Nr. 4
JUGEND
1903
„Sehr wohl, gnädiges Fräulein!"
Er langte in die Tasche, packte zwei Mäuse in
eine Papierdüte und händigte sie ihr ein. Viola
bezahlte, raffte ihr Kleid wieder zusammen, nickte
mit dem Kopf und schritt davon. Der überaus harm-
lose junge Mann sah ihr lächelnd nach, bis ihr rosa
Kostüm in der Menge verschwand. Dann tupfte er
dem Mäuschen ans dem Brett wieder aus den Kops
und liest es springen. Tag für Tag stand er so am
Broadway und liest sein Mäuschen springen. Da an
einem Vormittag erblickte er wiederum die reizende
Unbekannte. Diesmal war sie von einer Freundin
begleitet. Sie schritten aus ihn zu und kausten jede
drei Mäuschen. Viola meinte, ihre drei Mäuse
wären sür die Kinder der Hausmeisterin. Aber sie
konnte ihre Mäuse nicht mitnehme». Ob er sic am
Abend nach ihrer Wohnung bringen könnte. Das
Fahrgeld würde sie ihm sosort bezahlen, selbstver-
ständlich. Er willigte ein und sie gab ihm ihre
Karte mit der Wohnung darauf. Am Abend niachte
er sich aus den Weg. Er nahm nicht die Straßen-
bahn, sondern ging zu Fuß, um das Geld zu sparen.
Viola Jansen wohnle in der Madison Avenue, nicht
gar so weit vom Broadway, in einem Hause, das
ihm unsagbar elegant erschien mit seinen Wänden
aus poliertem Marmor und den rothen Teppichen
in der Halle und aus den Treppen. Ein Fahrstuhl,
von einem Neger in grauer Uniform bedient, führte
nach oben. Anfangs schien der Schwarze nicht ge-
neigt, den jungen Mann nach oben zu lassen. Erst
als dieser erklärte, er habe bei Fräulein Jansen Et-
>vas abzuliefer», schob ihn der Schwarze in den Fahr-
stuhl. Violas Wohnung lag im vierten Stockwerk.
„Grade zur Linken!" sagte der Schwarze, warf
rasselnd die eiserne Gitterthür zu, vor welcher der
Auszug gehalten hatte, und schoß wieder geräuschlos
nach unten. Als der junge Mann auf den Knopf
der elektrischen Klingel gedrückt hatte, öffnete eine
Schwarze. Sie hatte ein feines weißes Schürzchen
vor und ein feines weißes Häubchen auf. Sie liest
ihre schwarzen Augen unheimlich an dem jungen
Deutschen herunter und wieder herausrollen und
sagte Nichts als: „Nu—u—n!" Der kratzte sein
bestes Englisch zusammen und sagte:
„Ich bin der Mann mit den springenden Mäus-
chen. Hier sind sic."
„Ah so — treten Sic hier ein."
Sie öffnete die Thür zu dem nächsten Zimmer.
Es war das reizendste Zimmer, das er in
seinem Leben gesehen hatte, mattblau. Bequem
gepolsterte Lehnstühle standen darin und ein
weicher Divan mit bunten türkischen Kissen und
daneben eine Palme und überall eine Menge
Figuren und Figürchen, von denen die meisten
weiblichen Geschlechts waren und Nichts an-
hatten. In der Ecke stand ein ausgeschlagenes
Piano und Note» aus dem Notenpult, llnb
es duftete überall »ach Mang-Mang und aus
irgend einem Zimmer weiter hinten klang ge-
dämpst eine lustig trällernde ivcibliche Stimme,
sein und glockenrein. Und inmitten all dieser
Herrlichkeit stand er in seinem schäbigen Anzug
und mit de» ungeputzten staubigen Schuhen
und dem ehemals gelben, verbogenen Stroh-
hnt. Er sah sich im Spiegel und sand sich äußerst
unpassend, äußerst lächerlich.
„Oh, da sind Sie!" sagte eine Stimme
hinter ihm. Es >var die überaus niedliche
Viola. Jetzt aber hatte sie ei» schwarzes Seiden-
kleid an und eine etwas freche Bluse mit halben
Aermeln aus rahmfarbiger Spitze aus rosa
Seide gesetzt, so das; es aussah, als säße die
Spitze gleich aus der Haut, lind sie trug einen
Hut mit lauter Rosenknöpscn drauf. War sie
grade gekommen oder wollte sie grade Fort-
gehen?
