Nr. 19
1905
Der Frühlings=0orso ln Berlin
(Ein toller Aufzug! — Die 32 Markgrafen
schneiden verdutzte Gesichter und schauen verwun-
dert auf das Gewühl zu ihren Füßen. wie eine
lebende „Serie" moderner Berühmtheiten aus der
„Woche" zieht es vorüber: die Männer der Politik
und des „neuesten Kurses", die Herren des Thea-
ters und der Kritik, die Fürsten der Kunst und
Literatur, selbst die Koryphäen der ernsten
Wissenschaft, Assyriologen und Theologen, kurz —
die LrLme von Berlin!
Dort erscheint Graf Bülow, nett und be-
zaubernd wie immer, gleich „Baldur dem lieb-
lichen Knaben". Er reitet seinen berühmten
schwarzen Vollbluthengst „Korum" und hat auf
speziellen Wunsch des „Alldeutschen" Haffe zu
seiner koketten Husarenuniform die schweren
Kürassier st iefel angelegt. — Unsere Blicke
suchen den „langen Möller". — Richtig, da
ist er, allerdings nur auf „Schusters Rappen".
Freundlich nickt er Frl. Anita Ausxurg zu,
welche auf ihrem Leibroß „Hermandad" in
stolzer Mannhaftigkeit vorübertrabt.
Auch der Humor kommt zu seinem Rechte.
(Eben biegt das „laus canalis“, der scherzhafte
Herr v. Podbielski, am Roland-Brunnen in
die Torso-Straße ein. Stürmische Heiterkeit! (Er
lenkt einen „Trakehner-Lehrerselbstkut-
schierer", ein höchst einfaches und originelles
Gefährt.
Neben mir recken einige neidische Literaten
die Hälse, was ist los? — „Der ostxrenßische
Shakespeare"! Da kommt er schon! Suder-
mann ist doch immer noch der „schönste" Dra-
matiker. (Er lenkt ein elegantes Gig. — Bos-
haft kann er auch sein: Auf dem Hintersitze
. JUGEND .
hockt ein Groom, welcher eine höchst spaßhafte
und wohl nicht rein zufällige Aehnlichkeit mit
Maximilian Harden besitzt.
(Eine allerliebste Demonstration gegen das
„Maria Magdala-Verbot" veranstaltet Di-
rektor Neu man n-Hofer. (Er hat einige in-
time Freunde in seinen eleganten Landauer ge-
laden und liest, trotz heftigen Fluchens eines
dahinter reitenden Zensors, die stärksten Scenen
des Heyseschen Dramas mit weithin vernehmbarer
Stimme seinen Gefährten und dem Lorsoxubli-
kum vor. —
Auch Blumenthal und Kadelburg kommen
mit ihrem „weißen Rößl". Sie haben immerhin
noch einen Heiterkeitserfolg. — Der ihm mit
einer neuen Ladung „Fallobst" folgende Tovote
wirkt dagegen bereits etwas peinlich!
wo lzogen ist noch immer der famose, mun-
tere .Freiherr" und schreckt, um einen (Erfolg
zu erzielen, vor einer Selbstxersiflage nicht zurück.
Ts liegt Schneid in ihm. Tr ist der einzige, der
in einem primitiven Stuhlschlitten heransaust,
den er sich aus den letzten Trümmern des Ueber-
brett els gezimmert hat.
Hurrah! Die Spiritisten! Anfangs wird
man aus ihrem Vehikel nicht klug. (Es ist kein
Automobil, denn es hat eine Deichsel. Doch
es fehlt die fortbewegende Kraft, trotz deutlich ver-
nehmbarer Hufschläge sieht man kein Pferd.
Aha, ein Astralgaul! Alan erblickt die aus
dem „Rothexrozeß" bekannten Gesichter, in
ihrer Mitte den stdelen „Medi b umselder die
Schutzleute neckisch mit alten Apfelsinen bombardiert.
Die unvermeidliche Katastrophe! Stöcker und
Delitzsch haben ihre Pferde vor einen gemein-
schaftlichen wagen gespannt. Lin gefährliches
Experiment! Das feurige Babylonische Vollblut
reißt den störrisch-orthodoxen Gaul des Hofprcdigers
mit sich! — Lin entsetzlicher Augenblick, nur ein
entschlossenes, schnelles Gebet verhütet
ein größeres Unglück und die beiden Insassen
kommen mit einem „blauen Auge" davon.
„Friedensstörer" sind natürlich wie immer die
„Genossen". Sie können es auch hier nicht
an unzarten Anspielungen fehlen lassen! Da kommt
Stadthagen angesaust. Lr sitzt in einem fahr-
baren „Wählcr-Isolierraum," der — borri-
bile dictu — aus seiner unteren Geffnung eine
Unzahl von Wahlzetteln streut, welche den Namen
eines bekannten konservativen Kandidaten tragen.
Das ist denn doch selbst der nachsichtigen Ber-
liner Polizei zu viel und sie macht dem Korso-
Unfug ein frühzeitiges Ende!
(Zeichnungen von A. Schmidhammer)
Hus einer Bauernpredigt:
-und vüll, vüll muaß no andevscht
wcrn, bis ma z'fricdn sein könnal I sag enk,
Zuaständ san dösl Neamed nimmt Rücksicht
auf uns! Und da hoaßts noch, Lciitvuin waar
Trumpf! Und vo Erdbeben lest ma und
schreckliche Stürm, die ganze Natur wcrd fuchti,
weil s' den § 2 net aufhcbcn wolln, und wenn'«
net wollts, daß enk a Dunnawclta in Grund
und Boden einischlagt, nacha wißts, was z'thoa
habt's am IS. Juni! Amen.
