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Nr. 28

J UGEND

1903


A. v. Kubinyi

v

„wohin gehen Sie denn dieses Jahr in die Sommerfrische, liebe Freundin?" — „Dieses Jahr macht' ich in kein Seebad. Ich suche einen
stillen Grt, wo sich Niemand um mich kümmert, wo kein Nachtleben ist, wo ich keine Toilette zu machen brauch'!" — „Da gehen

Sie am besten nach München."

kökni bleibt köbni

Ein Schusterlehrbub in Prag hat am Sams-
tag beim Austragen ausnahmsweise reichliche
Trinkgelder bekommen. Damit die Meisterin, die
ihm immer die Taschen aussucht, davon nichts
erfährt, wickelt er das Geld in Zeitungspapier
und versteckt das Päckchen unter der Statue des
heiligen Nepomuk an der Moldaubrücke. Als er
am Sonntag Nachmittag ganz von süßen Plänen
erfüllt, feilt Geld holen will, muß er die be-
trübende Erfahrung machen, daß das Päckchen
fort ist, gestohlen ist. Kaum hat er sich von seinein
Schrecken erholt, kommt ihm maßlose wuth; er
stellt sich vor den heilige,: hin und ruft er-
grimmt: „Böhm bleibt halt Böhm!"

Verböbnung

Der reiche David Bloch hat eilt Rittergut mit
Ahnengallerie gekauft. Damit aber seine Freunde
das hohe auf Felsenzinne stehende Schloß bequemer
erreichen können, hat er auf ihr Drängen eine
eigene Zahnradbahn hinauf bauen lassen. Im
nächsten Jahr aber, als er wieder oben Gesell-
schaft gibt, ist die Bahn nicht mehr vorhanden.

Auf Vorhalt, warum er denn die bequeme Ver-
kehrserleichterung habe beseitigen lassen, erwidert
er: „was soll ich mer lassen verhöhnen von so
einer Bahn? Is se gekommen herauf, so hat
se immer gemacht: Bloch, Bloch, Bloch . . .,
is se gefahr'n hinünter, so is es gegangen:
David!, Davidl, David! . . . . Hätt' ich mer
sollen lassen das gefallen noch länger?" uiko

Ein geinüthliches Beichtkind

— Und nun, meine Tochter, frage ich Dich:
Hast Du niemals mit einem Manne sündigen Um-
gang gehabt?

— Gell, dös möchstd' gern wissen!!

Der Lumpenfammlerhunct

war einst ein Lumpeusammlerhund am schmu-
ZW tzigen, beladenen Karren angekettet. Drüben
in der Vorstadtkneipe sog sein Herr gierig den
Inhalt seines Schnapsglases aus.

Die Straße war kothig, steinig, vom kurz vor-
her niedergegangenen Wolkenbruch durchweicht.
Trotzdem schien dem armseligen, ruppigen, knochen-
reichen und fleischarmen Hund die Erde eine höchst
willkommene Lagerstatt.

Er drehte sich, wand sich, krümmte sich; doch
die Kette war zu kurz, zu hoch befestigt.

Kaum lagen die dürren Glieder auf dem
Schlamm, so zog die Kette den müden Kopf in
die Höhe, so drosselte ihn das Halsband derart,
daß ihm die Zunge aus denr hungrigen Maul
heraus hing.

Schmerz blickte aus den halbgeschlosseneu t?ie*
senden Augen, und immer wieder versuchte er sich
zu legen, immer wieder umsonst.

Lumpensammlerhund, bist Du allein am Karren
geschmiedet? Oder, Mensch, quälst Du Dich denn
nicht?

An der Kette Deiner Borurtheile zerrend, vom
Halsband Deiner Erziehung erdrosselt — auch Du
darfst Dich nicht auf der Erde zur Ruhe legen.

Amadeus Scbmidt-temple

500
Register
Alexander (Sandor) v. Kubinyi: Guter Rath
Amadeus Schmidt-Temple: Der Lumpensammlerhund
Ulko: Verhöhnung
[nicht signierter Beitrag]: Böhm bleibt Böhm
[nicht signierter Beitrag]: Ein gemüthliches Beichtkind
 
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