„Hier sind die Mäuse, gnädiges Fräulein!"
sagte er, öffnete seine lederne Tasche und reichte
ihr die Düte mit den Mäusen.
„Ich danke Ihnen. Aber setzen Sie sich
einen Augenblick!" Sie deutete auf einen
Stuhl und drückte aus einen Knops an der
Wand.
„Sie trinkeir ein Glas Bier, thun Sie?" fragte
sic lächelnd. Er bejahte. Die Schwarze erschien.
„Mamie," sagte Viola, „bringen Sic eine Flasche
Bier!" Dann nahm sie auf dem Pianostuhl Platz,
auf dein sie sich zunächst blitzschnell im Kreise drehte,
um niedriger zu sitzen. Nun tvollte sie wissen, >vo
er herkäme, warum er ans Deutschland fortgcgangcn
wäre und was er in Amerika zu thun gedächte.
Inzwischen erschien Mamie mit einem silbernen
Brett und der Flasche Bier. Viola schenkte das
Glas voll und reichte es ihm.
„Gesundheit!" sagte sie lachend. „Das ist, was
die Deitschen sagen, thun sie nich?"
„Ja, das thun sie!" bestätigte er freundlich.
„Und was is Ihr Name?" fragte sie weiter.
Dieser überaus harmlose junge Man» >var so drollig.
Seine Harmlosigkeit reizte sie, denn sie war so un-
amerikanisch.
„Franz Steinberg."
„Warum heisten Sie nich Fritz. Das ist so ein
schecner Name, wissen Sie?" Franz wünschte im
Stillen, er hieße Fritz. Und immer fragte sie, immer
mehr. Dann sagte sie ihm, sie müßte in's Theater.
Ob er nicht auch Lust hätte, ins Theater zu gehen?
„Sehr große Lust, gnädiges Fräulein!" meinte
Franz. Sie eilte ins Nebenzimmer er hörte sie aus
einem Schreibzeug herum klappern. Gleich daraus
erschien sie wieder in der Thür.
„Wollen Sie mit Ihr bestes Mädchen gehen?"
fragte sie lachend. Er wußte, daß sie das aus dem
Englischen übersetzte und seinen Schatz meinte.
„Mit meinem Schatz?" fragte er. „Ich habe keinen
Schatz."
„Oh, Sie haben kein Schatz? Denn also nur
fir Einen. Gut!" Und fort war sie wieder. Nach
einigen Minuten kam sie zurück und händigte ihm
ihre Karte ein. Er brauchte das nur an der Kasse
abzugeben und man würde ihm einen Sitz darauf-
hin geben. Dann kaufte sie ihm noch zehn Mäuse
ab, die sie für einen-Ausflug von Schulkindern
haben wollte, und verabschiedete ihn. Als Franz
am nächsten Morgen in seinem ärmlichen Dach-
zimmer auf der ärmlichen Ostscite der Stadt ertvachte,
hatte er einen wunderbaren Traum gehabt: von
einer schönen Prinzessin, die ihn, den armen Mäuse-
verkäufer, in ihr herrliches Schloß genommen und
ihm sämmtliche Mäuse abgekauft und ihn dann zu
einem köstlichen Mahl eingcladen hatte. Den nächsten
Abend war er im Knickerbocker-Theater. Er hatte sich
so sein wie möglich gemacht. Von seinem Sitz auf
dein Balkon konnte er vortrefflich sehen. Als Viola
austrat, fühlte er sein Herz stürmisch klopfen. Sie
gab eine türkische Tänzerin in Tricots. Darüber trug
sie ein durchsichtiges schwarzes Kostüm mit goldenen
Sternen besetzt.
