1903
Nr. 28
. JUGEND
L’appetit vient en mangeant!
Seit einigen Jahren hat sich im Reichstagsgebäude in den Räumen oberhalb der Bibliothek eine Unmenge von „Schwaben" eingefunden. Die unangenehmen
schwarzen Käfer sind dort geradezu eine zoologische Merkwürdigkeit, da es durchaus räthseihafl ist, wovon sie sich in den Räumen eigentlich nähren. Lin Berliner
Blatt hält es für ein dringendes Bedürfniß, für den deutschen Reichstag einen Igel anzuschaffen, der ja namentlich Schwaben gern in sehr großen Mengen frißt.
Was aber dann, wenn der Reichsigel mit den Käfern oberhalb der Bibliothek gründlich aufgeräumt hat und eines
Tages im Sitzungssaal erscheint, um sich nach weiterem schwarzen Futter umzusehen?
Salzburger Kurseben liecl
Als Protest gegen die geplante Errichtung einer
ultramontanen Salzburger Universität finden Heuer in
Salzburg wissenschaftliche Universitätskurse statt, zu
denen Hochschullehrer und Studenten aus allen deut-
schen Gauen eintreffen.
Alt-Salizburg, die deutsche Stadt,
Die sollen sie nicht haben.
Um dort der freien Wissenschaft
Ein tiefes Grab zu graben!
Drum auf ans allen Gauen rings,
Ihr fröhlichen Scholaren,
Zu pilgern nach der Salzach Strand
In hellen Wandcrschaarenl
Es will der Dunkelmänner Geist
Schon herrschen vom Katheder,
Ihr deutschen Burschen all' heraus!
Und ziehet frank vom Leder!
Dort wo vom Mönchsberg schaut ins Land
Die altersgraue Veste,
Erkling' ein deutsches Burschenlied
Dem Römling zum Proteste!
Hinweg die Jesuitenschul',
Wo schläft der Barbarossa!
Es braucht die deutsche Wissenschaft
Heut nicht mehr nach Canossa!
Drum auf aus allen Gauen rings,
Ihr Bayern, Sachsen, Schwaben!
Alt-Salizburg, die deutsche Stadt,
Die sollen sie nicht haben! Krokodil
Heuer Börsen-fluch
Lohn (im Streite mit einem Konkurrenten):
„König sollste werden in einem Balkanstaat!"
llebersetzungskunsl eines kerliner Datein-
scbülers
Alea jacta est — Die Allee ist entworfen.
Belgisches
Lin neues Schauspiel im völkereonzert
Wird vor uns ansgebreitet:
Wie sich ein gesalbtes, gekröntes Haupt
Mit seinen Kindern streitet.
Lin erbitterter Streit, der gewaltig erhitzt
Die beiderseit'gen Gemüther,
Ls handelt sich um wichtiges ja,
Um der Lrde höchste Güter!
Man scheuet coram publica
Den Affront auch nicht auf Thronen,
wenn es sich um ein Sümmchen dreht,
Das zählet nach Millionen!
Das liebe Geld macht uns Alle gleich,
Ist der Menschheit Trachten und Dichten —
Lin König selbst balgt sich herum
Um den Mammon bei den Gerichten!
Dell
Der Naturmensch
pttit (Zeichnung von A. Schmidhammer)
Gegen die „Raturmenschen" soll nach einer
preußischen Ministerialverfügung in diesem Sommer
sehr scharf vorgegangen werden. Die „Germania"
ist hierüber sehr erfreut, „weil diese sonderbaren
Menschen hinsichtlich der Kleidung und des
Benehmens gegen die guten Sitten und den
Anstand verstoßen."
wenn im Frühling auf das Land
Scheint die Sonne nieder,
Setzt fein Mobiliar in Stand
Der Naturmensch wieder.
Seine Stiefel zieht er aus,
Dito feine Socken,
Vhne Kopfbedeckung kraus
Zeigt er seine Locken.
Seine Jacke schenkt er her,
Gleichfalls seine weste,
Ebenso behandelt er
Andre KIciderreste.
Nur ein Betttuch bis zum Hals
Dient ihm jetzt zur Kleidung,
Und als Hemd noch allenfalls
Line große Zeitung.