1905
Der Frühlings=0orso ln Berlin
(Ein toller Aufzug! — Die 32 Markgrafen
schneiden verdutzte Gesichter und schauen verwun-
dert auf das Gewühl zu ihren Füßen. wie eine
lebende „Serie" moderner Berühmtheiten aus der
„Woche" zieht es vorüber: die Männer der Politik
und des „neuesten Kurses", die Herren des Thea-
ters und der Kritik, die Fürsten der Kunst und
Literatur, selbst die Koryphäen der ernsten
Wissenschaft, Assyriologen und Theologen, kurz —
die LrLme von Berlin!
Dort erscheint Graf Bülow, nett und be-
zaubernd wie immer, gleich „Baldur dem lieb-
lichen Knaben". Er reitet seinen berühmten
schwarzen Vollbluthengst „Korum" und hat auf
speziellen Wunsch des „Alldeutschen" Haffe zu
seiner koketten Husarenuniform die schweren
Kürassier st iefel angelegt. — Unsere Blicke
suchen den „langen Möller". — Richtig, da
ist er, allerdings nur auf „Schusters Rappen".
Freundlich nickt er Frl. Anita Ausxurg zu,
welche auf ihrem Leibroß „Hermandad" in
stolzer Mannhaftigkeit vorübertrabt.
Auch der Humor kommt zu seinem Rechte.
(Eben biegt das „laus canalis“, der scherzhafte
Herr v. Podbielski, am Roland-Brunnen in
die Torso-Straße ein. Stürmische Heiterkeit! (Er
lenkt einen „Trakehner-Lehrerselbstkut-
schierer", ein höchst einfaches und originelles
Gefährt.
Neben mir recken einige neidische Literaten
die Hälse, was ist los? — „Der ostxrenßische
Shakespeare"! Da kommt er schon! Suder-
mann ist doch immer noch der „schönste" Dra-
matiker. (Er lenkt ein elegantes Gig. — Bos-
haft kann er auch sein: Auf dem Hintersitze
. JUGEND .
hockt ein Groom, welcher eine höchst spaßhafte
und wohl nicht rein zufällige Aehnlichkeit mit
Maximilian Harden besitzt.
(Eine allerliebste Demonstration gegen das
„Maria Magdala-Verbot" veranstaltet Di-
rektor Neu man n-Hofer. (Er hat einige in-
time Freunde in seinen eleganten Landauer ge-
laden und liest, trotz heftigen Fluchens eines
dahinter reitenden Zensors, die stärksten Scenen
des Heyseschen Dramas mit weithin vernehmbarer
Stimme seinen Gefährten und dem Lorsoxubli-
kum vor. —
Auch Blumenthal und Kadelburg kommen
mit ihrem „weißen Rößl". Sie haben immerhin
noch einen Heiterkeitserfolg. — Der ihm mit
einer neuen Ladung „Fallobst" folgende Tovote
wirkt dagegen bereits etwas peinlich!
wo lzogen ist noch immer der famose, mun-
tere .Freiherr" und schreckt, um einen (Erfolg
zu erzielen, vor einer Selbstxersiflage nicht zurück.
Ts liegt Schneid in ihm. Tr ist der einzige, der
in einem primitiven Stuhlschlitten heransaust,
den er sich aus den letzten Trümmern des Ueber-
brett els gezimmert hat.
Hurrah! Die Spiritisten! Anfangs wird
man aus ihrem Vehikel nicht klug. (Es ist kein
Automobil, denn es hat eine Deichsel. Doch
es fehlt die fortbewegende Kraft, trotz deutlich ver-
nehmbarer Hufschläge sieht man kein Pferd.
Aha, ein Astralgaul! Alan erblickt die aus
dem „Rothexrozeß" bekannten Gesichter, in
ihrer Mitte den stdelen „Medi b umselder die
Schutzleute neckisch mit alten Apfelsinen bombardiert.
Die unvermeidliche Katastrophe! Stöcker und
Delitzsch haben ihre Pferde vor einen gemein-
schaftlichen wagen gespannt. Lin gefährliches
Experiment! Das feurige Babylonische Vollblut
reißt den störrisch-orthodoxen Gaul des Hofprcdigers
mit sich! — Lin entsetzlicher Augenblick, nur ein
entschlossenes, schnelles Gebet verhütet
ein größeres Unglück und die beiden Insassen
kommen mit einem „blauen Auge" davon.
„Friedensstörer" sind natürlich wie immer die
„Genossen". Sie können es auch hier nicht
an unzarten Anspielungen fehlen lassen! Da kommt
Stadthagen angesaust. Lr sitzt in einem fahr-
baren „Wählcr-Isolierraum," der — borri-
bile dictu — aus seiner unteren Geffnung eine
Unzahl von Wahlzetteln streut, welche den Namen
eines bekannten konservativen Kandidaten tragen.
Das ist denn doch selbst der nachsichtigen Ber-
liner Polizei zu viel und sie macht dem Korso-
Unfug ein frühzeitiges Ende!
(Zeichnungen von A. Schmidhammer)
Hus einer Bauernpredigt:
-und vüll, vüll muaß no andevscht
wcrn, bis ma z'fricdn sein könnal I sag enk,
Zuaständ san dösl Neamed nimmt Rücksicht
auf uns! Und da hoaßts noch, Lciitvuin waar
Trumpf! Und vo Erdbeben lest ma und
schreckliche Stürm, die ganze Natur wcrd fuchti,
weil s' den § 2 net aufhcbcn wolln, und wenn'«
net wollts, daß enk a Dunnawclta in Grund
und Boden einischlagt, nacha wißts, was z'thoa
habt's am IS. Juni! Amen.