Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 27

JUGEND

1903

Zwei Entdeckungen!

Line Festgabe an die deutschen Ingenieure
(Mit obiger Zeichnung)

/Es hat den Unterzeichneten schwere Kämpfe mit
ZW seinem berechtigten Ehrgeize gekostet, als er
sich entschloß, die gewaltige Doppelentdeckung, welche
er schon vor einem halben Jahr gemacht, so lange
für sich zu behalten, bis er in der Lage war, sie
gelegentlich des Münchener Ingenieurtages einem
würdigen Auditorium mit der ihm eigenen werth-
schätzung wahrer Leistungsfähigkeit zu unterbreiten
sich gestatten zu können. Endlich ist der Zeit-
punkt erschienen und ich lege Ihnen, hochver-
ehrte deutsche Doktor-, Dipl- und einfache In-
genieure, nichts Geringeres auf den Tisch des
Dauses, als die

Umkrempelung aller dynamischen werrhe,

was Sie gleich begreifen werden, wenn ich mit
stolzer Bescheidenheit verkünde, daß ich Mittel und
Wege ausgeheckt habe,

Flüssige Llektricrtät

herzustellen! Was das bedeutet, brauche ich dem
Fachmann kaum zu sagen! Ich weise nur darauf
hin, daß in dieser concentrierten Form die Energie
von 372,1157 Kilowattstunden etwa das Volumen
einer Schweizerpille in Anspruch nimmt. Mit einer
Kraftpatrone von der Größe eines Taschenbleistifts
führe ich einen zehnwagigen Zug mit Expreßzugs-
geschwindigkeit von Rom nach Berlin. U. s. w.!
Mit einem (Quantum Elektrol — so heiße ich der
Kürze halber die von mir materialisierte elektrische
Energie —, mit einem Fläschchen Elektrol, so groß
wie eine schwedische Streichholzschachtel, heize ich
einen Winter lang eine Wohnung von sechs Zimmern
mit Bad und Küche und beleuchte sie noch dazu
splendid.

Und dieses Fläschchen Elektrol kann ich bei
einem bescheidenen Nutzen von '250/0, hübsch in

J

Isolierwatte verpackt, um 73 Pfennige verkaufen!
— wer jetzt nicht staunt, wird meiner bescheidenen
Meinung nach das Staunen überhaupt nicht mehr
lernen!

Ueber die Herstellung der Flüssigen Elektrizität
nur soviel:

Professor Linde's Apparat für die Verflüssigung
der Luft hat mich darauf gebracht und flüssige
Luft ist sozusagen die Basis meiner Entdeckung.
Um Elektrizität flüssig zu machen, braucht man
bekanntlich ungeheuer tiefe Temperaturen. Nun
lasse ich einen Ballon voll flüssiger Luft, die ja
ohnehin schon eine Kälte von 2000 unter Null hat,
wieder mit flüssiger Luft überrieseln, durch deren
Verdunstung die flüssige Luft im Ballon um weitere
(000 abgekühlt wird. Dann überriesele ich diese
300grädige flüssige Luft mit flüssiger Luft von
gleicher Temperatur u. s. w. und habe schließlich
ein Fluidum von 7300 Kälte, die für meine Zwecke
genügt. Denn, wenn ich mit dieser Flüssigkeit einen
luftleeren Glas-Eylinder umgebe und leite durch
ihn nun den elektrischen Strom in drahtlosen
Spiralen von colossaler windnngszahl, so wird er
schließlich in der enormen Kälte so weit verdichtet,
daß er als klare rubinrothe Flüssigkeit von einem
am negativen Ende des Glascylinders eingeschmol-
zenen Kuxferdraht herabtroxft. Das Elektrol ist
fertig zum Gebrauch!

Es wird in kleinen und größeren Flaschen oder
Patronen aus genanntem Material aufbewahrt und
der Strom entwickelt sich sofort, sobald die Isolier-
ung aufgehoben und der Leitungsdraht mit der
Flüssigkeit in Verbindung gebracht ist. Elektrol
hält sich unbegrenzte Zeit und bleibt stets geruch-
los. Mit den verblüffend einfachen Vorrichtungen,
mit welchen ich die Spannung des Stromes regu-
liere, will ich Sie , weiter nicht aufhalten. Nur
Einiges noch über die praktische Verwendung des
Elektrols: es bedeutet in allererster Linie den
leichten Motor und damit das lenkbare Luft-
schiff; es wird im Automobilismus das Benzin
ersetzen und Geschwindigkeiten erzielen bis zu 45
Leichen auf den Kilometer. Da ich es selbstver-
ständlich nur an die deutsche Armee abgebe, werden
nicht nur ihre elektrischen Schiffe allen Anderen
überlegen sein, nein, auch alle Schießwaffen ge-
stalte ich um nach einem genial-einfachen System;
durch negative Elektrizität abgestoßen fliegt mein
Geschoß ohne Rauch und Knall aus dem Lauf mit
einer Rasanz ohne Gleichen. Ein Soldat, den ich
mit der Elektrolflinte schießen ließ, stürzte einige
Sekunden später, von rückwärts in die Schulter
getroffen, zur Erde: seine eigene Kugel war rund
um die Erde geflogen und dabei nur um siebzehn
Millimeter gesunken! Fabelhaft sind nietue Schiffs-