Also stürmt er in den Wald
wo die vöglein singen,
Dort besteht sein Unterhalt
Nur aus Schwammerlingen.
Wasser trinkt er wie das Dich,
Schläft bei einer Fichte,
Seufzt und denkt dabei an „Sie"
Und er macht Gedichte.
So war's früher. Aber jetzt
wird's nicht mehr gelitten,
weil dies nämlich schwer verletzt
Uns're guten Sitten.
Jedem, der sich so vergißt,
Klopft man auf die Pfoten.
— weil'es gar so harmlos ist,
Hat man es verboten! netto»
Psychologie des Dragadramas
Königspurpur mit Paprikasauce gefärbt. Er
ein junger, unerfahrucr Masochist, sie eine er-
fahrene, pariserisch geschulte Sadistin älterer Ord-
nung, die, um die letzten natürlichen Gelüste ihres
Opfers zu betrügen, nicht vor Schwangerschafts-
Heuchelei mit Kindsunterschiebung zurückschreckt.
Beide erblich belastet mit balkanhaftem Größen-
wahn und stumpfsinniger Menschenverachtung,
wie sie nur im tausendjährigen Umgang mit
Janitscharen und Schweinen erstehen kann; —
die letzte Spur von Respekt vor den freiheitlichen
dealen ihrer hitzigen Rasse in der Schwüle des
otterbettes im königlichen Konak erstickt.
Das gekrönte Schlampinchen von der untern
Donau hat im Haschischrausch ihres Machtdünkels
die sonst so prompte Abwägung der Grenzen ihres
sadistischen Fluidums gänzlich eingebüßt: was
erfreuet Alexandern, imponieret nicht den andern.
Sie ist seelenblind geworden für die wildmänn-
lichen Instinkte einer Soldateska, die ganz direkt
von den Kampfgenossen Karageorgs (des „schwarzen
Schorschl") und jenes Milosch abstammt, dessen
letzter neurasthenischer Setzling nun glücklich in dem
Hafen dieser sterilen Ehe sich entmännlicht und
einen Nachfolger aus der napoleonisch aufgeblähten
Sippe Dragas kürt.
Da pocht das Schicksal mit Dynamitfäusten
an die Pforten des Konaks. Die sie noch vor
einer Stunde als unterwürfige Feiglinge verlacht,
die Nachkommen der ruhmgekrönten Schweine-
hirten und Janitscharenüberwältiger — die Schläch-
ter ihres Blutes stehen vor ihnen mit wildrollen-
den Augen und knackenden Revolvern. Und es
fließt in Strömen und aus hundert Wunden dieses
Blut, dessen Dampf nach Mcnschenverachtung
stinkt. Von Theodora zu Draga war nur ein
Schritt — lumpige zehn Längengrade und noch
lumpigere vierzehn Jahrhunderte Unterschied. In-
dessen doch ein Fortschritt, wenn man die
Energie des Rückschlags der beleidigten Canaille
in Betracht zieht. Ein orientaler Fortschritt,
mit dem wir nichts gemein haben wollen. „Nix
Daitsch I" Leorg fiirth
Liebe Jugend!
Folgendes wurde letzthin wörtlich am Grabe
eines Geheimen Regieruugsrathes in £. ge-
sprochen :
„Verehrte Trauerversammlung I Wir bestatten
hier soeben die Hülle des verstorbenen Geheimen
Regierungsrathes bl. zur ewigen Ruhe- Sehen
wir, was der Apostel sagt! Er sagt: „Das Ge-
heimniß ist im Herrn." Verehrte Trauernde! Alles
im Menschenleben ist geheim, das ganze Leben
selbst, wie auch der Tod. Auch in dieser Bezieh-
ung war der Verstorbene ein echter Geheime-
rath." (II)
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Nr. 28
. JUGEND
L’appetit vient en mangeant!
