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Nr. 2(3

1903

Münchner Sport-Marterl

Zur Erinnerung an die Riemer Steinmauer errichtet von Max Feldbauer
und Lajstan Rluibenschädl

Mitleidvolle Seelen, verweilet an dieser Stelle mir einem geheimen Schauer,

Hier stand dereinst die tückische und verrufene Riemer Steinmauer,

Von den vcrehrlichen Münchner Sportslcurcn gefürchtet wie der leibhaftige Teufel,
Sintemalen schon Mancher von ihnen allda mußte zusammenklauben sein zcrschundcncs

Rnochrnhäufel,

Zuletzt brach dieses grausame Ungethüm noch einem Jockey das G'nack —

Den nahm der Sensenmann ohne viel Federlesens gleich Huckepack,

Gottlob hat man jetzt der Mörderin ansclbstcn das Lebenslicht ausgcblasen,

Venngleich ei» solch verspätetes Vorgehen nicht mehr erweckt de» Todtcn unter dem Rasen.
Ein Hinderniß läßt sich im Sportlcbcn immerhin noch mir vereinten Rräften abtragen,

Leider kan» man das im politischen Leben nicht mit gleicher Berechtigung sagen,

Dicweilcn dort die Hindernisse erbaut sind aus lauter steinharten Schädeln,

So mir ihren Zöpfen lieblich nach — rückwärts wedelnI

Kopffchmerzen

MKor einigen Togen hotte ich Abends, kurz bor
-xA dem Schlafengehen, einen großen Aerger. Ich
fluchte, tobte und wüthete bis in die Nacht hinein.

Als ich dann am anderen Morgen erwachte, hatte
sich der ganze, grüngallige Aerger in meinem Hinter-
haupte concentriert und zivar an einer Stelle, die
etwa fingerbreit oberhalb der modernen Kragenhöhe
lag.

Im Laufe des Tages aber benutzte der Aerger
mit Hinterlist irgend eine complicierte Nervenbahn
und strahlte plötzlich nach beiden Augen hin aus.
Hier ließ er sich als Kopfschmerz häuslich nieder und
machte auch nach einer Woche noch keine Anstalten,
zu verschivinden.

Ich nahm zuerst meine Zuflucht zu meinen medi-
zinischen Kenntnissen; denn ich habe früher viel mit
Medizinern verkehrt und aus ihren ewigen Fach-
simpelcien manche Praktische Verordnung ausge-
schnappi und mir gemerkt.

So hatte ich gehört, daß man gegen Kopfschmerzen
ein Antiphreticum nehmen müßte.

Ich sah inl Lexicon unter „Antipyretica" nach
und nahm zuerst Antipyrin, daun Phenacitin, am
dritteir Tage Migrttnin, dap» Autisebrin, Saliphrin,
Aspirin und Lactopheni».

Damit war eine Woche' vergangen, und meine
Kenntniß der Antipyretica aus „in" erschöpft.

Dann versuchte ich es noch mit einigen andern
Endsilben, aber weder Salicyl, noch Pyramidon,
noch Citrophen vertrieben mir meine Kopfschmerzen.

Ich wurde ängstlich und beschloß, einen Arzt zu
konsultieren.

Ich fragte einen Bekannten nach einem tüchtigen
Arzte.

„Gehen Sie nur zu vr. Uebertreiber," sagte er
mir, „ein außerordentlich geschickter Arzt. Meine
Frau schwört aus ihn! Alle andern Aerzte Hallen
sie sür hysterisch erklärt, nur vr. Uebertreiber dia-
gnosticierte schon nach kurzer Beobachtung ein schweres,
organisches Leiden und hat das dann in unglaublich

kurzer Zeit auch vollkommen kuriert. Ich sage Ihnen,
der ve>steht seine Sache!"

Ich ging also zu vr. Uebertreiber und klagte ihm
mein Leid.

„Bitte, zieh'n Sie sich einmal ganz aus", sagte
der Doktor.

„Ganz aus?" fragte ich erstaunt; denn ich ver-
stand nicht, wozu er sich z. B. meine Hühneraugen
ansehen wollte, wenn ich über Kopfschmerzen klagte.

