Nr. 35
JUGEND
1903
Unter
Sternenbanner und Mallchürze
Strips and Stars sind
heute nicht nur das
Banner Amerikas,
'sondern der elegan-
ten und elegant
thun wollenden jün-
geren Leiche über-
haupt, und man
hat zur Genüge von
jenem amerikan-
ischen Trust gehört,
der infolge dieser jüngsten Modennarrheit in allen
Hauptstädten Filialen errichten und die europä-
ische Schneiderei in den Grund bohren will.
Der Augenblick ist nicht schlecht gewählt; man
schwelgt ja, Mann und Weib gleichmäßig, in den
langen Serpentinemänteln mit vertikalen Taschen-
schlitzen, in breitsohligen Treterschuhen, Riesen-
hüten oder clownhaften Schmalrandhütchen und
Sternbannernadeln, in breitgescheiteltem L)aar,
glattrasirten Gesichtern oder gestutzten Raupen-
schnurrbärten, — die Damen wohl nur als ent-
zückte Zuschauer! — und man ist in den Mode-
geschäften bereits so klug, anspruchsvollen Runden
gegenüber mit theueren Neuheiten in der weise
herauszurücken, daß man sagt: Bringen Sie ein-
mal das amerikanische Modell heraus I — Das
wird dann zweifellos gekauft. Denn es gibt
Leute, die förmlich amerikakrank sind.
Daß die transatlantischen Herrschaften, be-
sonders die Frauen, auch das rechte Zeug zu
etner Führung in Modedingen haben, ist bei der
bekannten Lebensweise des schönen Geschlechtes
dortzulande kein Wunder; nach dein kompetenten
% Uri heil sehr modeverständiger reisender Damen
kleidet sich die New-Porkerin noch besser als die
Pariserin, wobei ihr die Stattlichkeit ihres Wuch-
ses und ihre Haltung zu Statten kommt. Und
zwar thun dies die Frauen aller Volksschichten
durchweg, und soll die Art, sich zu kleiden, —
die ja bei den Frauen verschiedener Länder so
verschieden ist, — in New-Pork und Wien fast
dieselbe sein. —
Bei dieser Geschmacksverwandtschaft begreift
es sich, daß die Wienerinnen wie toll auf die
überseeischen Moden sind, während andrerseits die
Amerikaner so viel wiener Modelle ankausen, als
nur möglich. Ts ist unglaublich, wieviel erst-
klassige Trousseaux für amerikanische Bräute in
Wien angefertigt werden. Die schlauen Pankees
wählet: damit eine Form der Bestellung, durch
die ihnen die besten Modelle für alle Lebenslagen
übersichtlich geliefert werden und obendrein zu
Ausstättungspreisen, die sich um mehr als ein
Drittel billiger als Modellpreise stellen. Sie kom-
binieren dann die europäischen Einfälle in einer
oft so excentrisch ungehörigen weise zusammen,
wie man es hier nie gewagt haben würde, aber
stets pompös, dekorativ, und so sind wir zu dem
modernsten Styl in der Kleidung gekommen, wo
man zu einem überladenen weiten Rock eine
überladene Taille mit aufgeputztem Monstreärmel
trägt, darüber einen viel zu weiten, zu reich gar-
nierten Umhang mit Kragen und Boas in un-
sinniger Größe und Form, um endlich das Gattze
mit einem b)ut zu krönen, den man. früher nur
bei den American excentrique dances and songs
im Variete zu sehen bekam. Dazu eine Frisur,
die glücklich an jenem aufgekreppten Maximum
von falscher Haarfülle angelangt ist, über das
man bei den Ehignons der ersten Siebzigerjahre
so gelacht hat.
Man sieht, das ist der Einfluß der kaufkräftigen,
Bestellungen nach Nabobslaune machenden Millio-
närinnen aus dem fernen Westen, denen die
schlauen Schneider alle theuersten Sachen auf ein
einziges Tostume hinaufzunähen trachten. Die
armen Europäerinnen glaubet: nun, daß sie das
durchaus auch haben müssen, daher der überhand-
nehmende, sicher noch nicht dagewesene Luxus.
