1903
Nr. 16
Die schwarze Pest
Lin Wort an die Deutschen
Das sind nun etliche hundert Jahr':
Ihr taget wie immer Luch im Haar
Und hattet vor lauter Gezänk und Schelt
Richt Acht, daß draußen in der Welt
Zog eine Gefahr,
Die größer war
Als all Luer Schelten, herauf:
Die schwarze Pest!
tftun seid Ihr gewachsen wieder auf's Reu;
Und schon beginnt Ihr die Rarretei
Von Reuem und streiket um links und rechts,
Und hört inmitten des Wortgefechts
Richt, daß herbei
Schon ohne Scheu
Sich wieder schleicht die Gefahr —
Zn langen Röcken und kurzem Haar —
Die schwarze pestl
Dieweil Ihr zankt um des Kaisers Bart
Und die Freiheit, jeder nach seiner Art,
Umzingelt, umschlingt und verschlingt sie Luch,
Wie einst sammt Freiheit, Kaiser und Reich I
D Thoren, spart
Das Gezänk, und wahrt
Die deutsche Lrde davor!
Die Jesuiten lauern am Thoril
— Die schwarze Pest...
„.Tusrend“
Das BörTenmedium
Zw „v ereingegenStrafrechtspflege"
hielt jüngst der ebenso beliebte als berühmte
Vorstand, E in b re ch e r - P ep i, einen Vortrag
über Lriminal-Vichologie, bei welchem er
». A. auch ein interessantes Gegenstück zum
Blumenmedium' Anna Rothe zur Vorstellung
brachte. Dasselbe, Ludwig Blaue oder der
blaue Lucki genannt, ist ein „Börsen-
Wedium" und arbeitet hauptsächlich in Geld-
börsen-Axporten. Seiner eigenen Aussage
nach besteht es aus zwei Leibern: dem gewöhn-
lichen oder gemeinen Lucki-Leib, welcher
ein sehr reales irdisches Dasein führt und sich
von Brot, Würsten, pändln, Gänsen, Bier,
Schnaps, Champagner u. s. w. nährt, und dem
Grapstalls-Leib, durch welchen die Geister
mit den Taschen dieser Welt in Verbindung
treten. Selbstverständlich haben dumme Menschen
auch das „Börsenmedium" zu „entlarven" gesucht.
So wurde es vor kurzem von einem Kriminal-
schutzmann plötzlich an den pänden gefaßt, als
es im Begriffe stand, die Börse einer höchst an-
ständigen und absolut glaubwürdigen Dame zu „de-
materialisiren". Der Vortragende, welcher selbst
damals dem Medium zur Seite stand, rief dem
rohen Menschen zwar sofort zu: „Um Gottes-
willen, Sie tödten ihn ja! Lr ist im Trance!"
— allein es half nichts, sie wurden beide ver-
haftet. Allein die betreffende Gerichtsverhandlung
gestaltete sich zu einem wahren Triumph für das
Medium und die Kriminal-Vichologie im Allge-
meinen. Mehrere Personen bekundeten nämlich,
daß sie deutlich Geldbörsen auf der flachen pand
des Mediums hatten erscheinen sehen, andere
hatten wahrgenommen, wie Portemonnaies direkt
durch einen Unterrock und zwei Gberröcke zwischen
die Finger des Mediums hineingewachsen waren.
Besonders auffallend war, daß Lucki (wie aus
andern Zeugenaussagen hervorging) schon eine
Viertelstunde vorher im Trance die Worte aus-
gesprochen hatte: „Ich sehe einen Mann mit
einer golduen Spitze! Ich sehe einen grünen
wagen!" obgleich er damals seine bevorstehende
Verhaftung noch nicht hatte wiffen können.
. JUGEND .
Ueberhauxt wurde erwiesen, daß verschiedene
Geister durch den Mund des Mediums zu reden
pflegten, z. B. der Geist des kleinen Kümmels,
oder des großen Affen, der Geist der Unver-
schämtheit, der Schweinerei, und verschiedener
sagenhafter Könige, wie des Gambrinus, des
Schampus u. A. m. Sogar die Sachverständigen
waren bis auf einen Buchstaben über ihn einig,
indem nämlich zwei Doktoren Lucki für einen a-,
drei ihn für einen e/wrmen Gauner erklärten.
