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DERRIESE Walther Püttner

Pefer Rolegger

Zu feinem 60. Geburtstag

cjtfer Name Rosegger's ist für mich mit einem
sM der größten Festtage meines Lebens unzer-
trennlich verbunden. Das mar an einem doppelt
schwülen Vormittag des Juli. Draußen briitete
die Sonne und ich selbst schwitzte im Prüfungs-
saal des Salzburger Staatsgymnasiums. Ich hatte
die Maturitätsprüfung zu bestehen und wurde reif
befunden. Wer das Gleiche durchgemacht hat, der
vermag mir das selige Gefühl der Freiheit nach-
zuempfinden, das durch das Herz eines Abiturienten
zieht. ■ Am Nachmittag pilgerte ich, losgesprochen
von aller weitern Qual der Logarithmen, der un-
regelmäßigen Verben und der endlosen Geschichts-
daten, auf den Mönchsberg, einen Band Rosegger
in der Tasche. Es war das erste Geschichtenbuch,
das ich von dem Dichter las. Was es war, davon
habe ich heute keine Ahnung mehr. Unvergeßlich
wird mir aber der lauschige Winkel bleiben, wo
ich unter den rauschenden Bäumen las und las,
bis mir die Dämmerung das Buch leise aus der
Hand nahm. Diese Stunden waren ein Gottes-
dienst... die Vermählung einer jungen freiheits-
jubelnden Seele mit echter Poesie.

Seitdem sind fast zwei Jahrzehnte vergangen,
daß mir Rosegger mit seinen Werken ein treuer
Begleiter geblieben ist, der mir von Jahr zu Jahr
immer wieder neue Festtage zu bescheeren wußte.
Wenn es heute der Jüngere übernimmt, dem
Meister ein kleines Ehrenkränzlein zu winden, so
geschieht dies mit jener unverminderten hohen
Freude an dem Schaffen des steirischen Poeten,
die mir ein schimmerndes Erinnerungsjuwel meiner
Jugend geblieben ist.

_ Was ist in all diesen Jahren im deutschen
Dichterwald emporgeschossen und wieder verschwun-
den! Unkraut und Schlinggewächs neben ragenden
Tannen und Fichten. Und ein solch kräftiger Wald-
baum mit knorrigen, widerstandsfähigen Wurzeln,
die sich tief in das Erdreich gruben, das war
Rosegger von allem Anfang an. Wie sein Leben,
so sollte eigentlich das deutsche Dichterleben sein.
Sollte aufwachsen im Volk statt im Literatur-
cafö! Sein Genius sollte nicht künstlich be-
schnitten werden durch Schulen und Moden I Aus
Schulbänken ist noch selten ein dichterisches Genie
hervorgegangen. Im Gegentheil. Unsere Größten
waren miserable Studenten, der Schreck der Pro-
fessoren, dafür aber um so glänzendere Autodi-
dakten.

Und nun gar der Peter vom Waldbauern.
Wer hätte in dem Hirtenbuben und Schneider-
gesellen den poetischen Evangelisten eines ganzen

großen Volksstammes geahnt, der durch ihn zu
einer geradezu kulturhistorischen Bedeutung erhoben
wurde I Man versuche es einmal, den Begriff
„Steiermark" von dem Namen Rosegger zu trennen.
Ich glaube, daß in der Unmöglichkeit eines solchen
Versuches die eigentliche Bedeutung des Dichters
ruht. Wie wenige können von sich behaupten,
daß sie den Charakter ihres Volkes für Mit- und
Nachwelt endgiltig in den goldnen Schaumünzen
der Dichtkunst geprägt haben?

Welche Gegensätze und Stufenleitern liegen in
dem Lebensgange dieses Dichters! Von seinem
ersten literarischen Debüt im Ziegenstall bis zu
den glänzenden, ja fürstlichen Gesellschaften, vor
denen Rosegger später seine Geschichten erzählte.
Dieses erste Debüt läßt sich nun allerdings mit
dem Auftreten eines unserer Dekadenten nicht ver-
gleichen, der seine Dichtungen in einem eleganten
Salon vor einem Dutzend hysterischer Weiber
zum Besten gibt. Der Waldbauern-Peterl ver-
pflichtete sich einstens, jeden Abend im Jahr seinen
Geschwistern eine Geschichte zu erzählen, wofür
ihm diese ihren Antheil an dem Eierkuchen über-
ließen, der nur bei seltenen Gelegenheiten auf den
Tisch kam. Auf einer alten Roßhaardecke, die
das Lager des Peterl und der Geschwister im
„Goasstall" bildete, kam der jugendliche Erzähler
der Verpflichtung seiner 365 Geschichten getreulich
nach. Köstlich ließe sich auch die Episode in den
vornehmen Rahmen der zunftmäßigen Literatur-
geschichten fügen, wie der Waldbauernbub sich
selbst seinen Kalender sammt Kalendarium, den
notwendigen Wetterprophezeihungen und Ge-
schichten schrieb und dieses Opus für zwei Kreuzer
Lesegebühr an die Bauern verlieh. Als er aber
im nächsten Jahrgang Pfingsten vor Ostern setzte,
büßte er vollständig den Kredit bei seinem Publi-
kum ein. Das hat er schließlich auch verdient.

