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Nr. 4

1903

Oie (üitzblätter

Die Berliner „Pos!" sieh! in Sen deutschen Mtz-
biätkern eine nationale und internationale Gefahr und
meint, daß ihre Zerrbilder und Karikaturen geeignet
seien, im Auslande über die Stimmungen und Zu-
stände im Deutschen Reiche Vorstellungen zu erwecken,
deren Rückwirkung nur schädlich sein könne.

Ballt in der Tasche eure Faust,

Ihr Griffelkünstler und Poeten —

Doch öffentlich sei's euch verbeten,

Daß ihr den deutschen Michel zaust!

Bedenkt es, ihr frivolen Blätter,

Daß man bis jetzt im Ausland glaubt,

In Deutschland gab' es überhaupt
Gar niemals keinen Stoff für Spötter!

Der Brite, Russe und Franzos,

Die meinten ganz gewiß bis dato,

Das deutsche Reich sei ein Dorado,

Darin sich's lebe ganz famos.

Sie meinten, hier zu Lande dulden
Die ärmsten Leute keine Not,

Und Freiheit gäb's und Licht und Brot
Und keine Steuern, keine Schulden!

Und unser Reichstag sei ein Port
Des Rechtes und urbaner Sitten
Und unsre Staatsanwälte litten
voll Toleranz das frei'ste Wort!

Und Pfaffen gäb es nicht und Junker
Und Schranzenvolk, das intriguiert
Und lügt und kriecht, damit man's ziert
Mit einem bunten Brdensklunker!

So glaubten sie im Ausland, ach!

Wir waren ihnen so sympathisch —

Nun weist ihr ihnen stystematisch
Doll Bosheit unsre Schwächen nach!

Sie wissen es durch euch alleine —

Wo hätten sie es sonst auch her? —

Daß Michel doch bedeutend mehr
Achillesfersen hat, als Beine! Hans

Pharisäer!

In Bad Elster geht man mit dem Gedanken
um, den nach der Kronprinzessin von Sach-
sen benannten Luisensee — umzutaufen. Viel-
leicht taufen sie ihn jetzt nach irgend einem from-
men und tugendhaften sächsischen LandcZvatcr,
z. B. nach August dem Starken!

ver Collwut Bazillus

ist vom Professor Sormani in Pavia entdeckt
worden. Wie wär's, wenn man die Sache zu-
nächst einmal mit einer Impfung von Rudyard
Kipling versuchen wollte?

Secessionsmalerei

Die Münchner und Berliner Secession, welche
bisher gemeinsam ausgestellt hatten, haben sich über-
worfen und definitiv getrennt. Die Mitglieder der einen
sind aus der andern ausgetreten. Line ziemlich scharfe
Zeitungspolemik ist die Holge.

Es waren zwei Seccssioncn,

Von München und von Berlin,

Die konnten zusammen nicht wohnen,

Sie waren einander nicht grün.

Und weil das stvörrlein „Sich scheiden"
Enthalten im Namen schon,

So gab es zwischen den Beiden
Eine gründliche „Secession".

Nun malt wieder jede alleinig
Und jede etwas Apart's;

Nur Eines malen sie einig:

Einander möglichst schwarz!

A. I». K.

. JUGEND -

Der neue MltarH

„Nun, Michele," sagte ein Lehrer, „nenne
mir ein paar Zeitwörter auf iercn!"

„Blockieren, bombardieren, blamieren."

„Wenn ich nur wüßte, was ich meinen Sohn
studieren lassen soll?" fragte Arxad Schrnid-
hainrner den Verfasser des .Neuen Plutarch'.

„Lassen Sie ihn Sprachlehrer werden,
da stehen ihm die höchsten Lrcise offen,"
meinte letzterer.

..wie kann denn di Fünfminuren-Aede-
zcit im Reichstage genau konrrollirr werden?"
interviewte ein Journalist den Präsidenten
Ballcftrcm.

„Ganz einfach — indem man sogenannte
,Fünfminuten-Bcenner' bei Beginn jeder
Rede anzündct", war die Antwort.

kossbeef!

Der Berliner Tierschutzvercin veranstaltete ein großes
Pferdefleisch-Probeessen, an dem 602 Personen
teilnahmen, welche alle pferdefleischgerlchke als vor-
züglich anerkannten.

Das Fleisch der Pferde, wie wir wissen —
Gbwohl man's meistens gar nicht kennt! —
Zählt zweifellos zu jenen Bissen,

Die man den Andern lieber gönnt!

wenn Liner davon spricht am Theetisch,
Ruft Alles gleich: „Fi donc!“ und „Schluß!" —
Trotzdem ist Jeder theoretisch
Doch für den Pferdefleischgenuß.

„Ls nimmt ein Roß," so spricht der weise,
„Nur saubre Pflanzennahrung ein,

Indes mit widerlichster Speise
Sich mästet das beliebte Schwein!"

