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1903

5 i e sollte es nicht fccFomrnen,
die nicht, die allen so Verdruß
machte, ehe sie noch hier war.
Ihrem Manne und wohl auch
den Schwestern, aber ihr am
meisten; denn am nächsten
steht das Glück ihres Sohnes
ihr, seiner Mutter und die
zukünftige Schwiegertochter
war von jeher das gewesen,
F. Steiniger worauf sie sich immer schon

gefreut hatte. Nun mußte
es so kommen!

Frau Anna sah auf die Uhr. Sechs Uhr. Sie
erschrak; es blieb nicht mehr viel Zeit. Um sieben
Uhr kam der Zug vom Oberland, der die Beiden
bringen mußte. Die Freude auf ihren peinz. den
sie seit Sommer nicht mehr gesehen, trat ganz zu-
rück hinter der Sorge vor der Fremden.

. „Schade, daß er uns die Sylvesterfeier so ver-
patzt," meinte beim Weggehen Frau Anna noch
zu ihren beiden Aeltesten.

„Neugierig bin ich," erwiderte ganz zerstreut
die Jüngere, während die Andere nur mit dem
Kopf nickte und neben der Mutter herging. Die
beiden Jüngsten kicherten ein wenig und fanden
das Ganze sehr interessant.

„Ich bin neugierig, wie es mit dem Französisch
gehen wird," sagte die Eine. „Oh, sie kann ja
Deutsch, hat peinz geschrieben," gab die Kleinste
froh zur Antwort, die sich darauf am allermeisten
gefürchtet hatte.

Eine Stunde später saß man im großen Kreis
um den runden Tisch im Speisezimmer. Zwischen
den beiden Eltern die Französin, groß schlank, mit
einem feinen schmalen Gesicht, dem große braune
Augen einen sympathischen Ausdruck gaben. Ihre
Kleidung war einfach, doch geschmackvoll gewählt
und aus gediegenen Stoffen. Eine der ersten Be-
obacktungen, die die Mutter gemacht hatte. Dem
Vater war zuerst aufgefallen, daß sie sehr gut
deutsch sprach, so gut, daß man ihr die Französin
kaum anmerkte. Die Schwestern fanden sie reizend.
Pedy, die zweitjüngste, lachte ein über das anderc-
nral ihrem Bruder bewundernd zu und die Kleinste
stand sogar bald auf und flüsterte peinz ein be-
geistertes „wirklich sehr nett" ins Öhr. Bei der
Aeltesten ging es langsamer. Wußte man, ob sie
Mama gefallen würde? Eben nicht. Noch nicht
wenigstens. Papa sprach gerade mit ihr, sodaß
die Mama Zeit fand, genauer zu beobachten: „pm,
ein feines Benehmen, anspruchslos, wie es scheint
und bescheiden, wie hübsch sie mit ihrem Manne
spricht, wie sie an allem Antheil nimmt. pm;
aber deswegen kann sie doch unsolid sein. Und
überhaupt."

Nun erzählt sie, daß sie so froh sei, einen
großen Theil ihrer Erziehung in München be-
kommen zu haben. Das sei der Wunsch ihrer
Mutter gewesen, die die deutsche Bildung für
besser hielt. Das hat gut getroffen. Ein kleiner
Sieg ist erreicht. Bei ihrem Mann natürlich. Ihr
macht dies weniger Eindruck. Deswegen bleibt
sie doch eine Französin, möglicherweise doch leicht-
fertig. — Nun will sie auskundschaften und wen-
det sich an die Schwiegertochter:

„werden Ihnen denn unsere kleinen Verhält-
nisse in L^all nicht zu bescheiden sein? Sie sind
gewiß von Genf her gewöhnt, viel mitzumachen?"

„O nein," entgegnet Mathilde, „wir lebten
sehr still und zurückgezogen. Mama liebte es nicht,
daß ich Gesellschaften besuchte und da blieben wir
meist zu Pause."

„Und was machten Sie so Abends?"