„Ach. >vie bezaubernd sie aussieht," dachte Franz,
„noch hundertmal bezaubernder als sonst!" Nach
ihrem Austritts-Liede klatschte er wie besessen in seine
großen Hände, so daß seine alte Nachbarin ihn miß-
billigend von der Seite ansah. Aber er sah nur Viola
und wie sie sich lächelnd nach allen Seiten bedankte,
schien es ihm, als ob sic einmal zu ihm hinaufgelächelt
hätte. Von nun an ging ihm Viola nicht mehr ans
dem Kops. Er sagte sich zunächst, daß er sich sür die
Vorstellung noch eigens bedanken müsse, und er that
das in einem schönen Brief mit dem drolligsten Eng-
lisch. Als der Brief ankam, war grade Violas Freund
Morton bei ihr, der ein Geschäft daraus machte, die
Zeitungen mit Reklame-Notizen über die Leute vom
Theater zu versorgen. Sie schüttelten sich vor Lachen
über den Brief.
„Geben Sie mir den Brief, Fräulein Jansen!"
bat Morton. „Ich veröffentliche ihn. Das gibt eine
herrliche Reklame für Sie, eine herrliche Reklame."
„Ach!" sagte die überaus niedliche Viola, „dies
ist zu geringfügig. Vielleicht schreibt er noch mehr.
Ich werde ihm Spasses halber antworten."
Sie beantwortete den Brief thatsächlich mit einigen
nichtssagenden Worten, worin sie Franz sür sein be-
geistertes Lob ihrer Leistung aus der Bühne dankte.
Als der harmlose Franz diesen Brief erhielt, aus
duftigem rosa Papier geschrieben, war er wie närrisch
vor Freude. Es dauerte auch gar nicht lange, so
erhielt Viola einen zweiten Brief. Dari» theille
er ihr mit, daß er sich erlauben werde, ihr dem-
nächst zwei weiße Mäuschen „zu Füßen zu legen",
da er jetzt auch weiße Mäuschen verkaufe. Die weißen
Mäuschen trafen auch einige Tage später richtig ein.
Er hatte sic unten im Hause bei dem Sästvarzen ab-
gegeben, der de» Fahrstuhl bediente. Aus diesen Brics
erhielt er keine Antwort. Er wartete und wartete.
Er erhielt keine Antwort. So schrieb er in seiner
großen Harmlosigkeit einen neuen Brief und fragte
an, ob Viola seinen Brief und die beiden weißen
Mäuschen richtig erhalten habe. Da sic ihm nicht
geantwortet habe, so besürchte er, daß Brief und
Mäuschen verloren gegangen seien. Er fügte
hinzu, daß ihn dies sehr beunruhige, daß er
immerfort au sie denke und ihm Nichts solche
Freude bereiten tverde als sie lviedersehen zu
dürsen. Auch hierauf kam keine Antwort. Das
war dem harmlosen Franz unerklärlich und er
dachte unablässig daran, wenn er Tags über
am Broadway stand und seine weiße Maus
springen ließ. Dabei ließ er seine Augen
unausgesetzt über die Menge schiveifen, die an
ihm vorüberzog. Vielleicht kam sie, um sich
persönlich zu bedanken und ihm wieder einige
Mäuse abznkausen. Oder hatte sie ihn ver-
gessen? Doch wohl kaum. Denn es kamen
ausfällig viele Danien und kausten ihm seine
Mäuse ab. Eine von ihnen erwähnte dabei
Viola und lachte. Also mußten es Freun-
dinnen Violas sein, die von ihr geschickt waren.
lind eines Nachmittags stand dem Mann
mit den springenden Mäuschen das Herz still.
Viola kam daher, ganz wie ftüher, lächelnd,
das Kleid graziös mit der Linken zusammen-
gerasst. Und Alles drehte sich wieder nach ihr
um und freute sich. Und sie nickte ihm zu und
rauschte vorüber. Der arme Franz war erst
rvth geworden, dann weiß wie ein Schimmel.
Sie war nicht stehen geblieben . Am Ende that
sie es, wenn sie zurückkam? Eine Stunde ver-
ging nach der andern. Ununterbrochen tupfte
er dem Mäuschen aus de» Kops und spähte
den Broadway hinunter. Aber Viola kam nicht
zurück. Um sechs Uhr packte er seine Mäuschen
ein, klappte die Ledertasche zu und schlich nach
Hause. Er beschloß, ihr eine» eingeschriebenen
Brief, einen recht lieben und netten Brief zu
sende» und noch zwei Mäuschen in ihrem
Hm Dobnenstieg l. Hohiwein
Unbefugten ist der Zutritt verboten!
