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Nr. 24

1903

Neuer Frühling

Haft ihm einmal entgegengewacht,

Herz, von der Fülle der Sehnsucht schwer,
Und gesegnet den Sturm der Nacht
Und des Frühlings klirrendes Heer.

Der in den Wald und die Wipfel brach
Und die morschen zn Boden schlug,

Und in den jungen, jauchzenden Tag
Kranze von neuen Rosen trug.

Ach, der einft deine Stirne gekrönt,

Jener Frühling den Kranz verlor —

Und der heut von den Bergen dröhnt,
Stürmt und rüttelt an deinem Thor.

Und du fürchtest, was du geliebt:

Bangst vor des Frühlings froher Gewalt,
Die der Jugend die Kranze gibt,

Stürzt und splittert, was morsch und alt.

Uictor fiardung

Onkel Bcibakuk

von ßenrv f. Urban

„Nun ja, Kinder," sagte der Großpapa und
nahm eine Prise, „wenn Ihr darauf besteht, so
will ich Euch die Geschichte vom Onkel Habakuk
erzählen. Der Onkel Habakuk war ein Mann,
der mehr seltsame Dinge erlebt hat als irgend ein
amerikanischer Onkel. Als junger Mann war er
ein kleines schmächtiges Kerlchen, aber furchtbar

schlau. Und reden konnte er-heiliger Cicero,

wo bleibst Du da? Er konnte zwei Stunden über
einen Tintenwischer sprechen. Tann nahm er einen
Schluck Wasser und sagte: „Nach diesen einleiten-
den Worten wollen wir zur Sache kommen."
Tausend Dollars auf einen Hieb zu niachen, so
zwischen Frühstück und Mittagsessen, war ihm
eine Kleinigkeit. So war zum Beispiel die Sache
mit dem Haarwuchs-Mittel seine Erfindung. Er
reiste mit einem Wagen von Stadt zu Stadt, ver-
sammelte auf der Straße die Leute um sich und
hielt einen glänzenden Vortrag, worin er den
Leuten folgendes erzählte: „Liebe Leute, hier habe
ich ein unfehlbares Mittel, gegen kahle Köpfe.
Das Mittel heißt Anti-Glatzin. Ein berühmter
deutscher Professor, Hans Müller, fand das Rezept
dazu in einer egyptischen Pyramide. Es war bei
den alten Egyptern allgemein im Gebrauch. Da-
raus erklärt sich auch die merkwürdige Thatsache,
daß die alten Egypter keine kahlen Köpfe hatten,

wie Ihr an den Mumien sehen könnt. Dieses
Mittel, Ihr Leute, besteht ans einer Mischung von
feinstem Krokodil-Oel und.pnlvrisirtem Haarsamen.
Denn wir Ihr wißt, wächst das Haar ans win-
zigen Samenkörnchen grade wie das Gras. Fünf-
zigtausend Krokodile schlachtet Professor Müller
jährlich, um das für sein Mittel nöthige Oel zn
bekommen. Denkt Euch I * Man braucht die Misch-
ung einfach tüchtig auf den kahlen Kopf zu reiben
und schon nach kurzer Zqit wachsen die prachtvoll-
sten neuen Haare. So erfolgreich war Professor
Müller, daß er zum Geheimen Hof-Ober-Haarer-
zeuger des deutschen Kaisers ernannt wurde. Die
vornehmsten Herrschaften beziehen ihre Haare von
ihm. Ja, was so ein gelehrter deutscher Professor
fertig bringt, grenzt ans Märchenhafte. Das weiß
man ja."

So erzählte Onkel Habakuk den Leuten. Und
dann fragte er, ob kein Kahlkopf da sei, der
Lust habe, das Mittel zn versuchen. Es koste ihm
nichts, keinen Cent. Dg meldete sich denn auch
ein Kahlkopf, der das Mittel mal versuchen wollte.
Er trat vor und Onkel Habakuk nahm eine Schach-
tel Anti-Glatzin und rieb dem Kahlen damit den
Kopf ein, schenkte ihm zum Schluß die Schachtel
und sagte, er würde in zwei Wochen wicderkom-
men. Alsdann wollte er sehen, wie das Haar ge-
wachsen sei. Er würde seine Ankunft in der Zei-
tung «»zeigen und der Kahlköpfige sollte an dem-
selben Platz zur Stelle sein. Da waren denn
eine Masse Neugieriger da und Onkel Habakuk
rief nach dem Kahlköpfigen.