„Es wird Ihnen komisch Vorkommen," sagte der
Doktor, als er mein erstauntes Gesicht sah, „daß
ich Sie bitte, sich vollkommen zu entkleiden. Aber
wir Aerzte müssen — wenigstens ich thue es und
jeder gewissenhafte Arzt sollte es thun — ja! — wir
müssen stets den ganzen Körper untersuchen; den»
bei einem so komplicierten Organismus, wie unser
Körper es ist, kann man nie wissen, wo das Grund-
übel sitzt; und gerade Kopfschmerzen sind sehr häufig
das Symptom einer schweren Organerkrankung."

Ich zog mich also aus, und vr. Uebertreiber unter-
suchte mich mit dem Kehlkopf-, Nasen-, Ohren- und
Augen-Spiegel, ließ mich ein- und ausathmen, be-
horchte mein Herz, drückte meinen Leib an allen mög-
lichen Stellen, kochte meinen Urin und beklopfte
meine Beine.

„Ja!" sagte er dann, „ich wundre mich, daß Sie
noch so gut aussehen und so wenig Schmerzen ge-
habt haben. Sie sind nämlich ernstlich krank! Ihre
Kopfschmerzen sind bedingt durch eine Wandermilz.
Es ist das ein sehr seltenes Leiden und ich bin über-
zeugt, daß ein anderer Arzt das nicht gleich erkannt
haben würde. Aber ich habe, gerade in Milz-Er-
krankungen, eine kolossale Erfahrung. Es ist ein
Glück, daß Ihr Leiden noch zur Zeit diagnosticiert
worden ist.

Den» wenn Sie jetzt das thun, was ich verordne,
so werden Sie sicher in kurzer Zeit wieder hcrgestellt
sein. Hier nehmen Sie von dieser Medizin zwei-
stündlich einen Eßlöffel. Es ist übrigens gut, wenn
Sie sich öfter einmal untersuchen ließen; denn sowohl
Ihre Leber, wie Ihre Bauchspeicheldrüse zeigen Nei-
gung zur Entartung ihrer Funktionen!"

Ich zahlte zehn Markund ging betrübt und kummer-
voll von dannen.

Jetzt hatte ich Kopfschmerzen und eine Wander-
milz! Wie krank man doch oft ist, ohne eS zu wissen!

Ich nahm die wasserklare, etwas bittere Medizin
regelmäßig ein; aber meine Kopfschmerzen saßen noch
immer tückisch in meinem Schädel und nagten wie
kleine Insekten.

Nach einer Woche traf ich einen anderen Freund
und klagte ihm mein Leid.

„Wie können Sie auch nur zu vr. Uebertreiber
gehen!" sagte er ganz entrüstet. „Der einzig tüchtige
Arzt, den es in der ganzen Stadt gibt, ist doch be-
kanntlich De. Schofel. Ich hatte früher auch einen
andern Hausarzt. Aber seit ich vr. Schofel habe,
sehe ich erst, wie falsch der uns alle früher behandelt
und wie wenig er verstanden hat."

Ich ging also zu vr. Schofel.

Ich erzählte ihm meine Leidensgeschichte und ver-
schwieg ihm auch nicht, daß ich schon vr. Uebertreiber
konsultiert, und daß dieser eine Wandermilz festgestelli
hätte.

.De. Schofel untersuchte mich noch genauer als
sein College.

Er spickle mich mit Nadeln, zapfte mir Blut ab
und durchleuchtete mich mit Röntgenstrahlen.

„Hm!" sagte er dann, „ich schätze ja de» College»
Uebertreiber sehr. Sicher ein tüchtiger Arzt. Aber —
hm! Nun, ich will ja nicht ableugnen, daß, wenn er
Wandermilz sestgestcllt hat, er sie auch gefühlt haben
wird. Ich — aber kann keine fühlen und ich habe
gerade in Milzcrkrankungen eine sehr große Erfahr-
ung. Ich verstehe den College» nicht, wie er ein
klares Krankheitsbild so vollkommen verkennen
konnte."

Den letzten Satz sprach er gleichsam sür sich, aber
doch so, daß ich alles hören mußte.

„Sie haben keine Waudcrmilz," suhr er dann
fort, „im Gegentheil! Ihre Organe sind vollkommen
gesund. Aber Sie leiden an einer Infektionskrankheit

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Register
Adolph Josephson: Kopfschmerzen
Kassian Kluibenschädl: Münchner Sport-Marterl
Max Feldbauer: Zeichnung zum Text "Münchner Sport-Marterl"
 
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