JUGEND
1903
„Sehr wohl, gnädiges Fräulein!"
Er langte in die Tasche, packte zwei Mäuse in
eine Papierdüte und händigte sie ihr ein. Viola
bezahlte, raffte ihr Kleid wieder zusammen, nickte
mit dem Kopf und schritt davon. Der überaus harm-
lose junge Mann sah ihr lächelnd nach, bis ihr rosa
Kostüm in der Menge verschwand. Dann tupfte er
dem Mäuschen ans dem Brett wieder aus den Kops
und liest es springen. Tag für Tag stand er so am
Broadway und liest sein Mäuschen springen. Da an
einem Vormittag erblickte er wiederum die reizende
Unbekannte. Diesmal war sie von einer Freundin
begleitet. Sie schritten aus ihn zu und kausten jede
drei Mäuschen. Viola meinte, ihre drei Mäuse
wären sür die Kinder der Hausmeisterin. Aber sie
konnte ihre Mäuse nicht mitnehme». Ob er sic am
Abend nach ihrer Wohnung bringen könnte. Das
Fahrgeld würde sie ihm sosort bezahlen, selbstver-
ständlich. Er willigte ein und sie gab ihm ihre
Karte mit der Wohnung darauf. Am Abend niachte
er sich aus den Weg. Er nahm nicht die Straßen-
bahn, sondern ging zu Fuß, um das Geld zu sparen.
Viola Jansen wohnle in der Madison Avenue, nicht
gar so weit vom Broadway, in einem Hause, das
ihm unsagbar elegant erschien mit seinen Wänden
aus poliertem Marmor und den rothen Teppichen
in der Halle und aus den Treppen. Ein Fahrstuhl,
von einem Neger in grauer Uniform bedient, führte
nach oben. Anfangs schien der Schwarze nicht ge-
neigt, den jungen Mann nach oben zu lassen. Erst
als dieser erklärte, er habe bei Fräulein Jansen Et-
>vas abzuliefer», schob ihn der Schwarze in den Fahr-
stuhl. Violas Wohnung lag im vierten Stockwerk.
„Grade zur Linken!" sagte der Schwarze, warf
rasselnd die eiserne Gitterthür zu, vor welcher der
Auszug gehalten hatte, und schoß wieder geräuschlos
nach unten. Als der junge Mann auf den Knopf
der elektrischen Klingel gedrückt hatte, öffnete eine
Schwarze. Sie hatte ein feines weißes Schürzchen
vor und ein feines weißes Häubchen auf. Sie liest
ihre schwarzen Augen unheimlich an dem jungen
Deutschen herunter und wieder herausrollen und
sagte Nichts als: „Nu—u—n!" Der kratzte sein
bestes Englisch zusammen und sagte:
„Ich bin der Mann mit den springenden Mäus-
chen. Hier sind sic."
„Ah so — treten Sic hier ein."
Sie öffnete die Thür zu dem nächsten Zimmer.
Es war das reizendste Zimmer, das er in
seinem Leben gesehen hatte, mattblau. Bequem
gepolsterte Lehnstühle standen darin und ein
weicher Divan mit bunten türkischen Kissen und
daneben eine Palme und überall eine Menge
Figuren und Figürchen, von denen die meisten
weiblichen Geschlechts waren und Nichts an-
hatten. In der Ecke stand ein ausgeschlagenes
Piano und Note» aus dem Notenpult, llnb
es duftete überall »ach Mang-Mang und aus
irgend einem Zimmer weiter hinten klang ge-
dämpst eine lustig trällernde ivcibliche Stimme,
sein und glockenrein. Und inmitten all dieser
Herrlichkeit stand er in seinem schäbigen Anzug
und mit de» ungeputzten staubigen Schuhen
und dem ehemals gelben, verbogenen Stroh-
hnt. Er sah sich im Spiegel und sand sich äußerst
unpassend, äußerst lächerlich.
„Oh, da sind Sie!" sagte eine Stimme
hinter ihm. Es >var die überaus niedliche
Viola. Jetzt aber hatte sie ei» schwarzes Seiden-
kleid an und eine etwas freche Bluse mit halben
Aermeln aus rahmfarbiger Spitze aus rosa
Seide gesetzt, so das; es aussah, als säße die
Spitze gleich aus der Haut, lind sie trug einen
Hut mit lauter Rosenknöpscn drauf. War sie
grade gekommen oder wollte sie grade Fort-
gehen?
