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Nr. 25

J UGHND

190j

^VOte verhängnißvoll auch jene Arbeit des sechzehnten
Jahrhuiidcrts für die politische Gestaltung des
Vaterlandes geworden ist, dennoch darf jeder Deutsche mit Ehrfurcht daraus
zurucksehen, denn ihm verdanken wir alles, was jetzt unfern Stolz und unsere
Hoffnung ausmacht, unsere Opsersahigfeit, Sittlichkeit, die Freiheit des deutschen
Geistes, einen unwiderstehlichen Trieb nach Wahrheit, die unerreichte Methode
unserer Wissenschaft.... Alle Consessionen haben llrsache, aus Luther zurück-
zusuhren, was heut in ihrem Glauben innig, seelenvoll und segensreich für ihr
Leben ist. Der Ketzer von Wittenberg ist Reformator der deutschen
Katholiken gerade so sehr wie der Protestanten.

(kurkav Tnytafl, „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ II, 2.)

E. Kleinhempcl

Docfor marfinus

gern doch fiele ich, der Biedermeier,

A Zn Martin Luthers wohlverdienter Feier
Auch in die schwachen Saiten meiner Leier,

Ilm ihn, durch weichen in diversen Dingen
Befreiung, Licht und Fortschritt wir empfingen,
In meiner feinsten Tonart zu besingen!

Doch glaub' ich kaum, daß ich noch Morte fände,
Mit weichen viel geeignetere Hände
Auf ihn nicht schon geschrieben ganze Bände!
Auf ihn, den derben Kämpfer nnd Vernichter
Trübschwelender, verrußter Kirchenlichter,

Den Sprachschatzhcbcr, Mortexräger, Dichter!

Mahrhaftig, ihn, den Fröhlichen und Meisen,
Der noch die schönsten Reden hielt beim Speisen,
von Herzensgrund muß ich ihn selig preisen!

Ich preis' ihn selig noch aus einem Grunde:
Daß er so gut gewählt die Ankunftsstunde
Auf diesem jammerhaften Erdenrunde!

Hätt' er vierhundert Jahre noch bedacht sich
Und erst um Achtzehnhundertdreiundachzig
Nach nnserm lieben Deutschland aufgemacht sich —
Herr Doktor Martin Luther hätte schwerlich
Dann reussirt, und eminent gefährlich
Mär' seine Laufbahn heut' — ich sag' es ehrlich!

Hätt' die bekannten 95 Thesen
Ein Staatsanwalt am Kirchenthor gelesen —
Gleich war' der Strafantrag schon dagewcscn!
Und hätt' er gegen Tetzcls Ablaßhandel
Gewettert heut' im Wittenberger Landei —
Flugs hätte ihn die Hermandad am Bändel!

Wenn er mit Doktor Eck heut' disputirte —
Sofort mit Literkrügen bombardirte
Ihn unter Zimmerns Leitung der bornirte
Ultramontane Pöbel! Heute hätt' er
Den Fürsten Sachsens schwerlich mehr zum Retter,
Bedrohte ihn das schwarze Donnerwetter!

Heut' wiird' er auf der M a r t b u r g nicht geborgen,
Doch wegen Preßvergehen säß' er morgen
Schon auf dem Königstein in tiefen Sorgen!
Und heute ließen sich des Reiches Fürsten,

So sehr bekanntlich sie nach Wahrheit dürsten,
von ihm nicht mehr mit derben Morten bürsten!

Und was die echten Mucker sind, die rechten
Lonsistorialgottseligkeits-Gerechten,

Mit den gesalbten orthodoxen Flechten —

Die fielen über Doktor Martin heute
Noch wüster her, als dazumal die Meute,

Der Johann Hus zn Lonstanz fiel zur Beute!

Sie, welche ganz die Sittlichkeit gepachtet,

Sie hätten den gesunden Manu verachtet,

Der Mein und Meid als wünschenswerth

betrachtet;

Und stiege er, der kühne Geistesstreiter,

Als Ketzer auf des Scheiterhaufens Leiter,

So schleppten sie herbei die ersten Scheiter!

Biedermeier mit ei

JTus Marlin Luthers Schriften

Der glaube ohne die Liebe ift nichts wertst, Ja,
er itt eigentlich gar kein glaube, sondern nur ein
Schein der glaubenr, wie ein stlngesicht, im Spiegel
geiehen, nicht ein wahrhattiger -Hngdidjt itt, fon-
dern nur ein Schein des stlngelichtes.