„Hier bin ich!" sagte der Kahlköpfige. Und
siehe da, wie er den Hut abnahm, war sein
Kopf voll neuen jungen Haares und sah aus
wie der frischgeschnittene Rasen in meinem Gar-
ten. Die Leute mußten ihm über die Haare
fahren, damit sie sich überzeugen konnten, daß es
keine Perücke war, sondern echtes Haar. Das
Erstaunen war natürlich groß und die Schach-
teln mit dein Anti-Glatzin gingen ab wie heiße
Semmeln. Aber ach —! -- die Käufer warteten
vergebens auf neue Haare. Und als sie den Mann
aufsuchten, dem es geholfen hatte, war er ver-
schwunden. Er steckte nämlich mit Onkel Habakuk
unter einer Decke. Sein Kopf war von Natur
voll schöner Haare. Aber Onkel Habakuk rasirte
sie ihm oben ab, sobald sie in eine neue Stadt
kamen, sodaß er wie ein Kahlköpfiger aussah.
Lange konnte Onkel Habakuk es so nicht treiben.
Es gibt immer neidische Leute, die einem andern
seine Klugheit und den dadurch errungenen Erfolg
nicht gönnen. Diese Neidhammel waren auch
hinter Onkel Habakuk her und drohten ihn anf-

zuhängen, bloß weil er so furchtbar schlau war
Als er das merkte, bekam er's mit der Angst und
ging nach Dakota.

Eines schönen Tages, wie er so in Dakota
spazieren ging, kam „der blutige Hammel" des
Weges. Das war ein gefürchteter Indianer-Häupt-
ling vom Stamme der Ogalalla. Zn diesem
Stamme gehörte ja auch der große „Eitting Bull",,
der den General Custer und seine Soldaten massa-
krirt hat. „Der blutige Hammel" saß auf seinem
Pferde. Was thut er, wie er Onkel Habakuk er-
spät? Ganz hinterlistig, wie diese rothen Schufte
sind, läßt er sein Pferd sich auf den Zehen näher-
schleichen -was, Pferde haben keine Zehen?

Dann habt Ihr noch keine richtigen Indianer.

Pferde gesehen, Kinder. Genug-ehe Onkel

Habakuk noch nach seinem Revolver suchen kann,
den er in Colorado gelassen hatte, schnürt ihm der
Lasso des „blutigen Hammels" die Kehle zu. Dann
stieg der „blutige Hammel" ab, entwaffnete Onkel
Habakuk, schlang ihm den Lasso um den Leib,
spuckte ihm drei Mal ins Gesicht, sprang wieder
auf's Pferd und sagte mit gemeinem Lachen:
„Allons, mon ottsr Habakuk I" Schneller, immer
schneller trabte er dahin und der arme Onkel Ha-
bakuk nmßte sich fast die Beine ausreißen, uni
mitzulaufen.

Da kam Onkel Habakuk ein genialer Ge-
danke. Er knöpfte sich seinen Radmantel auf,
bis auf den untersten Knopf. Den ließ er zn.
Dann breitete er wagerecht die Arme aus. Da
ein heftiger Wind wehte, so fing er sich in dein
Mantel und bauschte ihn auf. Onkel Habakuk
verwandelte sich auf die Weise in einen riesigen
Drachen. Mit seinen dünnen Armen und dem
ebenso dünnen federleichten Körper bildete er ge.
wissermaßen das Gestell des Drachens. Das ist
sehr verblüffend, nicht wahr, Kinder? Es dauerte
auch nicht lange, so begann Onkel Habakuk lang-
sam in die Höhe zu steigen. Höher stieg er, im-
mer höher. Nach einer Weile kam es dem „blu-
tigen Hammel" merkwürdig vor, daß der Lasso so
straff war. Er sah sich um und erblickte Onkel
Habakuk hoch oben in der Luft. Ter rothe Lump
bekam einen Todesschreck. Er glaubte nicht anders,
als Onkel Habakuk sei ein böser Geist. Und da
der „blutige Hammel" infolge seiner üppigen Le-
bensweise und übermäßigem Genuß von Gänse-
leberpastete und Champagner an chronischer Herz-
schwäche litt, so stürzte er tobt vom Pferde. Ter
Schlag hatte ihn gerührt. Nun war aber der
Lasso an dem Leibgurt des Pferdes befestigt. In-
folgedessen siog Onkel Habakuk ruhig weiter. Die
Frage für Onkel Habakuk war: „Wie komme ich

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Register
Henry F. Urban: Onkel Habakuk
Heinrich Nisle: Zierleiste
Victor Hardung: Neuer Frühling
 
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