beweist schlagend ein ernstge-
meintes Schreiben, das Max Halbe zu Neujahr von
einem anonymen „Verehrer" aus der Neichshauptstadt er-
hielt. Der Dichter verlas es selbst in einer fröhlichen Tafel-
runde von Zunftgenossen und gab zugleich mit Vergnügen
die Erlaubniß, es in der „Jugend" zu veröffentlichen.
Es lautet:
„Herrn vr. Max Halbe.
Sie grollen noch immer dem großen mächtigen Ber-
lin, mit seinem kunst- und sachverständigen dankbaren
und leicht zu begeisternden Publikum in theatralischen
Dingen. Das heutige Berlin mit seinen zwei Dutzend
ausgezeichnet prosperirenden Theatern ist ja heute mit den
Vororten eine 3 Millionenstadt, und dieser Stadt wollten
Sie einen Hieb versetzen, das ist ja ungefähr so, als
wenn eine Fliege einem Elephanten einen Stich bei-
bringen will. Die Stadt wird immer größer und reicher,
was ist der heutige Münchener Kunstmarkt zum Berliner?
Dabei kennt Sie das heutige Publikum nicht mehr, Sie
sind durch Ihren Wegzug der jüngeren Generation un-
bekannt geworden und der älteren haben Sie durch Ihre
letztm Leistungen den Glauben beigebracht, als ob Sie
durch das Münchener Milieu ihre Schaffenskraft ver-
loren, oder in München unter den bayerischen
Saufbrüdern den Verstand vertrunken haben.
Sie haben doch das hungernde Wien oder gar Dresden
gegen Berlin ausspielen wollen. Hier ist die Schule für
dramatische Schriftsteller und Schauspieler, erst hier werden
durch die Berliner Schule die Stücke interpretirt, das zeigte
stch bei der Aufführung des armen Heinrich. Alle Schau-
spieler, die vor 1—2 Jahren nach Wien unter Verlockungen
gingen, bekommen Heiniweh, ebenso geht es Barnay und
uuch allen Dramatikern, die nur hier schaffen können. Ich
gedauerte Sie, als ich Ihren Feuilleton im „Tag" las, noch
duben Sie Zeit, zurückzukehren, Berlin ist vorbildlich,
usteyer-Förster hat an Alt-Heidelberg eine halbe
'Million bisher verdient, und alle Dramatiker
»achen vorzügliche Geschäfte."
Bouillon und Sekt
ZeHu„!t?°"igsberger Hartung'sche
Entlast«,? erzählt: „Als bei Bismarcks
dem A,,"?.eine hochgestellte Persönlichkeit
»emeffie« Mkanzler die Einführung des all-
Kaike« . ."Ulmrechts vorwars, stinimte der
d-mRoden Worten zu: „Da hat er
rend * ^champagner gereicht, wäh-
HM-zL der Bouillon bedurfte."" -Dann
^0 °/n lip?;?larc unt dem Volk immer noch um
Denn dieü ^"^mt, als seine Nachfolger,
und die ihm, wie die Sektsteuer
Ehamvon« ^dlle beweisen, weder den
v aUer- noch die Bouillon! -u-
D'e Verpreussung frankreiebs
0rt,*rittc- lüic ans Paris
mit bem bisb r "the Käppi,
Stelle treten.
werden dch'^ 2ft,°TOl ’
E°n
lebenden Nachbar-
staateseineJnterpel.
latron einbringen.
£dgaj<
Weltchronik der „Jugend"
AMicles, trotz des Larneval,
3st schon wiederum der .fall:
So zum Beispiel ward in Aachen,
wo schon viel kuriose Sachen
Schwarzer Stumpfsinn anfgerührt,
„Non na van na" aufgeführt
Und die Schwärzlichkeitsvertreter
Schrieen wieder Weh und Zeter
Ueber diese Fra» Giovanna,
Die der Liebe süßes Ulannah
In das Zelt dem princivalli,
Diesem ungeheuren Lalli,
Bringt in tiefvcrschwicgener Nacht,
Ghne daß Gebrauch er macht!
Ach, wie schwer ist's doch in Aachen,
Diesen Leuten recht zu machen,
lvird geliebt in einem Stück,
weisen sie es schroff zurück;
Aber, wenns vor Edclmuth
Drinnen förmlich stinken thut,
Finden sie es auch nicht gut! —
Bündler und Lonservative,
welche ob dein Zolltarife
Sich bekanntlich nach den Haaren
wild und kampfbereit gefahren,
Sind nun seit Neujahr schon wieder
Festverb und ne Herzens brüder.