6ott dem Herrn itt es ein geringes, Deiche und
stürltenthümer hin- und herzuwerten: kr geht lo ver-
ichwenderitch damit um, dah er zuweilen einem böten
Buben ein Königreich gibt und es einem strammen
nimmt, manchmal durch Verrätherei böicr, untreuer
Menschen, manchmal durch Lrbichatt. Wie's darum
niemand tür etwas Besonders halten kann, wenn ihm
ein Deich zugetheilt wird, belonders, falls er ein
Thrill iit, lo lallten wir Deutsche auch nicht
hochmüthig werden, dah uns ein neues Deich
zugewendet 1 ft. Denn es itt vor gottes stlugen
nur eine geringe gäbe, die Lr häutig den stllier-
untüchtigiten gibt, und Lr hat in allen Deichen 6e-
wait, lie zu geben, wem Lr will.

Wir tollten die studen nicht lo untreundlich be-
handeln, denn es lind zukünftige Thrillen unter
ihnen, Wenn wir christlich lebten und lie mit güte
zu ThrNto brächten, das wäre wohl die rechte stlrt.
Wer wollte Thrllt werden, wenn er Thrillen io un-
chrittlich mit Menschen umgehn lieht? Nidit lo, liebe
Thrillen > Man sage ihnen gütlich die Wahrheit,
wollen lie nicht, iah sie lauten; wie viele Thrillen
gibt es auch, die Thristum nicht achten und leine
Worte nicht hören, schlimmer als Heiden und studen,
und wir lallen lie doch in strieden gehn. Untere
. . . . aber, Däplte, Dilchöle und Sophilten, die
groben...., lind bisher mit den studen lo um-
gegangen, dah wer ein guter Thrilt war, wohl hätte
ein stude werden mögen, stch wenigstens, wenn id)
ein stude gewesen wäre und hätte solche ....*) den
ghriltenglauben regieren und lehren sehen, ich wäre
eher eine Sau geworden als ein Thrilt.

Wer sich tür einen Menschen hält und glaubt,
dah er unter dem Wort Menld) mit Inbegriffen lei,
der höre, war sein galt und Schöpier über ihn be-
schlieht und spricht. Lr wolle nicht, dah der Menld,
einsam sei, sondern er solle sich mehren, und schallt
ihm eine Hilfe, die um ihn lein und ihm Helten soll,
dah er nicht einsam bleibe. Und dies ift das Wort

*) Voriichf itt die ITIuffer der Weisheit — im aufgeklärten
Jahrhundert des .groben Unfugs“ und der .kochenden Volks,
ieelen!“ Wir haben deshalb ein paar Saft- und Kraffausdrücke
des Originals durch Punkte eriefzf!

(Anmerkung der .Jugend'.)

gottes, durch dessen Kraft im Manne die natürliche
lleigung zum Weibe geschalten und erhalten wird,
was weder mit gelllbden noch geletren verhindert
werden kann, denn es ift gottes Wort und Werk.
Wer aber ja einsam sein will, der thu den Damen
Mensch ab und beweise oder bewirk es, dah er ein
Lngel oder geilt fei.

»

Müssen denn alle diejenigen stllrlten und stldlige
bleiben, weiche als stürlten und stldlige geboren lind?
Was schadet es, wenn ein stürlt eine Bürgerin nimmt
und sich mit dem gute eines mittleren Bürgers be-
gnügt, andererseits aber eine adlige Dame einen
Bürger nimmt? stluf die Dauer wird's doch nicht
gut thun, nur stldei mit stldel zu verheirathen. Wenn
wir auch vor der Welt ungleich sind, vor Gott sind
wir doch alle gleich, stldams Kinder, gottes Kreatur,
und ist ein Mensch der andern wertst.

Thriltus wird am jüngsten Tage nicht tragen,
wie viel Du tür Dich gebetet, getastet, gewailtahrlet
und dies oder das gethan halt, sondern wie viel Du
den Ändern, den stlllergeringsten, wohlge-
than halt.

MartLurg-Däiniiierung

(Aus „Frau Aventiure“)

Die Sonne ist verglommen
(find Dämmrung wandelt sacht,
Willkommen, Gottwillkommen,

O lKurg aus hoher Wacht:

Gleich einem, dem im Dunkeln
Der Freundin Äuge winkt.

Hat mir ein spates Funkeln
(Vom Thurm noch zugeklinkt.

Denn wie der Tag erstehend
(Mit erstem Strahl dich grüszt,

Hat er, zur Küste gehend,

Zuletzt noch dich geküszt.

Koch schmiegt sich warm ein (glühen
(Um deiner Felsen (Moos,

Äls riss' es nur mit (Mühen
(Und Schmerz von Dir sich los.

Dich liebt das Licht. Ls wehet
Goldfäden in dein Kleid,

(Und jeden Stein umschwebet
Lin Hauch von Heiterkeit:

Drum hebt das Her; sich freier,

Der Kinn wird frisch und retn.
Dunstnekels blasser Schleier
Hüllt nur di« Kied'rung ein.

4t 2
Register
Biedermeier mit ei: Doctor Martinus
Joseph Viktor v. Scheffel: Wartburg-Dämmerung
Martin Luther: Aus Martin Luthers Schriften
Erich Kleinhempel: Zierleiste
 
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