Ich muß jedoch von dem Peterl schön lang-
sam zum ausgewachsenen Rosegger kommen, der
so ziemlich mit dem Zeitpunkt beginnt, da sein
Firmpathe volle fünfzehn Pfund „G'schriften" des
Naturdichters in seinem Rückkorb nach Graz trug,
wo Rosegger seinen ersten literarischen Gönner
fand. Diese fünfzehn Pfund haben seitdem reich-
liche Vermehrung erfahren. Es wäre selbst für
den Rahmen einer ganzen Broschüre schwer, eine
halbwegs erschöpfende Darstellung des gesammten
Schaffens Roseggers zu geben.

In zahlreichen Schriften hat Rosegger seine
eigene Jugend geschildert. Da ist zunächst das
prächtige autobiographische Buch: „Heidepeters
Gabriel", das man immer wieder mit neuem Ge-
nuß liest. In seinen „Erinnernngen aus der
Jugendzeit": „Waldheimath" schildert der Dichter
die Kindesjahre, all die kleine Welt, die ihn um-

gab, mit ihren rührenden, menschlich einfachen, oft
auch recht drolligen Gestalten in unübertrefflicher
Anschaulichkeit. Das kleinste Ding, an dem der
AUtagsmensch gleichgiiltig vorübergeht, wurde schon
dem Knaben Erlebniß, dem Manne dichterisches
Motiv. In einem weitern Bande der „Wald-
heimath" begleiten wir Rosegger auf seinen Lehr-
jahren als Schneider. Wir sitzen mit ihm „auf der
Ster" in den verschiedensten Bauernstuben, lernen
die mannigfaltigsten Charaktere kennen. Diese
Menschen prägen sich uns für immer ein, wir
glauben, selbst ihre persönliche Bekanntschaft ge-
macht zu haben. Das ist das Bewundernswerthe
an Rosegger's Kunst, daß er uns Typen vor Augen
zaubert, wie sie schärfer nicht mehr Umrissen sein
können. Gerade der Umstand, daß er sich selbst
vielfach in den Mittelpunkt der Begebenheiten stellt,
macht diese nur noch plastischer und lebendiger.
Wir sehen gleichsam mit den Augen des Dichters,
hören mit seinen Ohren und fühlen mit seinen
Nerven. Rosegger ist einer der genialsten Ich-
Erzähler, die es je gegeben hat. Das Geheimniß
des eigentümlichen Reizes dieser Ich-Novellen
scheint mir darin zu liegen, daß der Autor mit
seinem eigenen Ich nie posirt, sondern dasselbe in
den Gang der verschiedenen Geschichten wie etwas
Selbstverständliches, etwas Naturnothwendiges ein-
zufügen versteht. „Als ich jung noch war. Neue
Geschichten aus der Waldheimath" und „Mein
Weltleben oder Wie es dem Waldbauernbuben bei
den Stadtleuten erging" sind zwei weitere Bücher,
in denen Rosegger über ernste und heitere Erleb-
nisse plaudert, uns neue Bekanntschaften vermittelt,
menschliche Schicksale, an denen er seinen Antheil
hatte, poetisch verklärt. ‘

Die Sammlungen seiner Novellen füllen zahl-
reiche Bände. Zu den am Meisten verbreiteten
Sammlungen dürfte das „Buch der Novellen" ge-
hören, das wahre Perlen volkstümlicher Erzähl-
ungen enthält. Rosegger liebt es nicht, seine Motive
breit auszuspinnen oder bis auf alle ihre seelischen
Details zu erschöpfen. Er ist ein Freund von
knappen Situationen, raschen Vorgängen. Die
Liebe spielt in diesen Geschichten eine überwiegende
Rolle. Nie sentimental, nie konstruirt, stets mit
dem gesunden Hauch der Ursprünglichkeit und eines
naiven Freimuthes in ihren Aeußerungen.

Zu denjenigen Schöpfungen, welche wegen ihrer
realistischen Kraft von den Schriften Roseggers
sicher ihren Platz bei der Nachwelt behaupten
werden, gehört sein Novellenband: „Dorfsünden",
ein kulturhistorisches Monument, aus Granit ge-
hauen. Ergötzlicher Humor, mitunter ein derber
Schalk und ein ebenso klares Auge als mitfühlendes
Gemüth für die Schwächen der Menschen leuchtet
aus den Schwänken und Schnurren: „Der Schelm
Register
Rudolf Greinz: Peter Rosegger
Walter Püttner: Der Riese
 
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