„Je nachdem, gnädige Frau, meist
gab's noch zu arbeiten, wenn wir des
Tags über nicht alles fertig brachten,
zu nähen, zu sticken, besonders in letzter
Zeit, seit ich mit Ihrem Sohne einig bin."

Die Züge der Frau Oberrevisor hell-
ten sich auf. wurden freundlicher. Listig
wendet sie sich nochmals an die Französin:

„Und werden Sie sich denn auch hier hinein-
finden in unsere Gewohnheiten? Gefällt es Ihnen
denn hier?"

„Und wie," erwidert diese lebhaft, „wo mein
Peinz ist, ist's überall schön. Und außerdem hoffe
ich so, gnädige Frau, auf Ihre Ansprache, und
wünsche von Perzen, daß Sie mit mir zufrieden
sein werden." Mit einem Blicke auf die Schwe-
stern: „Und dann freue ich mich so auf den Ver-
kehr mit den Fräuleins". — Neuerliche Bresche.
Diesmal bei ihr. Auch die Aelteste hat schon ka-
pitulirt und nickt freundlich und ein wenig ver-
legen herüber. „past du schon daran gedacht, wann
die Pochzeit ist?" fragte die Mutter nun ohne
eigentlich den Blick von Mathilde abzuwenden,
ihren Sohn.

„Gewiß Mama," sagt der freudig: „Du weißt
doch, im perbste komme ich von München her und
eröffne hier meine Praxis. Und dann wollen wir
heirathen, wenn ihr, du und Papa, nichts dagegen
habt."

„Nicht im geringsten," fiel nun Papa, der
schon fast umgesattelt hatte, dazwischen. Nicht
im geringsten? Er staunte selbst, wie dies schnell
gekommen war. Er, der früher.... pm, fo,
was man sich unter einer Französin vorstellt, ist
das gar keine. Teufelskerl eigentlich, sein peinz.
Große, elegante Figur, sehr schöne, beinahe ver-
führerische Augen. Pa, — der perr Oberrevisor
richtete sich auf, sah stolz um sich — nicht übel.
Man darf nicht voreingenommen sein, überlegte
er. Und. übrigens. Französin, so wie sie ihm zu-
wider waren, ist's keine, kanns keine fein bei die-
sen Ansichten. Deutsche Erziehung die beste. Das
war ein guter Ausspruch gewesen. Nettes Mädel.

Mama war noch lange nicht fertig, was gab's
da alles noch zu fragen und herauszubekommen.
Dies und jenes, was noch drückte. Aber sie schien

sehr zufrieden. Immer glücklicher sah sie aus.-

Aber jetzt noch eins. Patte nicht ihr Mann er-
zählt, daß in den französischen Ländern das so-
genannte Zweikindersystem allgemein üblich sei?
wenn sie Aufschluß bekäme, wie Mathilde darüber

dächte? Aber nein. Das ging doch nicht.-

vielleicht so:

„paben Sie gewußt, daß peinz vier Schwe-
stern hat?"

„O natürlich hat er mir das erzählt. Ich
Hab' ihn immer darum beneidet. Bei uns bin
leider ich allein, obwohl sich Mama immer noch
ein paar Kinder wünschte. Und ich finde es auch
viel hübscher für eine Mutter, wenn recht viel
Kinder sind. Gelt peinz?" fügte sie in ihrer na-
türlichen Lebhaftigkeit hinzu.

Gott Lob, dachte wie erlöst Frau Anna.

„Recht so, das ist ein vortrefflicher Stand-
punkt," ließ sich der Oberrevisor sehr laut ver-
nehmen. Sein bärtiges Gesicht strahlte vor Freude
und so herzlich er nur konnte, reichte er seine
große pand seiner Nachbarin. Dann stand er auf,
winkte seiner Frau und sagte zu den Uebrigen:

„Entschuldigt einen Augenblick, ich muß ge-
rade noch mit Mama etwas erledigen."

Und obwohl er nur in's Nebenzimmer ging,
wohin ihm seine Frau folgte, gab er der Fran-
zösin nochmals die pand.