Lucki, d. h. der gewöhnliche Luckileib, wurde daher
auch wegen „Bewußtlosigkeit" freigesprochem sein
Graxstalls-Leib dagegen zu zwei Jahren Zucht-
haus verurtheilt, was ihn aber wenig genirte.
Denn schon Tage später brach er, Luckis ge-
wöhnlichen Leib mitnehmend, aus der Anger-
frohnveste aus und blieb trotz polizeilicher Nach-
forschungen spurlos verschwunden. Wenigstens
der Münchner Polizei, während fämmtliche^ An-
wesende sich von seinem materiellen Dasein über-
zeugen konnten.
Der Vortrag erntete ungetheilten Beifall. Wie
wir hören, sollen hohe und höchste Herrschaften
bereit sein, das „Börsenmedium" zu einigen Se-
ancen zu engagiren. Lucki, im Trance hierüber
befragt, soll bereits geäußert haben: „Dös
glaabst! Dö san dö dümmsten!"
A. I»o Sora
Die
frühreife moderner Schriftsteller
Das frühzeitige Ermatten viel versprechender
Talente legte es dem mitfühlende:: Beobachter nahe,
nach den Ursachen dieser bedauerlichen Erscheinung
zu forschen, und er richtet, gestützt auf langjährige,
tiefgründige Studien, nachfolgenden warmen Appell
an die Eltern federgewandter Knaben:
\) vom Säuglingsalter bis zu den „ersten
Posen" sollte sich die Thätigkeit auch des best-
begabten Knaben auf das Abfassen von kurzen
„Geräthsprüchen" oder „Aphorismen zur Lebens-
weisheit" beschränken.
2) v o r dem 6. Lebensjahre dürfte überhaupt
nicht mit dem eigentlichen „Dichten" begonnen
werden. M u ß der Knabe durchaus in größerem
Umfange schriftstellerisch thätig sein, so mag er
allenfalls die bei größeren Tageszeitungen cin-
gegangenen Romane rezensiren oder vielleicht Thea-
ter-Kritiken für Journale schreiben. Niemals sollte
37J
aber diese Beschäftigung wesentlich vor dem obli-
gatorischen Schulbesuch beginnen.
s) Ju frühzeitig soll der dichterische Ehrgeiz
des Kindes nicht angespornt werden. Es ist
durchaus kein Zeichen mangelhafter Begabung,
wenn der Knabe bei seinem Eintritt in die Sexta
noch nicht im „Literaturkalender" verzeichnet steht.
I st er aber bereits erwähnt, so sollte der einsichts-
volle Lehrer ihm auch die gebührende Achtung er-
weisen und sich niemals zu harten Maßregeln
ä k Gertel Hinreißen lassen, da die dem Geprügel-
ten nahestehende Presse meistens ein unerhörtes
Geschrei zu erheben pflegt.
4) Die subjektivste und daher bei den Knaben
beliehteste Kunstart ist die Lyrik. Diese möge auf
der (Quinta nach Bedürfnis; getrieben werden.
Daneben ist jedoch das Studium der Syntax sehr
zu empfehlen. Die Redaktion einer „jüngstdeut-
schen" Zeitschrift sollte ihm in seinen Freistunden
selbstverständlich nicht verwehrt werden.
5) Auf der (Quarta wird gewöhnlich im
Gefühlsleben des literarisch befähigten Knaben
„Das Weib" dominieren. Die unreife Schüchtern-
heit des (Quintaners, welche auf einer antiquirten
idealen Anschauung der Frau basirte, ist aber längst
überwunden und hat einer modern-brutalen Auf-
fassung Platz gemacht. *)
Diese Epoche pflegt das erste realistische
Drama zu zeitigen.
6) wir können das Endresumö unserer Be-
trachtungen dahin zusammenfassen, daß alle zu
frühzeitigen größeren literarischen Erfolge, beson-
ders solche, welche vor dem Stimnuvechsel ein-
treten, dem jungen Dichter leicht verderblich wer-
den können. Br.
*) Eine gewisse Aehnlichkcit mit Strindberg dürste
der hier austretende „wilde" «nabe nicht verleugnen können.
