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hatte eine wunderbare Gestalt,

N> diese Thekla, und sie wußte sich
samos anzuziehen! Man hätte glau-
ben können, sie käme aus einem
Palast, wenn man ihr flüchtig auf
. der Straße begegnete. Der leichte,
sichere Gang, der schlanke hohe Wuchs,
das feine zartrosige Gesicht, die stolze
Miene! Aber sie war keine Prin-
zessin und keine Millionärin — son-
dern erste Vorarbeiterin in dem Ge-
, schäst der Frau Willibald, der vor-
nehmsten und theuersten Schneiderin
der Stadt.

Geschmack mußte sie natürlich
haben und über das, was modern
und chic ist, mußte sie Bescheid wissen,
nachdem die Eleganz all der schönen
Damen durch ihre Hände ging, ge-
wissermaßen ihr Werk war. Aber
sie verstand sich nicht blos darauf, die
Reize der andern zur Geltung zu
bringen. In ihren Mußestunden ent-
wickelte sie auch das größte Talent,
selbst ein Männerherz zu bezaubern.

Er war Leutnant und an man-
chem Abend in der Woche holte er

sie ab; natürlich in Civil. Sie gingen dann miteinander in
ein Variete-Theater oder sie speisten in einem seinen Restaurant
zu Nacht und amüsirten sich. Recht strenge Moralisten pflegten
ihren Weg nicht zu kreuzen. Die Meisten, die nüt ihnen zusammeu-
trafen, hatten ein warmes Wohlgefallen an dem hübschen Paar.
Man wurde selbst vergnügter, wenn man diese lebenslustigen Ge-
sichter sah. Besonders Thekla war es von den leuchtenden Augen
abzulesen, wie köstlich ihr diese freien Stunden in ihrem Arbeits-
leben waren, >vie sie ihren Theil am Glück der Welt mit allen Fibern
genoß. Sie machte sich keine Illusionen. Sie wußte, daß ihr
Ottmar sie nicht heirathen konnte und daß die schöne Zeit einmal
enden würde. Aber sie mochte daran nicht denken, so wenig wie
an das Sterben, das ja auch unvermeidlich ist.

Drei Jahre lang war er immer gleich lieb und nett zu ihr.
Dann, im Herbst, kam er seltener zum Abholen. Sie wartete ei»
paar Mal vergeblich aus ihn und war dann gereizt und schnippisch
beim Wiedersehen. Aber es gab doch immer wieder eine reizende
Versöhnung.

Manchmal wurde er plötzlich, bei der lustigsten Musik, mitten
im Gespräch, nachdenklich, und zerstreut. Wenn sie ihn srug: „Was
hast Du denn?" daun versicherte er hastig: „O nichts, gar nichts!"
und sagte ihr rasch eine Zärtlichkeit oder machte einen schlechten Witz.
Aber gleich darauf starrte er wieder, geistesabwesend, in eine Ecke.

Sie fühlte wohl längst, daß das Unheil drohte. Aber sie hatte
doch nicht den Muth, ihn zu fragen, ob er von ihr los sein wolle?

Und als dann der Brief kam, der so hart zu schreiben und
so viel, viel härter noch zu empfangen ist, — der Abschiedsbrief,
— da meinte sie doch, sie könne es nicht tragen. Sie müsse nun
irgend etwas Verzweifeltes thun! Es schien ihr unmöglich, ruhig
weiter zu leben; mit der rasenden Erbitterung im Herzen jeden
Tag ein paar Ball-Taillen zu garnireu und all den Wünschen der
eitlen Damen Rechnung zu tragen. Doch gerade im Carneval
drängte die Arbeit. Wenn sie einmal im Geschäft war, blieb ihr
keine Minute Zeit, über ihre verarmte Existenz nachzudenken und
wenn sie heimkam, war sie so todtmüde, daß sie gleich nach ihrem
einsamen Abendessen cinschlief. Die jnitgen
Mädchen in der Schneiderstube spürten aller-
dings Fräulein Thekla's üble Laune und sie
tuschelten miteinander, während sie an dem
Bügelbrett im Flur zu thun hatten: „Die
Geschichte mit ihrem Leutnant ist aus! Darum
kann man ihr gar nichts mehr recht machen!"

Eines Tages kam die „Taillen-Bcrtha" ganz
aufgeregt angerückt. Beim Mantelauszieheu
verkündete sie schon die Nachricht: „Verlobt
hat sich ihr Leutnant! Mit einem Fräulein
Westheimer, der Vater ist Bankier. Schwer
reich soll sie sein!" „Na, da wird sie heut
wieder ihre Wuth au uns auslassen!" rief die
rothhaarige „Aermel-Anna." „Aber ich laß es
mir nicht mehr gefallen! Ich sag' ihr's einfach
in's Gesicht: Ich kann doch nichts dafür, daß
Ihr Schatz jetzt die Bankierstochter bcirathet!"

lein Thekla!

