1903
JUGEND
Fr. 22
Hus dem Leben:
»Bringen S' mir a no
Verfehlte Carrieren
In einem neuen Buch „Thaten und Worte",
Lin Stück Literaturpsychologie, vertritt Julius
Zeit!er die Idee, daß ein Dichter, der zugleich
ein ganzer Mann ist, spätestens in sei,rem
30. Jahre die literarische Beschäftigung als Selbst-
zwett an den Nagel hängt und durch die That
zu wirken sucht als Vffizier, Staatsmann, Afrika-
reisender u. s. w; jedenfalls soll er aufhören,
Literat sein zu wollen. — wäre z. B., so meint
Zeitler, Goethe ein ganzer Mann gewesen,
so hätte er ein anderes Loos erringen muffen,
als der Fürst des deutschen Parnaß und Staats-
minister eine- kleinen perzogthums zu werden.
Er hätte sich als Frankfurter Patriziersohn aktiv
am politischen Leben betheiligen, Bürgermeister
und schließlich, von der Revolution und Napoleon
emporgetragen, der perzog von Frankfurt
werden müssen!
Aehnlich ist es, nach unserer Meinung, auch
mit Schiller gegangen, wäre der nicht als
verträumter Idealist zu einer tüchtigen Laufbahn
untauglich gewesen, so hätte er seine Larriäre
als Militärarzt nicht vcrlaffen, hätte es nach
und nach zum Gbcrmedizinalrath und General-
stabsarzt der württembergischen Armee bringen,
dann in preußische Dienste übertreten, den Schwarzen
Adlerordc» bekommen und Polizeidirektor, pof-
iheaterintendant oder Regierungspräsident in Ber-
lin werden können. Wäre er dann energisch
genug gewesen, nicht schon *805 zu sterben, so
hätte sicherlich Napoleon I. nicht gezögert, den
Dichter der „Jungfrau von Grleans" statt des un-
fähigen Ierome \807 zum König von West-
falen zu machen.
Daß Lessing Besseres thun konnte, als ein
paar Dramen und etliche Bände mehr oder minder
unfruchtbarer Aesthetik schreiben, liegt auf derpand.
wäre er ein ganzer Kerl gewesen, so hätte er das
„Sittliche" Entrüstung
TTCofj, Jungfrau!" — »Jungfrau? Da that
Soldatenhandwcrk ergriffen, wäre unter Friedrich
dem Großen zum Platzmajor von Potsdam und
dann zum General avanciert, hätte das Zündnadel-
gewehr erfunden, durch sein Eingreifen bei Kolin
die Schlacht zu Gunsten Friedrichs entschieden und
den Siebenjährigen Krieg schon nach wenigen
Monaten beendet. Dafür wäre er gewiß zum
Generalissimus der Armee und in den Grafenstand
erhoben und ins preußische perrenhaus berufen
worden.
Ist es ferner nicht grauenvoll, wie ein Moses
Mendelssohn mit seinem Talent gewirthschaftet
hat? Statt den „phaedon" zu schreiben, konnte er
doch zum Katholizismus übertreten, Fürsterzbischof
von Blmütz werden, unter dem Namen Urban IX.
den päpstlichen Stuhl besteigen, das Unfehlbarkeits-
dogma proklamieren, Italien zum Kirchenstaat
hinzuerobcrn und- so der Kirche endlich zu einer
würdigen Machtstellung verhelfen.
Und Heinrich Peine! Pätte dieser seine Be-
gabung statt aus den Versfuß, auf den Zinsfuß
verwendet, so konnte er mit Pilse seines Gnkcls
leicht ein reicher Mann, Senator in Hamburg
werden, eine Tochter Rothschilds heirathen, dann
mit seinem Geld nach Amerika auswandern und
als Eisenbahnkönig und Präsident der vereinigten
Staaten sein ruhmreiches Dasein beschließen.
Und so? Aus allen de» genannten Herren sind
einfach Dichter geworden, Leute von verfehltem
Beruf! Es ist ein Jammer! — ->t —
Paal Rieth
i mi scho schaama!"
ver Kaiser Rimmt
von eme alde Zrankforder
Der Kaiser kimmt! Er kimmt ganz sicher,
Es is kaa Schwinnel net: er kimmt!
Zum Sängerfest, zu dene Krischer,
Da kimmt der Kaiser ganz beschdimmd.
Er is schon lang net dogewese,
Es sau der schon so drei, vier Jahr,
Jetz awwer haww ich der's gelese,
Er kimmt behambel, des is wahr.
Sonst is er nor vorbeigefahre
Nach Croneberg un Homborg 'nei.
Des odder war in srih're Jahre,
Jejz kimmt er aach zu uns 'erei.
Do wer'n die Berjer Widder flagge
Un aach Schbalier werd' do gebildt,
Dann schdehn se do mit rode Bagge,
Mit Schdolz un Lieb un Freud erfillt.
Se dhun schon des Brogramm entwerfe.
— Ich nemm gewiß kaan Anschdooß dran,
Nor Aans werd mer doch frage derfe:
„Ei, wo logirt der Kaiser dann?"*)
*) For die Offebächer un annere Auslänner dhu ich
bemerke, daß beim ledzde Kaiserbesuch e großer Schgandal
war Wege der Bezahlung von dere Rechnung vom „Hodell
Schwan."
Uorbereitung für die Saison im
fcavr. hoeftgevirge
Bauer: Alte, jetzt is 's Zeit, daß ma junge
Fackl'n*) kriag'n, daß d' Sommerfrischler a
Unterhaltung Hamm!
593
A. Wagner
y) junge Säue.
