JUGEN D
1903
Nr. 8
„Nu, is was los — MTeter?" —
„Nischt — die alte Seiet!"
leibliche Propaganda
„Du bist nun Mitglied des Komitees für
,Reforin der Frauen kleidun g‘, hast Du
denn hierfür praktisch schon etwas gethan?"
sagte ein Münchner Rünstler zu seiner Gattin.
„Das glaub' ich: meine fämmtlichen
Aorfetts habe ich unserm Dienstmädchen
geschenkt," erwiderte sie.
Oie „Ablösung"
(Mit Zeichnungen v. A. Schm, dH am wer)
Reine Episode des Soldatenlebens hat mich
als Livilisten jemals auch nur annähernd so er-
griffen und zum intensiven Nachdenken angeregt,
wie gerade die — „Ablösung." Sie ist mir stets
wie die (Quintessenz aller militärischen würde i nd
Verantwortlichkeit vorgekommen.
Mit wuchtigem Schritt mar,chiren die Parteien
auf einander los — ein krampfhafter Ruck bringt
sie zum Stehen. — Dann starrt man sich eine
weile lang mit einer mir gänzlich unerklärlichen,
aber desto geheimnißvolleren Aufmerksamkeit an,
die Augen quellen aus ihren Höhlen, als ob
man die innerste Faser seines vis-L-vis erkennen
wolle, Hierauf wieder ein Ruck, der meistens
noch fürchterlicher und eindrucksvoller als der
erste ist, und der vorgeschriebene Personenwechsel
erfolgt. —
Längere Zeit bin ich in dem erklärlichen Glau-
ben gewesen, daß auch nicht die geringste Spur
eines geistigen Austausches stattfindet. Schärfere
Beobachtungen haben mich indessen eines Besseren
belehrt. — Anfangs vernahm ich leise, abgebro-
chene Laute, dann ganze im Flüsterton gesprochene
Sätze. Später habe ich es durch weitere, in
nächster Nähe ausgeführte Studien sogar dahin
gebracht, gewisse sichere Schlüsse auf die Eivil-
verhältniffe der militärischen Akteure zu ziehen.
Beispielsweise hörte ich:
„Wat makst du, Pördskopp?"
„Garuuscht, du Schoapskopp!"
'•CS'
„Junge Leute" aus einem mosaischen
Manufakturwaarengeschäft.
„Oic, cur hic?“ —
„Suprema lex regis voluntas !“
Philologen im hö Heren Semester.
„Elender Scherge, hebe dich fort,
Lin besserer Mann tritt an diesen Brt!"
„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Sie ist geiveiht für alle Zeiten." —
Natürlich Schauspieler!
Dann waren da zwei — eine gewisse Dulder-
miene lag auf ihrem Antlitz — sie warfen sich
einen langen verständnißinnigen, trostlosen Blick
zu und sagten — Nichts!
E s waren (Ostpreußen aus der Gegend
des Landgestüts Trakehnen.
Das waren Sozialdemokaten!!!
«r.
BciusbciII
(mit Zeichnung von Paul Rieth)
sie kleinen Earnevalsunterhaltungen bei Bcrrtt
und Frau Doktor Pumpowski wareir in der
ganzen Lebewelt berühmt. Es gab dort nicht
nur den reichlichsten Sekt, die theuersten Eigarren,
die ausgeschnittensten Damen und den freiesten
Eonversationston — die Phantasie des gastlichen
Paares wußte auch stets für originelle Ueber-
raschungen zu sorgen. Sie scheuten keine Rosten,
wenn es galt, sich und ihre Freunde zu amllsiren.
Im Zusammenhang damit existirte bereits ein
wohlorganisirter Verein Pumpowski'scher Gläu-
biger, welcher die Rechte einer juristischen Person
und ein gemüthlich eingerichtetes Elublokal und
Billardzimmer besaß. Doch das gehört nicht hierher.
Das heutige Programm des Hausballes bei
Pumpowski lautete: Eharakterfiguren mit Prä-
miirung derjenigen Person, die ihre Rolle am
Besten durchführt! Preis: eine goldene Eigaretten-
dose! vollkommenste Maskenfreiheit garantiert!