„Hier sind die Mäuse, gnädiges Fräulein!"
sagte er, öffnete seine lederne Tasche und reichte
ihr die Düte mit den Mäusen.
„Ich danke Ihnen. Aber setzen Sie sich
einen Augenblick!" Sie deutete auf einen
Stuhl und drückte aus einen Knops an der
Wand.
„Sie trinkeir ein Glas Bier, thun Sie?" fragte
sic lächelnd. Er bejahte. Die Schwarze erschien.
„Mamie," sagte Viola, „bringen Sic eine Flasche
Bier!" Dann nahm sie auf dem Pianostuhl Platz,
auf dein sie sich zunächst blitzschnell im Kreise drehte,
um niedriger zu sitzen. Nun tvollte sie wissen, >vo
er herkäme, warum er ans Deutschland fortgcgangcn
wäre und was er in Amerika zu thun gedächte.
Inzwischen erschien Mamie mit einem silbernen
Brett und der Flasche Bier. Viola schenkte das
Glas voll und reichte es ihm.
„Gesundheit!" sagte sie lachend. „Das ist, was
die Deitschen sagen, thun sie nich?"
„Ja, das thun sie!" bestätigte er freundlich.
„Und was is Ihr Name?" fragte sie weiter.
Dieser überaus harmlose junge Man» >var so drollig.
Seine Harmlosigkeit reizte sie, denn sie war so un-
amerikanisch.
„Franz Steinberg."
„Warum heisten Sie nich Fritz. Das ist so ein
schecner Name, wissen Sie?" Franz wünschte im
Stillen, er hieße Fritz. Und immer fragte sie, immer
mehr. Dann sagte sie ihm, sie müßte in's Theater.
Ob er nicht auch Lust hätte, ins Theater zu gehen?
„Sehr große Lust, gnädiges Fräulein!" meinte
Franz. Sie eilte ins Nebenzimmer er hörte sie aus
einem Schreibzeug herum klappern. Gleich daraus
erschien sie wieder in der Thür.
„Wollen Sie mit Ihr bestes Mädchen gehen?"
fragte sie lachend. Er wußte, daß sie das aus dem
Englischen übersetzte und seinen Schatz meinte.
„Mit meinem Schatz?" fragte er. „Ich habe keinen
Schatz."
„Oh, Sie haben kein Schatz? Denn also nur
fir Einen. Gut!" Und fort war sie wieder. Nach
einigen Minuten kam sie zurück und händigte ihm
ihre Karte ein. Er brauchte das nur an der Kasse
abzugeben und man würde ihm einen Sitz darauf-
hin geben. Dann kaufte sie ihm noch zehn Mäuse
ab, die sie für einen-Ausflug von Schulkindern
haben wollte, und verabschiedete ihn. Als Franz
am nächsten Morgen in seinem ärmlichen Dach-
zimmer auf der ärmlichen Ostscite der Stadt ertvachte,
hatte er einen wunderbaren Traum gehabt: von
einer schönen Prinzessin, die ihn, den armen Mäuse-
verkäufer, in ihr herrliches Schloß genommen und
ihm sämmtliche Mäuse abgekauft und ihn dann zu
einem köstlichen Mahl eingcladen hatte. Den nächsten
Abend war er im Knickerbocker-Theater. Er hatte sich
so sein wie möglich gemacht. Von seinem Sitz auf
dein Balkon konnte er vortrefflich sehen. Als Viola
austrat, fühlte er sein Herz stürmisch klopfen. Sie
gab eine türkische Tänzerin in Tricots. Darüber trug
sie ein durchsichtiges schwarzes Kostüm mit goldenen
Sternen besetzt.