Doch unzugänglich solchen Schlüffen
Bleibt mehrstenteils das Volk und denkt:

„Da faselt ihr uns von Genüssen —

Und mögt sie selber nicht geschenkt!" —

„Nein!" sagte sich da in Berlin der
Tierschutzverein, „so sind wir nicht!

Lin gutes Beispiel für die Kinder
Des Volkes wird uns jetzt zur Pflicht!"

Und sieh: 600 Menschen drängen
Sich, für dies hehre Ziel entflamint,

<7>u einem Mahl von vielen Gängen.

Das ganz und gar dem Roß entstammt!

Ulan fand es köstlich, fand's ergötzlich,
wohlschmeckend, nahrhaft und gesund —

Kein Einziger empfahl sich plötzlich
Mit seinem Schnupftuch vor dem Mund.

Man war nach gründlicher Betrachtung
Dem Urteil allerseits geneigt,

Daß ganz mit Recht in unsrer Achtung
Fortan das edle S ch l a ch t-Roß steigt I
G! Ihr Berliner Roßfleischesser,

Ich grüße Luch mit Sympathie:

Durch grüne Praxis wirkt Ihr besser,

Als durch die graue Theorie!

Luch ziemt der Lorbeer, ohne Frage,
wenn die soziale Tat gelingt
Und wenn der Gaul jetzt, sozusagen
In immer weitste Kreise dringt!

Jetzt will auch ich kein Kostverächter
Mehr sein und kaufe morgen früh
Mir furchtlos auch beim Pferdcschlächter
Lin Stück vom besten pottehü.

Das schiebe ich mit Salz und Butter
Und Wurzelwcrk ins Bratenrohr
Und setz' es meiner Schwiegermutter
Am Sonntag dann als Roastbeef vor!

Biedermeier mit si

llltrainontane Embryologie

Max Lorenz hat in No. 17 des „Tag"
eine Lanze für die Superioritat des Katho-
lizismus gegenüber der Wissenschaft ein-
gelegt. Zwischen diesen beiden könne gar nicht
die Frage zum Austrag gebracht werde», wer
die „Wahrheit", die wirkliche Wahrheit lehre;
die Entscheidung hange letzten Endes davon ab,
wer über die Seelen der Menschen
Macht gewinne, und je nachdem, von welcher
Macht die Seelen erobert seien, machen die
Menschen sich dann ihre „Wissenschaft".

In diesen und ähnlichen Ausführungen steckt
ein tiefer Sinn, nämlich der, daß wir einer
zunehmenden Verwilderung des grundlegenden
Denkens verfallen. Von der au sich richtigen
Thatsache ausgehend, daß die Wissenschaft nicht
de» Anspruch erheben könne, unfehlbare,
unabänderliche Wcrthe zu schaffen, kommt
Lorenz zu t. n, Satze: „Eine voraussetzungslose
Forschung gibt es nicht!" — Daß aber hier
überall nur vom Willen, oder sagen wir noch
deutlicher vom guten Willen zur Voraus-
setzungslosigkeit die Rede sein sollte, das
wird von ihm wie so vielen anderen übersehen.
Dieser „gute Wille" muß ein unbegrenzter,
ein durch keinerlei konfessionelle Satz-
ungen und Vorurtheile eingeschränkter
sein, wenn von „reiner" Wissenschaft auch nur
enffcrnt die Rede sein soll.

Nehmen wir z. B. die Embryologie, eine
der allerneuesten und sieghaftesten Wissenschaften.
Da lese ich eben einige Sätze aus der „Maricn-
verehrung" des Redemptoristeupaters Georg
Freund, die 1901 in dritter Austage von der
Alphonsus-Buchhandlung in Münster heraus-
gegebc» wurde. Auf Seite 58 heißt cs: „Maria
hatte schon den freien Gebrauch des Ver-
standes, bevor sie das Licht der Welt
erblickte, im Schooß ihrer Mutter Anna.
Wir dürfen annehmen, daß sie noch ungeboren
schon weit mehr von Gott wußte und vom
Jenseits, von des Menschen Ziel und Ende,
von den Mitteln, das Ziel zu erreichen, als
die größten Geister nach jahrelangem Denken,
Studieren und Beten wissen." Und Seite 92
wird gesagt: „Es ist eine ganz allgemeine
Lehre großer Theologen, daß sie (Maria)

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Index
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Arpad Schmidhammer: Illustrationen zum Text "Der neue Plutarch"
Fritz Frh. v. Ostini: Pharisäer!
Fritz Frh. v. Ostini: Der Tollwuth-Bazillus
Hanns (Hans): Die Witzblätter
A. D. N.: Sezessionsmalerei
Georg Hirth: Ultramontane Embryologie
Biedermeier mit ei: Rossbeef!
 
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