Doch als Thekla dann ankam,
später als sonst, sichtlich mit ver-
weinten Augen, da beugten sie sich
doch alle, verlegen und stumm, aus
die „Schooßbrettchen" herab, aus
denen sie die Futter aufhefteten
oder die Fischbein-Bändchen an-
nähten, und jede, die an die Vor-
arbeiterin eine Frage zu richten
hatte, sprach heute auffallend sanft
und bescheiden, wie eingeschüchtert
von diesem blassen Gesicht mit den
rothgeränderten Lidern. Thekla
schien der vollendeten Thalsache
gegenüber ihre Ruhe und Kraft wie-
der zu finden. „Nun ist's einmal
M,zu Ende und alles Jammern nützt
nichts mehr," sagte sie sich mit dem
SW * •. praktischen Verstand und derTapser-

y <4 feit der Mädchen aus dem Volke,

die auf ihrer Hände Arbeit ange-
0^ wiesen sind und von dem frühen

S// Ernst ihres Lebens gehärtet werde».

|/ I Die „Taillen-Bertha" und die

% w 'I „Aermel-Anna," die unter ihrem

^ " direkten Oberbefehl standen, hatten

sich nicht mehr über sie zu beklagen.
Und im Frühjahr that sie ihnen
allen herzlich leid. Frau Willibald
rief nämlich eines Tages ganz ver-
gnügt in dje Schneiderstube: „Fräu-
Kommen Sie mit dem Maßbuch! - Fräulein West-
heimer bekommt sechs seidene Kleider zur Aussteuer!"

Nun mußte die arme Thekla auch noch die Toiletten für die
Vankierstochter machen!

Sie biß die Lippen aufeinander, als sie in das Anprobezimmer
trat und sich vor dem kleinen, plumpen aufgeputzten Fräulein und
vor der dicken, aufgeputzten Mama verneigte. Aber dann flog
manchmal ein Spottlächeln über ihr feines, blühendes Gesicht,
während sie mit dem Centimeter den Wuchs der Kundin abmaß,
den kurzen Hals, die flache Büste, und mit Kenner-Blicken sah,
daß die rechte Hüfte etivas schief saß und daß an der einen Schul-
ter Watte eingelegt werden müßte, wenn die Taille die krumme
Rückenlinie verbergen sollte.

Schön war sic nicht, seine Braut!

An dem Abend schaute sich Thekla mit einem schadenfrohen
Wohlgefallen in den Spiegel, während sie ihr üppiges braunes
Haar über ihre prächtigen weißen Schultern, über ihren stolzen
Nacken herabrieseln ließ; — und dann las sie Ottmar's Abschied-
brief wieder; dieses Mal mit einem Gefühl der Genugthuung.
In ihrem ersten Groll hatte sie alles, was er ihr schrieb, für
nichtssagende Redensarten gehalten, für leeres Geflunker. Nun
schien ihr mancher Satz doch wahr, voll von bitterem Ernst.

„Ach, weißt Du, Thekla," hieß cs auf der zweiten Seite, „ich
wollte wahrhaftig, ich dürste Dir treu bleiben. Ich würde mir
gar nichts Besseres wünschen und gewiß niemals an eine andere
denken, als an Dich, — aber was will man machen als armer
Offizier mit so und so viel Schulden? Man muß in den sauren
Apfel beißen und nach irgend einem häßlichen, langweiligen
Goldfisch angeln! Aber glaub' mir, mein Lebwohl an Dich, das
ist auch für mich ein Abschied von der schönen, freien Jugend,
vom Glück! Darum kann ich diese Erinnerung nie vergessen!"

Thekla trug den Brief nun immer mit sich herum. ES machte
ihr Spaß, das Blatt in ihrer Tasche zu fühlen, während sie die
seideneu Toiletten für Fräulein Sidonie Westheimer componirte.
Bisher war sie mit der jungen Dame nicht mehr viel in Berühr-
ung gekommen. Frau Willibald war selbst
bei der Anprobe zugegen und die Vorarbei-
terin mußte nur erscheinen, wenn eine Aender-
ung nöthig war.

Zuletzt, — wenige Tage vor der Hochzeit,
— wurde in der Schneiderstube das Brautkleid
begonnen, aus wunderbarem weißen Panne,
weich wie Sammt und glänzend wie Seide.
Thekla's feine geschickte Finger steckten den
zarten Stoff in weichen Falten über die Puppe
und arrangirten Spitzen und Bänder, mit
einer künstlerischen Freude an der kostbaren,
weißen Pracht, fast in halber Vergessenheit,
wen das Wunderwerk schmücken sollte. Nach
altem Brauch hatten die jüngeren Mädchen ihr
auch ein paar Stirnhärchen gebracht, die sie
- sich ausgerissen und die sie in die Brauttaille
einnähen mußte: es hieß, daß man dann i»>

,86
Register
Emma Haushofer-Merk: Das Brautkleid
Heinrich Nisle: Zierleiste
 
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