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Immortelle auf em altes Chor

3ur Zeichnung von R. M. Sichler
Lion Kassian Hlufbett$cbädl, Tuifelemaler

tritt seinem Rnochenfinger pocht der Tod an alter und

junger Menschen Kammer.
2ln alten Gebäuden klopft er noch viel kräftiger an

mit Haue und Spitzhammer.
Betrachtet mit wehmuth dieses alten Thores Ueberrcste.

Einst gingen durch dasselbe aus und ein viel hundert

frohe und traurige Gäste.
Es sah in seinen langen ungezählten Lebenstagen
So manchen Erdenpilger hinaus zur ewigen Ruhstatt tragen.
So manches Brautpaar jung im Blüthcnschmuck und

blonden Locken

Zog durch das Thor in's neue Heim unter dem Schall

der Rirchthurmglockcn.

wie oft das Epigoncnthum überwuchert wahrer Kunst

und Dichtung Sterne,

So mußt' auch weichen dieses alte Thor einer

neumodischen Miethskascrne.
treues Leben muß hier aus den Ruinen sprießen,

Sintemal die Bauplätze viel zu theuer sind, als daß man

brach sie liegen ließe I

Gestürzct ist der Bogen schon, der letzte Pfeiler zittert

* unter'm Hammerschlage,

Kaum Jemand widmet ein Gedenken dem treuen Thor an

seinem Sterbetage.

Drum sei gepflanzt an eines andern Votivtaferls Stelle
Auf seinem Schutte diese unverwelkliche Immortelle.

Oer ßimderfmcirkFchein

Eine lehr wehmülhige Pl)antafte
Port franz Hdam keyerlein

Ich besaß einmal einen Hundertmarkschein.

Wie ich dazu gekommen bin — — mein Gott, das braucht
schließlich niemand zu kümmern. Da ich noch unbestraft bin und mich
eines leidlichen Leumunds erfreue, wird man mir wohl glauben: der
Hundertrnarkschein war auf eine ehrliche Art in meinen Besitz gelangt.

Ich steckte ihn ein, als mich der Freund in den Weinkeller lockte,
in dem der 99 er Moseljahrgang in einem „Macherner" junge Tugen-
den zu zeigen begann.

Nach löblicher Sitte riethen wir unsere zwei Flaschen mit
„Stein, Scheere, Papier" aus, und ich fing sie beide.

„Kein Wunder, wenn du soviel Geld hast!" bemerkte der
fröhliche Gewinner, als ich den Hunderter hervorzog.

Ich faltete die Banknote auseinander und rief den Küfer zum
Fahlen. Er kam lange nicht, deshalb besah ich mir den blauen
Schein mit einer etwas stumpfsinnigen Aufmerksamkeit. Er war wie
die andern auch, und er erweckte — wie die andern auch — denselben
Wunsch, dieselbe Begierde: O, daß ich noch viele, viele hätte!

Aber in einem war er doch anders: links oben in die Ecke war
etwas hingekritzelt,-wie ich näher zusah, der Zirkel einer stu-

dentischen Verbindung.

Diese krause Linie übte plötzlich einen fast hypnotischen Zwang
auf mich aus; ich mußte mich mit ihr befassen, lebhaft, eindring-
lich, unablässig.

. Vor allem: was bedeutete sie?

Ich war solcher Dinge nicht kundig, und der Freund, der Frau
Musika sich angelobt hatte, erst recht nicht, aber am Nebentische saß
ein Kgl. Baurath, den zahlreiche Schmisse hinreichend verdächtig
machten, in Zirkeln sich auszukennen. Er war noch jung und trank
Bordeaux (o, daß ich erst mit grauem Haar dem weißen Mosel ab-
schwören und zum rothen Altentrost Bordeaux flüchten müßte!)
und erklärte den Zirkel für den einer Leipziger Landsmannschaft.

Leipzig, du Vielgeschmähte, die der Zeitungsspott an die Pleite
verlegt hat, — in der jüngst ein weiser Mann den weisen Ausspruch

that: „Wohl dem, der kein Geld hat!"-Ich weiß nicht, wie

es dem Landsntannschafter in deinen Mauern behagte,-mir

warst du allzeit eine günstige Wirthin!

Und wie,-wenn ein mächtiger, ein gütiger Gott von meiner

Jahre Zahl ein paar Lustren subtrahierte und mich niederließe
etwa im fünften oder sechsten Semester zu Leipzig, diesen blauen

R. M. Eichler

Uni-neu^ Heben — blüljt ausienilüirm

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Register
Franz Adam Beyerlein: Der Hundertmarkschein
Kassian Kluibenschädl: Immortelle auf ein altes Thor
Reinhold Max Eichler: Zeichnung zum Gedicht "Immortelle auf ein altes Thor"
 
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