Nr. 16
Die schwarze Pest
Lin Wort an die Deutschen
Das sind nun etliche hundert Jahr':
Ihr taget wie immer Luch im Haar
Und hattet vor lauter Gezänk und Schelt
Richt Acht, daß draußen in der Welt
Zog eine Gefahr,
Die größer war
Als all Luer Schelten, herauf:
Die schwarze Pest!
tftun seid Ihr gewachsen wieder auf's Reu;
Und schon beginnt Ihr die Rarretei
Von Reuem und streiket um links und rechts,
Und hört inmitten des Wortgefechts
Richt, daß herbei
Schon ohne Scheu
Sich wieder schleicht die Gefahr —
Zn langen Röcken und kurzem Haar —
Die schwarze pestl
Dieweil Ihr zankt um des Kaisers Bart
Und die Freiheit, jeder nach seiner Art,
Umzingelt, umschlingt und verschlingt sie Luch,
Wie einst sammt Freiheit, Kaiser und Reich I
D Thoren, spart
Das Gezänk, und wahrt
Die deutsche Lrde davor!
Die Jesuiten lauern am Thoril
— Die schwarze Pest...
„.Tusrend“
Das BörTenmedium
Zw „v ereingegenStrafrechtspflege"
hielt jüngst der ebenso beliebte als berühmte
Vorstand, E in b re ch e r - P ep i, einen Vortrag
über Lriminal-Vichologie, bei welchem er
». A. auch ein interessantes Gegenstück zum
Blumenmedium' Anna Rothe zur Vorstellung
brachte. Dasselbe, Ludwig Blaue oder der
blaue Lucki genannt, ist ein „Börsen-
Wedium" und arbeitet hauptsächlich in Geld-
börsen-Axporten. Seiner eigenen Aussage
nach besteht es aus zwei Leibern: dem gewöhn-
lichen oder gemeinen Lucki-Leib, welcher
ein sehr reales irdisches Dasein führt und sich
von Brot, Würsten, pändln, Gänsen, Bier,
Schnaps, Champagner u. s. w. nährt, und dem
Grapstalls-Leib, durch welchen die Geister
mit den Taschen dieser Welt in Verbindung
treten. Selbstverständlich haben dumme Menschen
auch das „Börsenmedium" zu „entlarven" gesucht.
So wurde es vor kurzem von einem Kriminal-
schutzmann plötzlich an den pänden gefaßt, als
es im Begriffe stand, die Börse einer höchst an-
ständigen und absolut glaubwürdigen Dame zu „de-
materialisiren". Der Vortragende, welcher selbst
damals dem Medium zur Seite stand, rief dem
rohen Menschen zwar sofort zu: „Um Gottes-
willen, Sie tödten ihn ja! Lr ist im Trance!"
— allein es half nichts, sie wurden beide ver-
haftet. Allein die betreffende Gerichtsverhandlung
gestaltete sich zu einem wahren Triumph für das
Medium und die Kriminal-Vichologie im Allge-
meinen. Mehrere Personen bekundeten nämlich,
daß sie deutlich Geldbörsen auf der flachen pand
des Mediums hatten erscheinen sehen, andere
hatten wahrgenommen, wie Portemonnaies direkt
durch einen Unterrock und zwei Gberröcke zwischen
die Finger des Mediums hineingewachsen waren.
Besonders auffallend war, daß Lucki (wie aus
andern Zeugenaussagen hervorging) schon eine
Viertelstunde vorher im Trance die Worte aus-
gesprochen hatte: „Ich sehe einen Mann mit
einer golduen Spitze! Ich sehe einen grünen
wagen!" obgleich er damals seine bevorstehende
Verhaftung noch nicht hatte wiffen können.
. JUGEND .
Ueberhauxt wurde erwiesen, daß verschiedene
Geister durch den Mund des Mediums zu reden
pflegten, z. B. der Geist des kleinen Kümmels,
oder des großen Affen, der Geist der Unver-
schämtheit, der Schweinerei, und verschiedener
sagenhafter Könige, wie des Gambrinus, des
Schampus u. A. m. Sogar die Sachverständigen
waren bis auf einen Buchstaben über ihn einig,
indem nämlich zwei Doktoren Lucki für einen a-,
drei ihn für einen e/wrmen Gauner erklärten.