Die hübsch geschmückte Wohnung war bereits
zum Brechen voll und eine Anzahl der Gäste
war es auch. Man debattirte schon lebhaft über
den muthmaßlichen Preisträger. Da war einer
als oller ehrlicher Seemann, der überall ein Spiel-
chen etablirte und mogelte; der Hausherr kam als
symbolischer Dichter; die Hausfrau als Madame
Humbert; Einer als Bankier Sternberg; Lineals
Lameliendame; Einer als nothleidender Agrarier;
Eine als Friedensbertha. Fritz Müller von der
Hofbllhne kam als Droschkenkutscher und sang
das Fiakerlied auf Berlinerisch. Etliche hatten
sich so gut maskirt, daß Niemand wußte, wer sie
seien. Ls war sehr gelungen.
So um zehn Uhr etwa ging die Rlingel. Der
Hausherr wurde hinausgerufen, man hörte ihn
draußen zanken, dann kam er mit rothem Gesicht
uild einem tjerrn wieder herein, auf den er halb-
laut eindringlich losredete. Der Neugekommene
trug einen prächtigen Lharakterkopf mit langer,
purpurrother Raubvogelnase, wuchtigen Brillen,
martialischem Schnurr- und Rnebelbart — und
einer Dienstmütze. Man lackte, man apxlaudirte
— er blieb feierlich ernst und sagte nur:
„Meine Herrschaften, entschuldigen Sie, wenn
ich da mein Amt ausübe — ich bin der Gerichts-
vollzieher Schnackenberger! Lassen Sie sich nicht
stören!"
Sofort ging er an's werk. Dem Hausherrn
nahm er Uhr und Rette, sowie das Portemonnaie.
Die Hausfrau mußte ihre Ringe hergeben und
nicht ohne eine gewisse Grazie heftete er ihr eine
seiner ominösen Marken mit dem Landeswappen
an den Ausschnitt ihres kostbaren Paillettes-Rleides.
„Jetzt hat sie wenigstens Etwas an!" sagte
Jemand im Hintergründe.
Herr Schnackenberger machte seine Sache präch-
tig. Er klebte sein wapperl auf's Pianino und
auf den Divan, auf den Regulator und das Buffet,
interessirte sich für das Silberzeug und die Tennis-
schläger an der wand, für Bilder und Spiegel,
Liqueurkäften und Bücherschrank, die Hängelampe
und die gypserne Venus in der Ecke! Und er
hatte eine so köstlich drollige Art, die Marke ab-
znlecken und aufzukleben, daß jedesmal stürmisches
Gelächter und Bravorufen entstand.
Schließlich hielt er ein und sagte:
„So, jetzt wird's langen!"
Er that, als ob er gehen wollte, aber man
ließ ihn natürlich nicht fort. Die Hausfrau machte
ihm ihre süßesten Angen und zog ihn auf ein
paar Minuten in's Nebenzimmer. Arm in Arm
mit ihr kam er wieder heraus.
Sein Inkognito lüftete er nicht. Auch nicht,
als man ihn an den Tisch nöthigte, ihm Sekt ein-
pumpte und eine spannenlange Henry Elay in den
Mund steckte. Schließlich war nur mehr eine
Meinung unter den Anwesenden: Der war die
beste Maske! Ihm den Preis! Und schließlich
wußten sie's auch ganz gewiß, wer er war, so
hartnäckig er auf dem Namen Schnackenberger
bestand.
Er konnte niemand anderer sein, als der Maxel
Feldmann vom Residenztheater! Der macht derlei
Sachen ja so gut, wie kein Zweiter.
Um zwölf Uhr fand die prämiirung statt. Die
schöne Hausfrau sammelt die Stimmzettel ein und
überreicht dem Darsteller des Gerichtsvollziehers
das kostbare Etui. Und wie er sich jetzt sträubte
und immer wieder betheuerte, er sei der Schnacken-
berger, bereits bedenklich lallend und schwankend
— das war einfach zum Schießen!
„Bravo, Maxel! Ausgezeichnet Maxell Maxel,
Du bist ein Mordskerl!" so tönte es durcheinander.