„Ach. >vie bezaubernd sie aussieht," dachte Franz,
„noch hundertmal bezaubernder als sonst!" Nach
ihrem Austritts-Liede klatschte er wie besessen in seine
großen Hände, so daß seine alte Nachbarin ihn miß-
billigend von der Seite ansah. Aber er sah nur Viola
und wie sie sich lächelnd nach allen Seiten bedankte,
schien es ihm, als ob sic einmal zu ihm hinaufgelächelt
hätte. Von nun an ging ihm Viola nicht mehr ans
dem Kops. Er sagte sich zunächst, daß er sich sür die
Vorstellung noch eigens bedanken müsse, und er that
das in einem schönen Brief mit dem drolligsten Eng-
lisch. Als der Brief ankam, war grade Violas Freund
Morton bei ihr, der ein Geschäft daraus machte, die
Zeitungen mit Reklame-Notizen über die Leute vom
Theater zu versorgen. Sie schüttelten sich vor Lachen
über den Brief.
„Geben Sie mir den Brief, Fräulein Jansen!"
bat Morton. „Ich veröffentliche ihn. Das gibt eine
herrliche Reklame für Sie, eine herrliche Reklame."
„Ach!" sagte die überaus niedliche Viola, „dies
ist zu geringfügig. Vielleicht schreibt er noch mehr.
Ich werde ihm Spasses halber antworten."
Sie beantwortete den Brief thatsächlich mit einigen
nichtssagenden Worten, worin sie Franz sür sein be-
geistertes Lob ihrer Leistung aus der Bühne dankte.
Als der harmlose Franz diesen Brief erhielt, aus
duftigem rosa Papier geschrieben, war er wie närrisch
vor Freude. Es dauerte auch gar nicht lange, so
erhielt Viola einen zweiten Brief. Dari» theille
er ihr mit, daß er sich erlauben werde, ihr dem-
nächst zwei weiße Mäuschen „zu Füßen zu legen",
da er jetzt auch weiße Mäuschen verkaufe. Die weißen
Mäuschen trafen auch einige Tage später richtig ein.
Er hatte sic unten im Hause bei dem Sästvarzen ab-
gegeben, der de» Fahrstuhl bediente. Aus diesen Brics
erhielt er keine Antwort. Er wartete und wartete.
Er erhielt keine Antwort. So schrieb er in seiner
großen Harmlosigkeit einen neuen Brief und fragte
an, ob Viola seinen Brief und die beiden weißen
Mäuschen richtig erhalten habe. Da sic ihm nicht
geantwortet habe, so besürchte er, daß Brief und
Mäuschen verloren gegangen seien. Er fügte
hinzu, daß ihn dies sehr beunruhige, daß er
immerfort au sie denke und ihm Nichts solche
Freude bereiten tverde als sie lviedersehen zu
dürsen. Auch hierauf kam keine Antwort. Das
war dem harmlosen Franz unerklärlich und er
dachte unablässig daran, wenn er Tags über
am Broadway stand und seine weiße Maus
springen ließ. Dabei ließ er seine Augen
unausgesetzt über die Menge schiveifen, die an
ihm vorüberzog. Vielleicht kam sie, um sich
persönlich zu bedanken und ihm wieder einige
Mäuse abznkausen. Oder hatte sie ihn ver-
gessen? Doch wohl kaum. Denn es kamen
ausfällig viele Danien und kausten ihm seine
Mäuse ab. Eine von ihnen erwähnte dabei
Viola und lachte. Also mußten es Freun-
dinnen Violas sein, die von ihr geschickt waren.
lind eines Nachmittags stand dem Mann
mit den springenden Mäuschen das Herz still.
Viola kam daher, ganz wie ftüher, lächelnd,
das Kleid graziös mit der Linken zusammen-
gerasst. Und Alles drehte sich wieder nach ihr
um und freute sich. Und sie nickte ihm zu und
rauschte vorüber. Der arme Franz war erst
rvth geworden, dann weiß wie ein Schimmel.
Sie war nicht stehen geblieben . Am Ende that
sie es, wenn sie zurückkam? Eine Stunde ver-
ging nach der andern. Ununterbrochen tupfte
er dem Mäuschen aus de» Kops und spähte
den Broadway hinunter. Aber Viola kam nicht
zurück. Um sechs Uhr packte er seine Mäuschen
ein, klappte die Ledertasche zu und schlich nach
Hause. Er beschloß, ihr eine» eingeschriebenen
Brief, einen recht lieben und netten Brief zu
sende» und noch zwei Mäuschen in ihrem
Hm Dobnenstieg l. Hohiwein
Unbefugten ist der Zutritt verboten!