Lucki, d. h. der gewöhnliche Luckileib, wurde daher
auch wegen „Bewußtlosigkeit" freigesprochem sein
Graxstalls-Leib dagegen zu zwei Jahren Zucht-
haus verurtheilt, was ihn aber wenig genirte.
Denn schon Tage später brach er, Luckis ge-
wöhnlichen Leib mitnehmend, aus der Anger-
frohnveste aus und blieb trotz polizeilicher Nach-
forschungen spurlos verschwunden. Wenigstens
der Münchner Polizei, während fämmtliche^ An-
wesende sich von seinem materiellen Dasein über-
zeugen konnten.
Der Vortrag erntete ungetheilten Beifall. Wie
wir hören, sollen hohe und höchste Herrschaften
bereit sein, das „Börsenmedium" zu einigen Se-
ancen zu engagiren. Lucki, im Trance hierüber
befragt, soll bereits geäußert haben: „Dös
glaabst! Dö san dö dümmsten!"
A. I»o Sora
Die
frühreife moderner Schriftsteller
Das frühzeitige Ermatten viel versprechender
Talente legte es dem mitfühlende:: Beobachter nahe,
nach den Ursachen dieser bedauerlichen Erscheinung
zu forschen, und er richtet, gestützt auf langjährige,
tiefgründige Studien, nachfolgenden warmen Appell
an die Eltern federgewandter Knaben:
\) vom Säuglingsalter bis zu den „ersten
Posen" sollte sich die Thätigkeit auch des best-
begabten Knaben auf das Abfassen von kurzen
„Geräthsprüchen" oder „Aphorismen zur Lebens-
weisheit" beschränken.
2) v o r dem 6. Lebensjahre dürfte überhaupt
nicht mit dem eigentlichen „Dichten" begonnen
werden. M u ß der Knabe durchaus in größerem
Umfange schriftstellerisch thätig sein, so mag er
allenfalls die bei größeren Tageszeitungen cin-
gegangenen Romane rezensiren oder vielleicht Thea-
ter-Kritiken für Journale schreiben. Niemals sollte
37J
aber diese Beschäftigung wesentlich vor dem obli-
gatorischen Schulbesuch beginnen.
s) Ju frühzeitig soll der dichterische Ehrgeiz
des Kindes nicht angespornt werden. Es ist
durchaus kein Zeichen mangelhafter Begabung,
wenn der Knabe bei seinem Eintritt in die Sexta
noch nicht im „Literaturkalender" verzeichnet steht.
I st er aber bereits erwähnt, so sollte der einsichts-
volle Lehrer ihm auch die gebührende Achtung er-
weisen und sich niemals zu harten Maßregeln
ä k Gertel Hinreißen lassen, da die dem Geprügel-
ten nahestehende Presse meistens ein unerhörtes
Geschrei zu erheben pflegt.
4) Die subjektivste und daher bei den Knaben
beliehteste Kunstart ist die Lyrik. Diese möge auf
der (Quinta nach Bedürfnis; getrieben werden.
Daneben ist jedoch das Studium der Syntax sehr
zu empfehlen. Die Redaktion einer „jüngstdeut-
schen" Zeitschrift sollte ihm in seinen Freistunden
selbstverständlich nicht verwehrt werden.
5) Auf der (Quarta wird gewöhnlich im
Gefühlsleben des literarisch befähigten Knaben
„Das Weib" dominieren. Die unreife Schüchtern-
heit des (Quintaners, welche auf einer antiquirten
idealen Anschauung der Frau basirte, ist aber längst
überwunden und hat einer modern-brutalen Auf-
fassung Platz gemacht. *)
Diese Epoche pflegt das erste realistische
Drama zu zeitigen.
6) wir können das Endresumö unserer Be-
trachtungen dahin zusammenfassen, daß alle zu
frühzeitigen größeren literarischen Erfolge, beson-
ders solche, welche vor dem Stimnuvechsel ein-
treten, dem jungen Dichter leicht verderblich wer-
den können. Br.
*) Eine gewisse Aehnlichkcit mit Strindberg dürste
der hier austretende „wilde" «nabe nicht verleugnen können.