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1903
Nr. 8
„Nu, is was los — MTeter?" —
„Nischt — die alte Seiet!"
leibliche Propaganda
„Du bist nun Mitglied des Komitees für
,Reforin der Frauen kleidun g‘, hast Du
denn hierfür praktisch schon etwas gethan?"
sagte ein Münchner Rünstler zu seiner Gattin.
„Das glaub' ich: meine fämmtlichen
Aorfetts habe ich unserm Dienstmädchen
geschenkt," erwiderte sie.
Oie „Ablösung"
(Mit Zeichnungen v. A. Schm, dH am wer)
Reine Episode des Soldatenlebens hat mich
als Livilisten jemals auch nur annähernd so er-
griffen und zum intensiven Nachdenken angeregt,
wie gerade die — „Ablösung." Sie ist mir stets
wie die (Quintessenz aller militärischen würde i nd
Verantwortlichkeit vorgekommen.
Mit wuchtigem Schritt mar,chiren die Parteien
auf einander los — ein krampfhafter Ruck bringt
sie zum Stehen. — Dann starrt man sich eine
weile lang mit einer mir gänzlich unerklärlichen,
aber desto geheimnißvolleren Aufmerksamkeit an,
die Augen quellen aus ihren Höhlen, als ob
man die innerste Faser seines vis-L-vis erkennen
wolle, Hierauf wieder ein Ruck, der meistens
noch fürchterlicher und eindrucksvoller als der
erste ist, und der vorgeschriebene Personenwechsel
erfolgt. —
Längere Zeit bin ich in dem erklärlichen Glau-
ben gewesen, daß auch nicht die geringste Spur
eines geistigen Austausches stattfindet. Schärfere
Beobachtungen haben mich indessen eines Besseren
belehrt. — Anfangs vernahm ich leise, abgebro-
chene Laute, dann ganze im Flüsterton gesprochene
Sätze. Später habe ich es durch weitere, in
nächster Nähe ausgeführte Studien sogar dahin
gebracht, gewisse sichere Schlüsse auf die Eivil-
verhältniffe der militärischen Akteure zu ziehen.
Beispielsweise hörte ich:
„Wat makst du, Pördskopp?"
„Garuuscht, du Schoapskopp!"
'•CS'
„Junge Leute" aus einem mosaischen
Manufakturwaarengeschäft.
„Oic, cur hic?“ —
„Suprema lex regis voluntas !“
Philologen im hö Heren Semester.
„Elender Scherge, hebe dich fort,
Lin besserer Mann tritt an diesen Brt!"
„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Sie ist geiveiht für alle Zeiten." —
Natürlich Schauspieler!
Dann waren da zwei — eine gewisse Dulder-
miene lag auf ihrem Antlitz — sie warfen sich
einen langen verständnißinnigen, trostlosen Blick
zu und sagten — Nichts!
E s waren (Ostpreußen aus der Gegend
des Landgestüts Trakehnen.
Das waren Sozialdemokaten!!!
«r.
BciusbciII
(mit Zeichnung von Paul Rieth)
sie kleinen Earnevalsunterhaltungen bei Bcrrtt
und Frau Doktor Pumpowski wareir in der
ganzen Lebewelt berühmt. Es gab dort nicht
nur den reichlichsten Sekt, die theuersten Eigarren,
die ausgeschnittensten Damen und den freiesten
Eonversationston — die Phantasie des gastlichen
Paares wußte auch stets für originelle Ueber-
raschungen zu sorgen. Sie scheuten keine Rosten,
wenn es galt, sich und ihre Freunde zu amllsiren.
Im Zusammenhang damit existirte bereits ein
wohlorganisirter Verein Pumpowski'scher Gläu-
biger, welcher die Rechte einer juristischen Person
und ein gemüthlich eingerichtetes Elublokal und
Billardzimmer besaß. Doch das gehört nicht hierher.
Das heutige Programm des Hausballes bei
Pumpowski lautete: Eharakterfiguren mit Prä-
miirung derjenigen Person, die ihre Rolle am
Besten durchführt! Preis: eine goldene Eigaretten-
dose! vollkommenste Maskenfreiheit garantiert!