Fürder wird die stolze Zweiheit
Gegen Bildung, Licht und Freiheit,
Gegen jede» sozialen
Fortschritt und die Liberalen,
Seit' an Seite ihre wehr
Schneidig schwingen, wie vorher! —
Die Berliner Hoftheater
Kriegen einen neuen Vater,
Herrn von Hülsen aus
Wiesbaden —
Graf von Hochberg hat in Gnaden
Seinen Abschied: Sechzigjährig,
War er nimmer recht gelehrig
Für die edle Kunst, zu tanzen
wie die Ulucker und die Schranzen
Pfeifen. An der „Fcuersnoth"
Intendirte er sich todt.
Herr von Hülsen wird nicht minder
Spüren, um wie viel gesünder
Die wiesbad'ner frische Luft,
Als Berliner weihrauchduft! —
Doktor Frcudenthal — er ist
Als erklärter Sozialist
woht bekannt dort in Berlin —
Zum Iustizrath macht man ihn!
Freudig darf man dies begrüßen,
Daß der Ulcnfch es nicht mehr büßen
Uluß in titelloser Noth,
wenn er von Gesinnung roth!
Hoffentlich wird Bebel jetzt
Auch dem Adelsstand versetzt,
während den Lommerzienrath
Singer zu erwarten hat!
voll mar, adlig schon ein Bissel,
Kriegt den Kammerjunkcrschlüsfel,
(Denn er hat ja auch die Nittel!)
Bernstein den Professortitel —
Kurz und gut: auf diese weise
wird der Sozialismus leise
Zur Besänftigung gewandt
Und auch staatlich anerkannt! —
Zu Sylvester ward's bezweckt,
Daß der Ausgleich ward perfekt,
D'rum in heißen Kämpfen nun
Zwischen Vesterreich und Un-
garn man seit gar vielen Woche».
Sich die Köpfe hat zerbrochen.
Bis dreiviertel zehn Uhr Nacht
ward besprochen und bedacht,
Endlich sprach zum Szell der
Körber:
„Sei'n Sie doch kein Spielverderber!
Hegen Sie denn keinen Wunsch
Heute nach Sylvesterpunsch?"
Und zum Körber sprach der Szell:
„Meinetwegen! Aber schnell
Muß jetzt die Geschichte geh'»!" —
Und sie ging um Uhrer zehn!
Fröhlich rief darauf der Unger:
„Sapperlott! Jetzt Hab' ich Hunger —
Speisen werd' ich jetzt gleich cito!"
Und der Körber sprach: „Ich ditto!
Nie werd' ich die Nacht vergessen,
wo ich erst um zehn gegessen!" —
Sonst ist auf der Welt zur Zeit
Alles voller Friedlichkeit:
Mord und Todtfchlag gehen heiter
Dort in Macedonicn weiter;
In Marokko Hub Tumult an —
Abgesetzt wird wohl der Sultan;
Frech sind wieder die Chinesen,
wie sie's vor dem Krieg gewesen;
lvas am Venezueler Strand
vor sich geht, ist Euch bekannt
Und daß Bruder Jonathan
Uns so hämisch, als er kann,
Schadet mit perfide»» Ränken,
Kamt sich Jeder selber denken!
Item: es ist wieder ein
Hochgenuß, ein Mensch zu sein!
»rrodot
Deutschland, England und Venezuela R- Pfeiffer
Ceidienpbantasie aus Ungarn
Der ungarische Ministerpräsident v. Szell hat sich unter deutlicher
Rücksichtnahme auf die Llerikalen entschieden gegen die Einführung der
Leichenverbrennung ausgesprochen.
Leichen zu verbrennen, hat die Mutter Kirche
Unter Anathemen streng verpönt,
'Darum laffe jeder Christ sich nur begraben ...
Wie von Jugend auf er es gewöhnt!
Diesem hohen Machtgebot der Clerikalen
Hält iin freien Magyarenland
Nicht eimnal des Herrn von Szell, des Präsidenten,
Vielgerühmter Liberalismus Stand!
Laratom! Es hieße Mutter Kirche kränken.
Die noch niemols Todte hot verbrannt,
Ober einstens »»msomehr dafür Lebend'ge
Auf die Scheiterhaufen Hot gesandt!
Auf die Flomme hoben Onspruch
Hexen, Ketzer,
Orge Kirchenfeinde nur seit je!
Fromme Christen brauchen ganz
allani Würmel
Ols Bestottungsart I Teremtete!
Krokodil