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„Mer furcht’ sich vorm schwarten Wann?" Marie Schnür (Manchen)

danken immer wieder begegnen und wir werden
einander grüßen!"

Ich machte ein Zeichen, daß ich sie verstanden. Dann
sah ich noch wie durch einen Schleier, daß sie wankte
und auf einen Stuhl fiel — und dann war ich aus
dem Hause, Noch am gleichen Tage reiste ich fort und
studierte in einer norddeutschen Stadt weiter. Ich
hörte von ihrer Vermählung und dann nichts mehr
von ihr. Wenn die Stunden schlugen, dachte ich wohl
an sie, aber es brachte niir keinen Trost, es war, als
risse mir der Ton die Wunde von Neuem auf. Als
ich mein Examen gemacht hatte, nahm ich Dienste
im Auslande und da habe ich jahrelang überhaupt
keine Thurmuhr schlagen hören. Es hätte ja damals
wohl auch nicht mit der Zeit gestimmt. Meine Liebe
zu Luise war wie begraben — aber lebendig begraben!
Ich hatte Alles von mir gethan, jedes kleinste An-
denken, das an sie erinnerte, denn ein heißer, wilder
Schmerz war mit jeder Erinnerung an sie verbunden.
Es war thöricht, schwach — feige vielleicht, daß ich
von der Sache nicht loskommen konnte! Aber es war
nun einmal so!

Zehn volle Jahre bin ich im Ausland gewesen,
da führte mich der Antrag eines Großindustriellen
in die Heimath zurück. Nicht ohne Bewegung fuhr
ich die Elbe heraus und als ich in Hamburg meinen
Fuß auf den Landungssteg setzte, siel dröhnend ein
Viertelstundenschlag vom Thurm der Michaelerkirche.
Und nun war mit diesem einen Ton Alles wieder
da, die wilde alte Sehnsucht, der nagende Schmerz
und vor Allem das Gefühl: Ich kann nicht weiter-
leben, ohne sie wieder gesehen zu haben — mag
werden daraus, was werden will!

Durch ein Militärhandbuch war der Aufenthalts-
ort ihres Gatten bald gefunden. Zwei Tage nach
meiner Ankunft ans deutschem Boden stand ich in
der kleinen, linksrheinischen Garnisonsstadt vor ihrer
Schwelle. Die blanke Messingtafel an der Thüre
sagte mir, daß er inzwischen Oberstleutnant geworden
>var. Ich klingelte. Sie össnete selbst, starrte mich
einen Augenblick entsetzt an und zog mich dann
zitternd, einen Gruß stammelnd, in eine Stube.
Da saßen wir und verschlangen einander mit den
Blicken. Sie hatte sich wenig geändert; ihre Gestalt
war seltsam mädchenhaft und zierlich geblieben, ihr
Gesicht ganz das alte, nur doch wohl bleicher und
schmaler. Wir hielten einander wortlos bei den
Händen und wußten Beide, daß wir unS auch im
Innern nicht verändert hatten. Und ich wußte auch,
daß sie nicht glücklich, daß sie freudlos und einsam
lebte, ohne daß sie mir es sagte. Unter lautem
Schluchzen, das in wilden Stößen ihren ganzen
Körper erschütterte, siel sie mir um den Hals.

Ich blieb einen Tag im Orte und wurde dem
Oberstleutnant vorgestellt, der sich meiner nicht mehr
erinnerte. Er war höflich lirtb von einer trockenen
Gutmüthigkeit, Pflicht- und Berufsmensch durch und
durch, thrannisierte das Haus, ohne es zu wollen

und zu wissen, und erzog ununterbrochen an einer
Frau, die er offenbar in keinem Zug ihrer vornehm-
schüchternen Natur verstand. Man bat mich zu Tische
und als ihn nachher der Dienst wieder rief, blieben
wir, Luise und ich, allein und erzählten einander von
den letzten Jahren. Sie hatte freilich wenig zu er-
zählen, weil sie thatsächlich nichts erlebt hatte, als
Umzüge von einer Garnison zur andern und die öde
Einförmigkeit eines Lebens nach der Uhr und nach der
Schnur. Kinder hattesienichtgehabt. SieerzählteAlles
gelassen und müde, ohne jede bewußte Traurigkeit und
dabei war es doch todtraurig, zu hören von diesem
Leben im Zwielicht. Mir wurde das Herz voll und
schwer und ich wollte gehen, ehe der Oberstleutnant
zurückkam. Noch einmal schlang sie die Arme um
meinen Hals, weinte sich aus und wir küßten uns
zum Abschied, länger und heißer als je in den Tagen
unserer heimlichen Jugendliebe.

Da riß uns ein rauhes Lachen auseinander. Ihr
Gatte war unvermerkt cingetretcn und sah uns in
solcher llinschlingung. Einen Augenblick zerrte er,
dunkelroth im Gesicht, an seinem Säbel, dann fragte
er heiser:

„Darf man fragen, was die Szene da bedeutet?"

Ich war schnell gefaßt und erzählte einfach die
Wahrheit. Und die Wahrheit so einfach, daß er auch
nicht einen Augenblick zu zweifeln schien!