Die hübsch geschmückte Wohnung war bereits
zum Brechen voll und eine Anzahl der Gäste
war es auch. Man debattirte schon lebhaft über
den muthmaßlichen Preisträger. Da war einer
als oller ehrlicher Seemann, der überall ein Spiel-
chen etablirte und mogelte; der Hausherr kam als
symbolischer Dichter; die Hausfrau als Madame
Humbert; Einer als Bankier Sternberg; Lineals
Lameliendame; Einer als nothleidender Agrarier;
Eine als Friedensbertha. Fritz Müller von der
Hofbllhne kam als Droschkenkutscher und sang
das Fiakerlied auf Berlinerisch. Etliche hatten
sich so gut maskirt, daß Niemand wußte, wer sie
seien. Ls war sehr gelungen.
So um zehn Uhr etwa ging die Rlingel. Der
Hausherr wurde hinausgerufen, man hörte ihn
draußen zanken, dann kam er mit rothem Gesicht
uild einem tjerrn wieder herein, auf den er halb-
laut eindringlich losredete. Der Neugekommene
trug einen prächtigen Lharakterkopf mit langer,
purpurrother Raubvogelnase, wuchtigen Brillen,
martialischem Schnurr- und Rnebelbart — und
einer Dienstmütze. Man lackte, man apxlaudirte
— er blieb feierlich ernst und sagte nur:
„Meine Herrschaften, entschuldigen Sie, wenn
ich da mein Amt ausübe — ich bin der Gerichts-
vollzieher Schnackenberger! Lassen Sie sich nicht
stören!"
Sofort ging er an's werk. Dem Hausherrn
nahm er Uhr und Rette, sowie das Portemonnaie.
Die Hausfrau mußte ihre Ringe hergeben und
nicht ohne eine gewisse Grazie heftete er ihr eine
seiner ominösen Marken mit dem Landeswappen
an den Ausschnitt ihres kostbaren Paillettes-Rleides.
„Jetzt hat sie wenigstens Etwas an!" sagte
Jemand im Hintergründe.
Herr Schnackenberger machte seine Sache präch-
tig. Er klebte sein wapperl auf's Pianino und
auf den Divan, auf den Regulator und das Buffet,
interessirte sich für das Silberzeug und die Tennis-
schläger an der wand, für Bilder und Spiegel,
Liqueurkäften und Bücherschrank, die Hängelampe
und die gypserne Venus in der Ecke! Und er
hatte eine so köstlich drollige Art, die Marke ab-
znlecken und aufzukleben, daß jedesmal stürmisches
Gelächter und Bravorufen entstand.
Schließlich hielt er ein und sagte:
„So, jetzt wird's langen!"
Er that, als ob er gehen wollte, aber man
ließ ihn natürlich nicht fort. Die Hausfrau machte
ihm ihre süßesten Angen und zog ihn auf ein
paar Minuten in's Nebenzimmer. Arm in Arm
mit ihr kam er wieder heraus.
Sein Inkognito lüftete er nicht. Auch nicht,
als man ihn an den Tisch nöthigte, ihm Sekt ein-
pumpte und eine spannenlange Henry Elay in den
Mund steckte. Schließlich war nur mehr eine
Meinung unter den Anwesenden: Der war die
beste Maske! Ihm den Preis! Und schließlich
wußten sie's auch ganz gewiß, wer er war, so
hartnäckig er auf dem Namen Schnackenberger
bestand.
Er konnte niemand anderer sein, als der Maxel
Feldmann vom Residenztheater! Der macht derlei
Sachen ja so gut, wie kein Zweiter.
Um zwölf Uhr fand die prämiirung statt. Die
schöne Hausfrau sammelt die Stimmzettel ein und
überreicht dem Darsteller des Gerichtsvollziehers
das kostbare Etui. Und wie er sich jetzt sträubte
und immer wieder betheuerte, er sei der Schnacken-
berger, bereits bedenklich lallend und schwankend
— das war einfach zum Schießen!
„Bravo, Maxel! Ausgezeichnet Maxell Maxel,
Du bist ein Mordskerl!" so tönte es durcheinander.
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