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Grabschrist auf das veraltete Weib

von

Ua55i?.n Kluibcnscbädel, Cuifelcmalcr

Du durchwandelst die Verwesungsflur, betracht'
mit Wehmnth auch dies Todtenmal.
Hier unter'm grünen Rasen ruht das gute, liebe,

herzige Weib von Anno dazumal.
Veraltet und überholt mußt' sie blühend jung im

Tode jäh erbleichen

lind zu Ende des letzten Säkulums dem modernen

Ueberweibe weichen.

Was sie uns war, wird wohl in Ewigkeit ganz

unersetzbar bleiben,

Drum laßt ihr glänzendes Verdienst in goldnen Lettern
hier ans diesen Stein uns schreiben!
O daß Dich hat verscharrt des Todtengräbcrs grausam

scharfer Spatel!

Wer wird uns künftig Strümpfe stoppen? wer kochen

Knödel, Krapfen und saftige Bratel!
Kein voller Busen wogt uns mehr unter'm reizenden

Corsettel —

Wer soll unsere Kinder säugen, dieweilen Milch noch

nie ergab ein bloßes Brettel!
Dem Molligen hat die schlimme Madam' Mod' in

arger Tück das G'nack gebrochen,
Hans Mors trieb ein verkehrtes Spiel, erwürgt' das

Fleisch und ließ lebendig uns die Knochen!
Tabaksgeruch vertritt die von den Dichtern viel-
besungnen Rosenlippendüfte
Und längst zur Fabel ward der Zauber einer schön-
geschwungnen runden Hüfte.,
Die als des Hauses Zier man einst gepriesen in

begeisterten Liedern und Psaltern
Sie prangt mit Schreibärmeln und Tintenfingern

anjctzo an aller Aemter Schaltern.
Die Kindlein hat gewiegt zu sanftem Schlaf in

diesem Erdcnthalc,

Sie tritt im Schweiß des Angesichts hoch zu Stahlroß

die wirbelnden Pedale!

Und trug sie Hosen je, so war dieß ehedem zu verstehen

nur figürlich,

Doch heute wird diese schöne Metapher bereits zu

einer Thatsach' unnatürlich.
O pflanzet auf dies Grab statt einer trauernden Eyprcssc

oder schlanken Pin e

Zum Warnungszeichen des fin de sidele-Ueberwcibes

sczessionistische Haarstrich-Linie —
Dann hat die Sonne Zutritt, um diese Ruhestätte

zu vergolden;

Sintemalen, gleich weiland Perer Schlemihl, keinen

Schatten werfen unsre Holden.
So leicht von Körper sie, machen sie uns doch schrecklich
fühlbar dieses Lebens Schwere,
Domine Deus nobis miserere!

nachtf alter Adolf mnzer

,Ach wie schön war' das Leben, wenn nur diese Tage
nicht immer dazwischen wären!"

i2;
Register
Kassian Kluibenschädl: Grabschrift auf das veraltete Weib
Adolf Münzer: Nachtfalter
 
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