Seit einigen Jahren hat sich im Reichstagsgebäude in den Räumen oberhalb der Bibliothek eine Unmenge von „Schwaben" eingefunden. Die unangenehmen
schwarzen Käfer sind dort geradezu eine zoologische Merkwürdigkeit, da es durchaus räthseihafl ist, wovon sie sich in den Räumen eigentlich nähren. Lin Berliner
Blatt hält es für ein dringendes Bedürfniß, für den deutschen Reichstag einen Igel anzuschaffen, der ja namentlich Schwaben gern in sehr großen Mengen frißt.
Was aber dann, wenn der Reichsigel mit den Käfern oberhalb der Bibliothek gründlich aufgeräumt hat und eines
Tages im Sitzungssaal erscheint, um sich nach weiterem schwarzen Futter umzusehen?
Salzburger Kurseben liecl
Als Protest gegen die geplante Errichtung einer
ultramontanen Salzburger Universität finden Heuer in
Salzburg wissenschaftliche Universitätskurse statt, zu
denen Hochschullehrer und Studenten aus allen deut-
schen Gauen eintreffen.
Alt-Salizburg, die deutsche Stadt,
Die sollen sie nicht haben.
Um dort der freien Wissenschaft
Ein tiefes Grab zu graben!
Drum auf ans allen Gauen rings,
Ihr fröhlichen Scholaren,
Zu pilgern nach der Salzach Strand
In hellen Wandcrschaarenl
Es will der Dunkelmänner Geist
Schon herrschen vom Katheder,
Ihr deutschen Burschen all' heraus!
Und ziehet frank vom Leder!
Dort wo vom Mönchsberg schaut ins Land
Die altersgraue Veste,
Erkling' ein deutsches Burschenlied
Dem Römling zum Proteste!
Hinweg die Jesuitenschul',
Wo schläft der Barbarossa!
Es braucht die deutsche Wissenschaft
Heut nicht mehr nach Canossa!
Drum auf aus allen Gauen rings,
Ihr Bayern, Sachsen, Schwaben!
Alt-Salizburg, die deutsche Stadt,
Die sollen sie nicht haben! Krokodil
Heuer Börsen-fluch
Lohn (im Streite mit einem Konkurrenten):
„König sollste werden in einem Balkanstaat!"
llebersetzungskunsl eines kerliner Datein-
scbülers
Alea jacta est — Die Allee ist entworfen.
Belgisches
Lin neues Schauspiel im völkereonzert
Wird vor uns ansgebreitet:
Wie sich ein gesalbtes, gekröntes Haupt
Mit seinen Kindern streitet.
Lin erbitterter Streit, der gewaltig erhitzt
Die beiderseit'gen Gemüther,
Ls handelt sich um wichtiges ja,
Um der Lrde höchste Güter!
Man scheuet coram publica
Den Affront auch nicht auf Thronen,
wenn es sich um ein Sümmchen dreht,
Das zählet nach Millionen!
Das liebe Geld macht uns Alle gleich,
Ist der Menschheit Trachten und Dichten —
Lin König selbst balgt sich herum
Um den Mammon bei den Gerichten!
Dell
Der Naturmensch
pttit (Zeichnung von A. Schmidhammer)
Gegen die „Raturmenschen" soll nach einer
preußischen Ministerialverfügung in diesem Sommer
sehr scharf vorgegangen werden. Die „Germania"
ist hierüber sehr erfreut, „weil diese sonderbaren
Menschen hinsichtlich der Kleidung und des
Benehmens gegen die guten Sitten und den
Anstand verstoßen."
wenn im Frühling auf das Land
Scheint die Sonne nieder,
Setzt fein Mobiliar in Stand
Der Naturmensch wieder.
Seine Stiefel zieht er aus,
Dito feine Socken,
Vhne Kopfbedeckung kraus
Zeigt er seine Locken.
Seine Jacke schenkt er her,
Gleichfalls seine weste,
Ebenso behandelt er
Andre KIciderreste.
Nur ein Betttuch bis zum Hals
Dient ihm jetzt zur Kleidung,
Und als Hemd noch allenfalls
Line große Zeitung.
Also stürmt er in den Wald
wo die vöglein singen,
Dort besteht sein Unterhalt
Nur aus Schwammerlingen.
Wasser trinkt er wie das Dich,
Schläft bei einer Fichte,
Seufzt und denkt dabei an „Sie"
Und er macht Gedichte.