„Also darum! Also darum!" sagte er, schwer
athmend. „Also darum habe ich mich umsonst ge-
müht, aus meiner Gattin auch mein Weib zu machen!
— Und was soll nun werden!"

Ich sagte, daß ich in jeder Weise zur Verfügung
stünde — wie man in solchen Fällen eben sagt. Grob
unterbrach er mich:

„Ich bin kein Esel und will keine Schießerei! Aber
auch keine Komödie von Scheidung, oder so was!
Ich will auch keinen Schaden haben an meiner Ehre,
meiner Stellung und an meiner Seelenruhe! Ich will
ganz kurzweg Ihr Ehrenlvort, daß Sie mit meiner
Frau nie wieder schriftlich oder persönlich in Verkehr
treten und ihr mit Absicht nie den Weg kreuzen werden!
Das will ich — Herr!"

Einen Blick warf ich noch auf die Frau, die
zitternd in die Sophaecke gesunken war und sah, daß
sie zu keinem Kamps bereit und fähig war. Ich be-
merkte auch jetzt erst, wie schwach und gebrechlich sie
aussah und daß sie wohl krank sein müsse.

„Soll ich gehen, Luise?"

Flehend sah sie mich an und nickte. Und als ich
mich wenden wollte, hielt ihr Blick den meinigen noch
einen Augenblick sest, führte ihn nach dem Zifferblatt
der Wanduhr und wieder zurück. Ich verstand sie!

Der Oberstleutnant empfing mein Ehrenwort, wie
er cs gewünscht hatte und ich schied von der Geliebten,
ohne ein weiteres Abschiedswort. Sie war nicht im
Stande zu reden, und weinte in ihrer Ecke still und
hilflos in sich hinein. Da ging ich denn.

Das war vor zwei Jahren. Und seit damals ist
nun jenes seltsame Hinundwieder zwischen uns, bei
jedem Stundenschlag. Es mag einem Andern als
Ueberspanntheit erscheinen, krankhaft, wenn Sie
mollen — aber bei jedem Schlage der Uhr fühle ich
das Band, das unsere Seelen an einander fesselt,
geheimnißvoll bewegt. Ich glaube es ganz deutlich
zu unterscheiden, ob im betreffenden Moment ich
allein an das Gemeinsame denke, oder ob die ferne
Frau zu gleicher Zeit den Schlag hört und unsere
Gedanken sich begegnen. Ich fühle freundliche, milde
Grüße voll Sehnsucht und Zärtlichkeit, aber selten,
selten! Ich fühle Zorn und Verzweiflung, aber an.
Allermeisten ein resigniertes, müdes Dulden. Manch-
mal durchschauert mich das Pochen des Hammers
aus die Glocke mit einem wimmernden Weh; mir ist
dann, als höre ich was, wie das Klagen verendenden
Wildes und ich weiß auch längst, daß diese arme Frau,
die nicht mehr den Willen hat, sich zu wehren und zu
leben, in ihrem Winkel langsam hinstirbt. Ich fühle
es mit einem Schmerz in diesen letzten Wochen, daß
ich selber meine, daran zu Grunde zu gehen! Es
ist, als reichten aus meinem Nervensystem feine Fäden
über die Grenzen meines Körpers weit hinaus und
wären mit ihrem Wesen verknüpft und litten mit,
wenn sie leidet."

Er schwieg und ich sah einen Ausdruck tiefer Ver-
störtheit in seinem hübschen, männlichen Gesicht, der
mir nie noch so sehr ausgefallen.

___ Es war ein paar Tage später. Eine furchtbare
Schwüle hatte seit dem stützen Morgen auf uns ge-
drückt und war gegen Mittag unerträglich geworden.
Hartwich kam früher als sonst, und total erschöpft
auf seinem Rad von der Arbeitsstelle zurück und
fand mich im Garten. Der starke Mensch fieberte
ersichtlich unter innerer Aufregung und als ich ihn,
ehe er noch gesprochen, fragend ansah, sagte er mit
heiserem, verwirrtem Ton:

„Es ist Unheil in der Lust!"

Die Mahlzeit, welche ihm die Wirthin in den
Garten brachte, ließ er fast unberührt. Er schien
heute ununterbrochen hinauszuhorchen in die Ferne
und schauerte bei jedem Viertelstundenschlage zu-
sammen. daß ich es schließlich selber quälend mit-
empfand.

Von zwei Seiten des Horizonts stiegen schwarze
Wolkenwände herauf und breiteten sich mit unheim-
licher Schnelligkeit aus. Kein Lüftchen regte sich,
siedende Stille überall! Die Leute, die man auf den
Feldern ferne hastig arbeiten sah, ihre Ernte noch
vor dem Sturme zu retten, erschienen fast gespenstisch
in der grellen, harten Beleuchtung, die noch durch
einen Spalt in der Wolkendecke aus sie siel. Endlich
schloß sich auch der — aber immer noch kein Blitz,
kein Donnerrollen, kein Tropfen Regen! Es war
jetzt, eine Stunde nach Mittag, finster geworden.

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Arpad Schmidhammer: Wer fürcht' sich vorm schwarzen Mann?
 
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