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Nr. 16

1903

JUGEN D

lind sic hatte den Math zur Beichte gefunden, da
sie ihm einen, wenn auch nur geringen Theil der
Schuld bciiucsscn konnte — und sie fürchtete auch,
daß er etwas ahne, daß ihm ein verdacht auf-
geftiegen fei, er hatte Anspielungen gemacht, wie
cs ihr schien, seit kurzem, ab und zu — mit
Zuthaten von all diesem war die Reue durchsetzt.
Aber sie wußte es selbst nicht klar, sie wußte nur,
daß sie aus einem übermächtigen Herzensdrange
beichten mußte — alles beichten. —

Sic schrak zusammen, sie hörte den festen,
wohlbekannten Schritt auf der Straße — jetzt
mußte der Professor die Treppe heraufsteigcn —
nun öffnete er die Korridorthür, das harte Ge-
räusch des Schlosses ging ihr durch Mark und
Bein — aber blitzschnell erhob sie sich aus ihrem
dumpfe» Brüten, das den Körper gelähmt, nur
den Sinnen Freiheit gelassen hatte, und ging
hastenden Schrittes in sein Studirzimmer hinüber.

Stehend erwartete sie ihn. Er trat ein. „Du
hier, Rosa?" fragte er verwundert. Klar hob
sich ini Halbdunkel die volle Gestalt seines Weibes
auf dem helleren Hintergründe des Fensters ab.

„Ja, ich bin hier."

Der seltsame, müde Klang ihrer Stimme er-
schreckte ihn — und dazu die schlaffe Haltung
der sonst so königlichen Frau, der leicbtgcsenkte
Kopf--

„Was ist Dir — Du bist doch nicht krank?"
Er eilte auf sie zu und faßte ihre Hand. „Deine
Hand ist kalt — was ist Dir zugestoßen?"

„Nichts — komm," und mit wankenden Knieen
leitete sie ihn zum Divan ganz ins Dunkle. Schwer
ließ sie sich nieder und begrub das Gesicht auf
der hohen Lehne in beide Hände. Und nun beichtete
sie — stoßweise erst und zuckend — dann stoffen,
als einmal das Bekenntnis; heraus war, die Worte
leichter dahin. Alles sprach sie ans, ihre tiefe
Reue, die Verachtung, die neue Liebe, auch ein
klein wenig von der Schuld des Gatten mischte
sie ein.

Er stand hoch aufrecht vor ihr, er hörte, er
regte sich nicht.

Als ihre Worte leidenschaftlicher wurden, da
meinte sic plötzlich, der Tod rühre sie an, langsam,
unerbittlich würden sich seine Finger um ihren
Vals legen, daß er sic erwürge — doch die weiche
Hand blieb sanft ans ihrem Scheitel ruhen.

Und dann als sic geendet hatte, als sie schwer
athmend noch nach Worten rang, ohne doch welche
zu finden, denn sie hatte alles, alles bekannt —
nur nicht den Namen jenes verachteten, das,
nein das konnte sie ihren. Manne nicht authun —
da folgte eine Weile der Stille, der entsetzlichsten
Stille, die ihr wie eine Ewigkeit schien. Sie er-
wartete ihr Urtheil.

Doch es blieb still — draußen rollten in längeren
Zwischenräumen einförmig Wagen vorbei. Eine
verspätete Fliege setzte sich auf ihre Stirn — sie
scheuchte das Thier mit unwilligen, Schütteln des
Kopfes und drückte das Gesicht tiefer in
die Hände auf der Lehne des Divans.

Nun endlich regte sich der Professor, seine
Hand verließ ihr Haupt — sie hörte, wie
er sich einen Stuhl heranzog und sich schwer
darauf neben ihr niederließ. Wieder fühlte
sie seine Hand, die sanft ihre thränenfeuchte
Rechte unter ihrem Gesichte hervorzog.

„Rosa!" Es war der erste Laut, den er
sprach. Sie brachte die Bitte um Verzeihung
nicht heraus. Verzeihung konnte sie nicht
verlangen, erst bei». Aussprechen des furcht-
baren Bekenntnisses war cs ihr klar ge-
worden — bebend nur schlugen ihre Lippen
zusammen.

„Rosa," — wieder hörte sie seine Stimme,

„ich vergebe Dir."

„Nein, nein," stieß sie wild, abgerissen
heraus, „nein, nein — das kannst Du nicht,
das darfst Du nicht," und wo bis jetzt nur
langsam einige Thräncn hcrvorgesickcrt
waren, brach das arme Weib nun in herz-

brechendes Schluchzen aus, das wild ihren ganzen
Leib erschütterte.

Leicht streichelte der Gatte ihre Band, die sie
ihm heftig hatte entreißen wollen, die er aber
nicht gelassen hatte.

Endlich beruhigte die Büßende sich vor dem
gewaltsamen Ausbruche des tiefsten Seelcnschmerzes,
sie bog den Kopf ein wenig in den Nacken, um
mit freiem Munde athiuen zu können, schwer hob
und senkte sich ihre Brust.

Ein irrer Lichtschein flackerte draußen — all-
gemach ward er ruhig und der große Mond des
elektrischen Lichtes goß seinen fahlen Schein über
das Gesicht der mit geschlafenen Augen Daliegenden.