geschütze: jedes Geschoß stellt einen Elektromagneten
von ungeheurer Kraft dar. Sobald ich diese Kraft
in Wirkung setze, zieht der Stahlxanzer des feind-
lichen Schiffes das Geschoß mit geradezu blöd-
sinniger Vehemenz selber an sich. Zielen ist un-
nöthig. Fehlen unmöglich. U. s. w. u. s. f. von
fabelhafter Wirkung ist das Elektrol auch als
Medikament. Man kann es geradezu flüssige
Vitalität nennen. Fünf Tropfen auf Zucker
veranlaßten einen 33 jährigen Trappistenpater aus
seinem Kloster aus- und bei den Altkatholiken ein-
zutreten, worauf er eine (7 jährige Ueberbrettel-
fängerin heirathete. Elektrol ersetzt alle Alkoholika
und andere Reizmittel und ist vollkommen un-
schädlich. wie viele unglückliche Ehen wird es
wieder einrenken! welche Perspektiven eröffnet es
den Sportslenten, den Alpinisten — kein Ermatten
ist mehr zu fürchten! Der Mensch im Zeitalter des
Elektrol nützt sich überhaupt um achtzig Prozent
weniger ab.

Nun fragen Sie: woher aber die ungeheuren
Elektrizitätsmengen nehmen, die jetzt nöthig werden?

Diese Frage richtete ich natürlich auch an mich
selbst!

Und ich fand die Antwort. Sie ist verblüffend
einfach, das coloffalste Lolumbusei, das je gelegt
wurde.

Ich fetze die Amschwungsbewegung der
Erde in elektrische Energie um!

Unser Erdball dreht sich, wie Sie wissen, um
seine eigene Axe mit solcher Geschwindigkeit, daß
ein Punkt am Aequator in der Sekunde ^6^ Meter
zurücklegt. Sie stellt also ein Schwungrad dar, das
ungeheuer schnell rotiert, an seiner dicksten Stelle
einen Halbmesser von 6,377,39 ( Meter hat, und
die Kleinigkeit von ungefähr

((8000 000000 000000 000000 Zentner
wiegt. Ich glaube sogar, sie ist noch sieben oder
acht Kilo schwerer! Die unmeßbare und uner-
schöpfliche Energiemenge ging bis jetzt ungenutzt
verloren — unglaublicher weise! Und ihre Ge-
winnung ist so einfach!

Ich versehe das „Riesenschwungrad" in der
Richtung des Breitengrades, unter dem ich lebe,
mit Zähnen! In der Richtung von West nach
Ost lege ich eine kräftige Schiene aus sehr wider-
standsfähigem Nickelstahl, in deren Zähne in ent-
sprechenden Zwischenräumen Zahnräder eingreifen,
welche jene rasende Geschwindigkeit auf vertikale
Schwungräder Überträgen. (S. obige Zeichnung')
Die Umsetzung in Elektrizität in mächtigen Dynamo-
anlagen ist dann nur noch eine Kleinigkeit für den
modernen Techniker und wie diese verflüssigt wird,
wissen Sie bereits.

Meine beiden Erfindungen ergänzen sich in
willkommenster weise: hätte ich die großen Men-
gen nahezu kostenloser Elektricität nicht, so könnte
ich sie auch nicht verflüssigen; könnte ich sie nicht
verflüssigen, so wüßte ich nicht, was ich mit der
fabelhaften Masse von Energie anfangen sollte!

Leider fehlt dem Unterzeichneten das Kapital,
um seine Entdeckungen in ganz großem Maßstab
zu fruktifiziren. Es besteht aber kein Zweifel,
daß unter den Theilnehmern Ihres Eongreffes
sich Leute finden, welche die Sache in die Hand
nehmen und eine Gesellschaft m. b. H. zur Ge-
winnung von Elektrol gründen werden.

Uebrigens gebe ich die Patente auch gegen
Baar ab!

DüNS lvindtz Livilingenieur u. Erfinde»'

Die wandernde Burg

Georg Vogt
Register
Georg Vogt: Die wandernde Burg
Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Text "Zwei Entdeckungen!"
Hans Windt: Zwei Entdeckungen
 
Annotationen