Nr. 21
JUGEND
1903
*))■
„Heute Abend wird mal wieder ordentlich in der
American Bar gelumpt!“ sagte Grete mit einem Ton,
der jeden Widerspruch ausschloss.
„Ich habe gerade noch vierundvierzig Mark und achtzig
Pfennige — und heute ist der Zwölfte!“ gab ich ein
wenig kleinlaut zur Antwort. Sie aber missverstand mich
gänzlich und meinte:
„O, das reicht schon, wenn man sich ein wenig ein-
schränkt!“
Was war da zu machen! Ein Thor ist immer willig,
wenn eine Thörin will; besonders wenn er so jung und
so verliebt ist, wie ich war, damals. Und sie war so
drollig, wenn sie einen kleinen Champagnerschwips hatte.
Also gut denn! Ob man am zwölften, oder erst am
achtzehnten mit dem Monatswechsel fertig wird, was
liegt daran?!
Um neun Uhr sassen wir in der behaglichen Ecke
der Bar. Grete ganz in schwarzem Atlas, Spitzen und
Crepe — ein wenig redoutenhaft — aber enorm fesch
und riesig vergnügt.
„Also, was essen und trinken wir?“
Sie zog einen winzigen silbergefassten Notizblock und
ein Bleistiftchen hervor, legte es auf den Tisch und sagte:
„Ich will Buch führen, weil wir hübsch Haus halten
müssen. Ueber zweiundvierzig Mark darf’s nicht machen,
denn zwei Mark Trinkgeld muss der Adolf kriegen! Ich
meine, wir fangen mit einem Champagner-Cobbler an,
niefit? Sie notirte die zwei Mark sauber auf ihrem Block.
Und dann Jedes ein Dutzend? Nicht?“ Und sie schrieb
in ihre Rechnung sieben Mark für Austern ein. Nur zu:
Es war schon Alles eins und das Unheil nun einmal im
Zuge! Wieder vertiefte sie sich in Wein- und Speise-
karte. „Dann vielleicht ein Huhn in Casserole und eine
Flasche Chateau Lagrange dazu? Nicht?“ Gewissenhaft
notirte sie den Betrag und zog die Summe: 17 Mark
50 Pfennige! „Propre Arbeit, gelt, Butzi? Ja, wenn
Du mich nicht hättest!“
Sie ass mit dem grossartigen Appetit, der sie aus-
zeichnete, und trank mit der Kennerschaft, die bewun-
dernswerth war an einem Geschöpf, das selbsiebent in
einer Dachwohnung bei Kartoffeln und Brunnenwasser
aufgewachsen.
„Cigarretten hast Du wohl mit? Die hier sind mir
lieber, aber wir müssen sparen!“ Grossartig bewilligte
Sie mir eine Henry Clay und notirte 60 Pfennige dafür.
Dann einen Giardinetto! Eine Stange Bleichsellerie! Ein
Bischen Stilton! Die Liste wuchs rapid. Sie knabberte
und schlürfte ununterbrochen, rauchte, kokettierte nach
den Nachbartischen hinüber und controllierte immer
372
A. v. Kubinyi (München)
JUGEND
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„Heute Abend wird mal wieder ordentlich in der
American Bar gelumpt!“ sagte Grete mit einem Ton,
der jeden Widerspruch ausschloss.
„Ich habe gerade noch vierundvierzig Mark und achtzig
Pfennige — und heute ist der Zwölfte!“ gab ich ein
wenig kleinlaut zur Antwort. Sie aber missverstand mich
gänzlich und meinte:
„O, das reicht schon, wenn man sich ein wenig ein-
schränkt!“
Was war da zu machen! Ein Thor ist immer willig,
wenn eine Thörin will; besonders wenn er so jung und
so verliebt ist, wie ich war, damals. Und sie war so
drollig, wenn sie einen kleinen Champagnerschwips hatte.
Also gut denn! Ob man am zwölften, oder erst am
achtzehnten mit dem Monatswechsel fertig wird, was
liegt daran?!
Um neun Uhr sassen wir in der behaglichen Ecke
der Bar. Grete ganz in schwarzem Atlas, Spitzen und
Crepe — ein wenig redoutenhaft — aber enorm fesch
und riesig vergnügt.
„Also, was essen und trinken wir?“
Sie zog einen winzigen silbergefassten Notizblock und
ein Bleistiftchen hervor, legte es auf den Tisch und sagte:
„Ich will Buch führen, weil wir hübsch Haus halten
müssen. Ueber zweiundvierzig Mark darf’s nicht machen,
denn zwei Mark Trinkgeld muss der Adolf kriegen! Ich
meine, wir fangen mit einem Champagner-Cobbler an,
niefit? Sie notirte die zwei Mark sauber auf ihrem Block.
Und dann Jedes ein Dutzend? Nicht?“ Und sie schrieb
in ihre Rechnung sieben Mark für Austern ein. Nur zu:
Es war schon Alles eins und das Unheil nun einmal im
Zuge! Wieder vertiefte sie sich in Wein- und Speise-
karte. „Dann vielleicht ein Huhn in Casserole und eine
Flasche Chateau Lagrange dazu? Nicht?“ Gewissenhaft
notirte sie den Betrag und zog die Summe: 17 Mark
50 Pfennige! „Propre Arbeit, gelt, Butzi? Ja, wenn
Du mich nicht hättest!“
Sie ass mit dem grossartigen Appetit, der sie aus-
zeichnete, und trank mit der Kennerschaft, die bewun-
dernswerth war an einem Geschöpf, das selbsiebent in
einer Dachwohnung bei Kartoffeln und Brunnenwasser
aufgewachsen.
„Cigarretten hast Du wohl mit? Die hier sind mir
lieber, aber wir müssen sparen!“ Grossartig bewilligte
Sie mir eine Henry Clay und notirte 60 Pfennige dafür.
Dann einen Giardinetto! Eine Stange Bleichsellerie! Ein
Bischen Stilton! Die Liste wuchs rapid. Sie knabberte
und schlürfte ununterbrochen, rauchte, kokettierte nach
den Nachbartischen hinüber und controllierte immer
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A. v. Kubinyi (München)