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Der SmNeälerkrebs

ffRian kann Einsiedler sein, auch ohne daß man in
einer düstern Klause in der Einöde wohnt. Man
kann im lautesten Getriebe der Großstadt, unter Millionen
Menschen leben und doch einsam sein, wenn man suhlen
muß, daß keiner unserm Herzen verwandt ist. Diese Einsam-
keit ist die härteste, ist am schwersten zu tragen.

Ls gibt aber auch eine Einsamkeit, die die unerläßliche Vor-
bedingung zur Einkehr in sich selbst ist, zur Sammlung, ohne
die kein großes Werk gethan werden kann. Grillparzer nennt
die Sammlung:

„ ... den mächt'gen Weltenhebel,

Der alles Große tausendfach erhöht

lind selbst das Kleine näherrückt den Sternen.

Des Helden That, des Sängers heilig Lied,

Des Sehers Schau», der Gottheit Spur und walten,

Die Sammlung hat's gethan und hat's erkannt,

Und die Zerstreuung nur verkennt'? und spottet."

Im Kaffeehaus dichtet man keine „Göttliche Komödie",
keinen „Faust", komxonirt man keinen „Ring des Nibelungen."
wer sich selber finden und aus sich herausschaffen will, muß wie
Zarathustra in seine Höhle sich zurückziehen können. Die schwere
Kunst ist nur, zur rechten Zeit wieder ans dieser Höhle herauszn-
treten, damit man das Leben nicht verpaßt, dem alle gute That ent-
springt und dient. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Schaffen-
den, der einsam sein will, um Kräfte und Gedanken aufzuspeichern,
und dem Hypochonder, der sich in seine Behausung einspinnt, rein
aus Bequemlichkeit oder Geiz, der die Menschen Hassenswerth findet,
ohne sich Rechenschaft abzulegcn, ob denn nicht sein eigenes Ge-
haben schuld daran ist, wenn die Andern ihm so begegnen.

Mein Freund Hans war der beste Kerl von der Welt, aber
es lag die Gefahr nahe, daß er Hypochonder werden würde. Er
war begabt und außerordentlich fleißig. Die letzten Jahre hatten
ihm einige widerliche, ja traurige Ereignisse gebracht. So war er
allmählich der Geselligkeit entfremdet und fühlte sich jetzt wohl in
seiner Höhle. Ich war ernstlich besorgt um ihn. Jene Wunden
mußten doch längst vernarbt sein, und schließlich konnte er doch
keine solchen Großthaten Vorhaben, die seine schon nicht mehr weise,
sondern schrullenhafte Zurückgezogenheit gerechtfertigt hätten. Alles
Zureden und alles Spotten half nicht.

Er posirtc den Einsamen und Unverstandene». Ein Spaß-
vogel, der sich angelegentlich damit befaßte, den deutschen Sprach-

schatz um neue zoologische vergleiche zu bereichern,
nannte ihn den Einsiedlerkrebs. Fortan wurde er mit
keinem andern Namen mehr angeredet. Aber er war weit
entfernt, darüber böse zu sein. Im Gegentheil, er fühlte
sich geschmeichelt und sang bei jeder unpassenden Gelegenheit
einen panegyricus auf die Einsamkeit. Dann pflegte er zu sagen:

»Ja, seht Ihr, der laute Markt ist Nichts für die feinfühligen
und tiefgründigen Seelen. Ihr nennt mich Krebs; viel besser ver-
glichet Ihr mich mit einer Schnecke. Auch ich habe die Fühler
ausgestreckt. Aber die rauhe Wirklichkeit hat mich hart gestoßen.
So habe ich mich denn in mein eigenes Hans zurückgezogen. Es
ist mir genug. Spart Luch die Mühe, mich daraus hervorznlocken!"

was war solchen Verrücktheiten gegenüber zu machen? Ich
wollte meinen Freund um jeden Preis retten und entschloß mich,
die Zuflucht zum Ewig weiblichen zu nehmen. Es kam der Lar-
»cval und ich versuchte mit Aufwand all' meiner Beredsamkeit den
Freund zum Besuch einer Redonte zu bewegen. Er hatte nur ein
Lächeln auf alle meine Vorstellungen. Es entspann sich folgendes
Gespräch zwischen uns:

Er: Ich bin froh, meine Ruhe gewonnen zu haben. Ich
habe mir das Begehren abgewöhnt. Ich mag mich nicht wieder
in den Trubel mischen, um meine wünsche wieder anzufachen und
neue Enttäuschungen zu erleben.

Ich: weißt Du, was der Marschall Samtes zn einem fran-
zösischen Dffizier gesagt hat? „Merken Sie sich, Bbcrst, daß nur
ein Feigling sich rühmt, niemals Furcht empfunden zu haben." Und
ich sage Dir, daß Deine Tugend auf den ersten Atixrall hinschwinden
wird wie Märzenschnee im warmen Föhn, so lange Du nöthig hast,
diese Tugend durch Deine Einsiedelei zu schützen, was ist das für
eine Tugend, die nicht wagt, die Feuerprobe zu bestehen? Du bist
ein Feigling, Dn rühmst Dich tugendhaft zu sein, weil Du jede
Gelegenheit fliehst, wo Du das Gegentheil werden könntest!

Er: Ich habe das Streben, ein Künstler, ein Dichter zu
werden. Ich bedarf der Einsamkeit, um mich zu sammeln.

Ich: Das ist Alles ganz schön. Aber man muß das Leben
doch kennen lernen, bevor man cs dichterisch gestalten kann. Schau
in die Welt, erfahre erst Etwas, daun sainmle Dich. Zuerst muß
man doch Etwas zum Sammeln habeti. Du willst es umgekehrt
machen: sammeln, wo Nichts ist, gestalten, was Du nicht erlebt
hast. Siehst Du nicht ein, wie verkehrt das ist? Ich muß Dir
noch Eins aus meinem Eitatenschatz versetzen. Landor, ein cng-

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Robert Engels (München)
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Robert Engels: Rahmenzeichnung
Ernst Posselt: Der Einsiedlerkrebs
 
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