Im Nebenzimmer geht der Oberrevisor ein
paarmal auf und ab, kneipt seiner Frau in die
Wange, sagt nichts. Geht nochmals ein paar
Schritte, bleibt plötzlich stehn:

„Du, Mama, was meinst, gibst ihr nicht doch
das Kreuz?"

Die Mama ist froh, daß ihr Mann davon an-
fängt. Aber sie stellt sich noch. Sie genirt sich
ein wem7, daß sie so schnell anderer Meinung ge-
worden ist, daß sie sich von der Französin so schnell

hat gefangen nehmen lassen. Darum meint sic:
„Aber Papa, wirklich?"

Da ist's an Papa, sich zu geniren, ein bischen.
Er, der grimmige Franzosenhasser, gibt nach und
bittet für eine Französin. Das Kreuz will er ihr
verschaffen. Seine Mama, wenn die wüßte. —
Nicht übel, denkt er wieder.

Da hört man Mathilde und Peinz draußen
lachen. Mit ihrer Hellen, angenehmen Stimme
lacht sie laut auf. Für solche Stimmen hat der
perr Oberrevisor eine Schwäche. Uebrigens.

„Du, ich meine doch, man sollt es ihr geben.
Es ist eigentlich doch ein nettes Mädel. Geh,
nimms heraus."

Und jetzt sagt Frau Anna nichts mehr. Wenn's
ihr Mann so will, kann sie es ja thun. Ein nettes
Mädel ist sie ja. Und gewiß solid. In der täuscht
sie sich nicht. Sie löst ihr kleines Schlüffelchen
zum Schmuckkasten von ihrer Uhrkette und sperrt
auf. In der untersten Schublade liegt in Seiden-
paxier vielemale verpackt das Familienstück. Sie
nimmt es behutsam heraus, haucht darüber und
putzt es mit dem Tascheutuche. Dann birgt sie
es sorgfältig in der pand und geht hinaus in's
Speisezimmer. Mit der anderen pand wischt sie
über die Augen. Daß sie jetzt voll Wasser wer-
den. Nein, so was! Sie ruft: „Papa." Aber
der ist schon zur anderen Thür hinaus. Auch den
packt's. Aber bei so einer Gelegenheit muß er
doch dabei sein. Da kommt er auch schon zur
Gangthüre wieder herein, lacht gerührt und sagt
„Nun?"

peinz steht auf, er merkt etwas. Mit ihm er-
hebt sich seine Braut. Da geht die alte Frau
schnell auf Mathilde zu und während ihr die
Tbränen herabrinnen, zieht sie sie an sich und
drückt ihr das Kreuz in beide pände.

Laus v. Dofkensthal

Den Anker los!

Die weiße Brust im Wellenschaum,

Die Schwingen schon zum Flug erhoben,
Liebäugelnd mit der Sonne droben
Und deine Sehnsucht zügelnd kaum —

So wartest du, mein Boot, auf mich!

Die blauen Wellen küssen dich
Und singen buhlerische Lieder —

Du wehrst dich noch, bebst auf und nieder,
Denn heimlich hält der Kette Kraft
Im Banne deine Leidenschaft.

Da lös' ich selbst mit trotzger Hand
Das Eisen, das dich bis zur Stunde
Festhielt im sichern Hafengrunde,

Dich an der Heimath Boden band.

Ein Aechzen. . . leise klirrend fällt
Die Kette — offen steht die Welt!

Nun laß uns zeigen, mein Geselle,

Daß wir zu Recht uns frei gemacht!

Ob in die wundervolle Helle
Des Mittags, ob in eis'ge Nacht
Die Fahrt uns führt — es soll nicht Zagen,
Nicht Reue uns zu nahen wagen!

Du aber, Sturmwind, der mein Leben
So oft niit wildem Wunsch begehrt,

Du sollst dich jauchzend heut erheben,

Denn Alles, Alles ist gewährt!
Verschwenden will ich heut, verschwenden
Mit diesen beiden sel'gen Händen.

Jlmta Kitter

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Register
Ferdinand Steiniger: Vignette
Anna Ritter geb. Nuhn: Den Anker los!
 
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