Der Gatte betrachtete sie. „Rosa," sprach er
wieder, „ich vergebe Dir. Dein freiwilliges Ge<
ständniß enthebt Dich der Schuld. Lin jeder
Mensch kann fehlen, keiner ist gefeit vor sündiger
Verlockung. Und ich erkenne auch meine Schuld
an Deiner Verirrung — ich hätte wissen müssen,
daß ein lebensfrisches Weib auch andere Anfor-
derungen an den Mann zu stellen hat, als daß
er sie nährt und kleidet. Rosa, erhebe Dich,"
sanft zog er sie ans dem Divan in sitzende Stellung,
„fasse Dich, beruhige Dich, laß Dein Herz durch
die Beichte erleichtert sein — sieh', ich verstehe
Dich, verstehe alles und das heißt verzeihen —
es soll alles vergeben sein, alles vergessen."

Stumm, mit leeren Blicken saß die schöne
Sünderin, sie wagte cs nicht, ihren Gatten an-
zusehen, der jetzt seinen Stuhl näher heranrückte
und, sich zu ihr beugend, leicht den Arm um ihre
Taille legte.

„Sich', Rosa, es soll alles anders werden,
wir wollen unser ganzes Leben neu gestalten, ich
werde Dich niemals mehr vernachlässigen," sprach
er mit seiner milden Stimme, „und zum Früh-
jahr ziehen wir fort von hier, ich nehme den Ruf
nach Breslau an."

Sic nickte stumm vor sich hin.

»Ja, ja," fuhr er fort im sorglichen Bemühen,
sic zu trösten, „und alles was Dich erinnern könnte,
soll weg — ich gebe dir über Veränderungen
in Deiner Toilette völlige Freiheit —"

Sie nickte und athmete schwer.

„Und wenn Du vielleicht welche von unfern
Möbeln nicht mehr sehen willst —"

„DH nein," hauchte sie, „so schlecht war ich
nicht ■— oh nein," und leicht schüttelnd bewcgle
sic den Kopf.

„Aber die Mädchen müssen wir wegschicken —
beide," sprach er in kurzem, bestimmtem Tone.

„MH nein," fuhr die arme Frau abwchrend
auf, etwas wie Empörung lag in ihrer Stimme,
„nein Martin, warum? Gewiß nicht. — Und
sie haben Dir ja immer so gut gefallekt."

„Eben deswegen,'s murmelte der Professor
und das Haupt mit dem schönen Vollbarte sank
in tiefer Beschämung ans die Brust.

Zu

Meister Adolf Oberlanders
Bildnis;

lYJt’i», wer sich dieses Denkerhaupt betrachtet,
Mit seinem dunklen Auge, still und tief.
Das theils in Sehnsucht, theils in Wehmuth

schmachtet,

Theils drohend blickt, theils fragend und naiv,
Wenn man dies ansieht, sage ich: wer glaubt es,
Daß so viel goldig funkelnder Humor,

So feingeprägter, massenhaft hervor-
Gegangen aus der Werkstatt dieses Hauptes?

Besitzt jedoch wer tieferes Verständniß,

Dann freilich wundert er sich gar nicht sehr,
Weil ihm bekannt ist: große Menschenkenntniß
Macht die Gcmüthsart meistens eher schwer;
Und weiter weiß er: nur auf solchem Boten
Blüht der geläuterte Humor alsdann,

Der jenes heil'ge Lachen wecke» kann.

Zu welchem er den Anlaß uns geboten!

Mit Falkenblicken sieht er, was verfänglich,
Was lacherbar im In- und Ex-terieur,

Was schief und anormal und unzulänglich
Und was dem Weisen geh'» muß contre coeur;
Er weiß Achillesfersen aufzuspüren
Und geißelt sie mit Tusche und mit Stift —
Doch hört mau keinen Wchschrei, wenn er trifft,
Weil Geist und Anmuth ihm die Hände führen!

De» Protzen mit brillantenschwerem Finger,
Den Herrn Professor, der den Schirm vergißt,
Der Tastenhaukunst langbewährte Jünger,

Die alte Jungfrau, die voll Thorheit ist,

Den Vagabunden, ruppig und besoffen,

Den Blaustrumpf, der die Männlichkeit erstrebt,
De» Ladenjüngling, der voll Haaröl klebt —
Wie ausgezeichnet hat er die getroffen!

Wie trifft er ferner Leutnants, Assessoren,
Commerzienräthe, globusgleich gebaucht,
Bergfexen, Schacherjuden und Pastoren
Und Landesväter, vornehm und erlaucht,
Hausknechte, Musikanten, Schornsteinfeger,
Studenten, stets bereit zu Suff und Pump,
Dann Kaffeetanten, Spießer, fett und plump,
Und Souutags-Reitcr, Dichter oder Jäger!

Wen reizt sei» kleiner Moritz nicht
zum Lachen,

Der es so faustdick hinterm Ohre hat?
Und was für drollige Gesichter machen,
Die Thiere, die er zeichnet für

sein Blatt,

Die Elefanten, Tiger, Krokodile —
Und erst der Löwen Physiognomie,
Wie wechselreich im Ausdruck macht er sie
Und seine Affen-, Schaf- und

Schweinsprofile!

Nie übertreibt er bis in's Ungeheure,
Stets bleibt er auf der

Möglichkeit Gebiet —
Das aber ist das Uusanihmsotheure,
Das er bas Möalicbe so ko in iscb siebt "

Ose junge Kibltz

Gertrud Kohrt
Register
Biedermeier mit ei: Zu Meister Adolf Oberländers Bildniß
Gertrud Kohrt: Der junge Kiebitz
 
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