JUGEND
Fr. 22
Hus dem Leben:
»Bringen S' mir a no
Verfehlte Carrieren
In einem neuen Buch „Thaten und Worte",
Lin Stück Literaturpsychologie, vertritt Julius
Zeit!er die Idee, daß ein Dichter, der zugleich
ein ganzer Mann ist, spätestens in sei,rem
30. Jahre die literarische Beschäftigung als Selbst-
zwett an den Nagel hängt und durch die That
zu wirken sucht als Vffizier, Staatsmann, Afrika-
reisender u. s. w; jedenfalls soll er aufhören,
Literat sein zu wollen. — wäre z. B., so meint
Zeitler, Goethe ein ganzer Mann gewesen,
so hätte er ein anderes Loos erringen muffen,
als der Fürst des deutschen Parnaß und Staats-
minister eine- kleinen perzogthums zu werden.
Er hätte sich als Frankfurter Patriziersohn aktiv
am politischen Leben betheiligen, Bürgermeister
und schließlich, von der Revolution und Napoleon
emporgetragen, der perzog von Frankfurt
werden müssen!
Aehnlich ist es, nach unserer Meinung, auch
mit Schiller gegangen, wäre der nicht als
verträumter Idealist zu einer tüchtigen Laufbahn
untauglich gewesen, so hätte er seine Larriäre
als Militärarzt nicht vcrlaffen, hätte es nach
und nach zum Gbcrmedizinalrath und General-
stabsarzt der württembergischen Armee bringen,
dann in preußische Dienste übertreten, den Schwarzen
Adlerordc» bekommen und Polizeidirektor, pof-
iheaterintendant oder Regierungspräsident in Ber-
lin werden können. Wäre er dann energisch
genug gewesen, nicht schon *805 zu sterben, so
hätte sicherlich Napoleon I. nicht gezögert, den
Dichter der „Jungfrau von Grleans" statt des un-
fähigen Ierome \807 zum König von West-
falen zu machen.
Daß Lessing Besseres thun konnte, als ein
paar Dramen und etliche Bände mehr oder minder
unfruchtbarer Aesthetik schreiben, liegt auf derpand.
wäre er ein ganzer Kerl gewesen, so hätte er das
„Sittliche" Entrüstung
TTCofj, Jungfrau!" — »Jungfrau? Da that
Soldatenhandwcrk ergriffen, wäre unter Friedrich
dem Großen zum Platzmajor von Potsdam und
dann zum General avanciert, hätte das Zündnadel-
gewehr erfunden, durch sein Eingreifen bei Kolin
die Schlacht zu Gunsten Friedrichs entschieden und
den Siebenjährigen Krieg schon nach wenigen
Monaten beendet. Dafür wäre er gewiß zum
Generalissimus der Armee und in den Grafenstand
erhoben und ins preußische perrenhaus berufen
worden.
Ist es ferner nicht grauenvoll, wie ein Moses
Mendelssohn mit seinem Talent gewirthschaftet
hat? Statt den „phaedon" zu schreiben, konnte er
doch zum Katholizismus übertreten, Fürsterzbischof
von Blmütz werden, unter dem Namen Urban IX.
den päpstlichen Stuhl besteigen, das Unfehlbarkeits-
dogma proklamieren, Italien zum Kirchenstaat
hinzuerobcrn und- so der Kirche endlich zu einer
würdigen Machtstellung verhelfen.
Und Heinrich Peine! Pätte dieser seine Be-
gabung statt aus den Versfuß, auf den Zinsfuß
verwendet, so konnte er mit Pilse seines Gnkcls
leicht ein reicher Mann, Senator in Hamburg
werden, eine Tochter Rothschilds heirathen, dann
mit seinem Geld nach Amerika auswandern und
als Eisenbahnkönig und Präsident der vereinigten
Staaten sein ruhmreiches Dasein beschließen.
Und so? Aus allen de» genannten Herren sind
einfach Dichter geworden, Leute von verfehltem
Beruf! Es ist ein Jammer! — ->t —
Paal Rieth
i mi scho schaama!"
ver Kaiser Rimmt
von eme alde Zrankforder
Der Kaiser kimmt! Er kimmt ganz sicher,
Es is kaa Schwinnel net: er kimmt!
Zum Sängerfest, zu dene Krischer,
Da kimmt der Kaiser ganz beschdimmd.
Er is schon lang net dogewese,
Es sau der schon so drei, vier Jahr,
Jetz awwer haww ich der's gelese,
Er kimmt behambel, des is wahr.
Sonst is er nor vorbeigefahre
Nach Croneberg un Homborg 'nei.
Des odder war in srih're Jahre,
Jejz kimmt er aach zu uns 'erei.
Do wer'n die Berjer Widder flagge
Un aach Schbalier werd' do gebildt,
Dann schdehn se do mit rode Bagge,
Mit Schdolz un Lieb un Freud erfillt.
Se dhun schon des Brogramm entwerfe.
— Ich nemm gewiß kaan Anschdooß dran,
Nor Aans werd mer doch frage derfe:
„Ei, wo logirt der Kaiser dann?"*)
*) For die Offebächer un annere Auslänner dhu ich
bemerke, daß beim ledzde Kaiserbesuch e großer Schgandal
war Wege der Bezahlung von dere Rechnung vom „Hodell
Schwan."
Uorbereitung für die Saison im
fcavr. hoeftgevirge
Bauer: Alte, jetzt is 's Zeit, daß ma junge
Fackl'n*) kriag'n, daß d' Sommerfrischler a
Unterhaltung Hamm!
593
A. Wagner
y) junge Säue.