So war's früher. Aber jetzt
wird's nicht mehr gelitten,
weil dies nämlich schwer verletzt
Uns're guten Sitten.
Jedem, der sich so vergißt,
Klopft man auf die Pfoten.
— weil'es gar so harmlos ist,
Hat man es verboten! netto»
Psychologie des Dragadramas
Königspurpur mit Paprikasauce gefärbt. Er
ein junger, unerfahrucr Masochist, sie eine er-
fahrene, pariserisch geschulte Sadistin älterer Ord-
nung, die, um die letzten natürlichen Gelüste ihres
Opfers zu betrügen, nicht vor Schwangerschafts-
Heuchelei mit Kindsunterschiebung zurückschreckt.
Beide erblich belastet mit balkanhaftem Größen-
wahn und stumpfsinniger Menschenverachtung,
wie sie nur im tausendjährigen Umgang mit
Janitscharen und Schweinen erstehen kann; —
die letzte Spur von Respekt vor den freiheitlichen
dealen ihrer hitzigen Rasse in der Schwüle des
otterbettes im königlichen Konak erstickt.
Das gekrönte Schlampinchen von der untern
Donau hat im Haschischrausch ihres Machtdünkels
die sonst so prompte Abwägung der Grenzen ihres
sadistischen Fluidums gänzlich eingebüßt: was
erfreuet Alexandern, imponieret nicht den andern.
Sie ist seelenblind geworden für die wildmänn-
lichen Instinkte einer Soldateska, die ganz direkt
von den Kampfgenossen Karageorgs (des „schwarzen
Schorschl") und jenes Milosch abstammt, dessen
letzter neurasthenischer Setzling nun glücklich in dem
Hafen dieser sterilen Ehe sich entmännlicht und
einen Nachfolger aus der napoleonisch aufgeblähten
Sippe Dragas kürt.
Da pocht das Schicksal mit Dynamitfäusten
an die Pforten des Konaks. Die sie noch vor
einer Stunde als unterwürfige Feiglinge verlacht,
die Nachkommen der ruhmgekrönten Schweine-
hirten und Janitscharenüberwältiger — die Schläch-
ter ihres Blutes stehen vor ihnen mit wildrollen-
den Augen und knackenden Revolvern. Und es
fließt in Strömen und aus hundert Wunden dieses
Blut, dessen Dampf nach Mcnschenverachtung
stinkt. Von Theodora zu Draga war nur ein
Schritt — lumpige zehn Längengrade und noch
lumpigere vierzehn Jahrhunderte Unterschied. In-
dessen doch ein Fortschritt, wenn man die
Energie des Rückschlags der beleidigten Canaille
in Betracht zieht. Ein orientaler Fortschritt,
mit dem wir nichts gemein haben wollen. „Nix
Daitsch I" Leorg fiirth
Liebe Jugend!
Folgendes wurde letzthin wörtlich am Grabe
eines Geheimen Regieruugsrathes in £. ge-
sprochen :
„Verehrte Trauerversammlung I Wir bestatten
hier soeben die Hülle des verstorbenen Geheimen
Regierungsrathes bl. zur ewigen Ruhe- Sehen
wir, was der Apostel sagt! Er sagt: „Das Ge-
heimniß ist im Herrn." Verehrte Trauernde! Alles
im Menschenleben ist geheim, das ganze Leben
selbst, wie auch der Tod. Auch in dieser Bezieh-
ung war der Verstorbene ein echter Geheime-
rath." (II)
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Krokodil: Salzburger Burschenlied
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
(Theodor) Tell: Belgisches
[nicht signierter Beitrag]: Übersetzungskunst
Georg Hirth: Psychologie des Dragadramas
Monogrammist Frosch: L'appétit vient en mangeant
Helios: Der Naturmensch
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Gedicht "Der Naturmensch"
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
(Theodor) Tell: Belgisches
[nicht signierter Beitrag]: Übersetzungskunst
Georg Hirth: Psychologie des Dragadramas
Monogrammist Frosch: L'appétit vient en mangeant
Helios: Der Naturmensch
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Gedicht "Der Naturmensch"