Es ist mehr als natürlich, daß sich eine Gegen-
bewegung herausbildete, und ebenso natürlich, daß
dafür zuerst jene Frauen den Muth fanden, die
sich das wenigste aus Toilette machen. Das
sind ganz sprichwörtlich die Norddeutschen, und
von dort kommt uns auch die neue Heilslehre,
die deshalb mit besonderem Mißtrauen angesehen
wird. .Die „Reformweiber" meinten mit Recht,
daß ihre malenden Mitschwestern noch am ehesten
etwas von Schönheit verstehen sollten — sollen
freilich — und übertrugen ihnen die Schaffung
eines neuen Frauengewandes. Die Künstlerinnet:
zerbrachen sich nicht lange den Kopf, sondern
griffen nach dem ihnen Nächstliegenden — nach
der langen Malschürze, in der sie sich den ganzen
Tag sahen, und die tatsächlich ein riesig gut-
kleidendes, Herrlid) bequemes Kleidungsstück ist,
je fleckiger, desto stimmungsvoller, und wenn wir
alle reichlich vorlieget:den Abbildungen der Ent-
würfe für küttstlerische Frauenkleidung durchgehen,
so kann man darit: leicht die verschiedenen ge-
bräuchlichen Atelierschürzenformen wiedererkentten.
Dieses Kleidungsstück hat schon bei den wun-
derbar reizvollen englischen Lostumezeichnungen
Gevatter gestanden, die uns vor mehreren fahret:
von Anning Bell und Anderen als Offenbarung
über den Lanal herüberkamen, auf Küt:stlerfesten
nachgeahmt wurden und so Idee und Anstoß zu.
der ganzen Reformbewegut:g gaben. Nur sähet:
die londonisch flottgeschnittenen, faltigen Hänge-
schürzen auf den klassisch gebauten Misses von
Kensington school of art, die da vorbildlich
waren, ganz anders aus, als die mit löblichem
Sparsinn selbstgenähten Malüberzüge an gewissen,
rührend-dürftigen Gestalten im Styl mittelalter-
licher Altarbilder, und mit der echt deutschen Lust
am häßlichen wurden gerade diese Erscheiturngen
zu Vorbildern der neuet: Tracht getwmmen. Gott
bessere sie! — Und selbst in unserem kleiderfrohen
Wien thun sich jetzt die Malweibchen zusammen
und trachten „durchzudringen." Auf der erstet:
diesjährigen wiener Sezessionsausstellung war
der wiener Vereit: für künstlerische Reformkleid-
ung, meist Künstlerinnen, in pleno reformirt
erschienen, vot: Presse und Publikutn leider mit
bitterem Hohn überschüttet.
Zu einer Zeit, wo jeder vernünftige Künstler
ganz ohne Schlapphut und langes Haar, wie jeder
vernünftige Mensch herumgeht, thun die ohnehin
viel angefochtenen Malerittnen vielleicht nicht gut,
sich eine witzblattunisormirung allerersten Ranges
anzuschaffen, und die Folgen in dieser Einsicht
sind ja nicht ausgeblieben. In Deutschland selbst
dürfte man kaum das richtige Bild davon haben,
wie wenig güt:stig die Lhancen der Reformtracht
anderswo stehen!
wir haben vor Jahr und Tag an dieser Stelle
davon gesprochen, daß tnan die künstlerische Tracht
nicht auf die Gasse hinaustragen, sie nicht
zum rasch verhallenden Modegeschrei machen, son-
dern ihr den vornehmeren Platz im Interieur, im
Garten, im Salon und Ballsaal geben möge, ^wo
sie mit der modertten Raumkunst wundervolle Zu-
sammenklänge hat. — Die guten Frauen aber
haben größtenteils etwas ganz Schreckliches aus
der Sache gemacht. Gerade die Allzusparsamet:,
die unschön Gebauten, häßlichen und immer schlecht
Gekleideten glaubet: dabei ihren Vortheil zu fin-
den oder der gesteigerten modernen Forderung an
die wohlgepflegte und reizvolle Kleidung des Wei-
bes einfad) zu entgehen, wenn sie Reformerinnet:
werden. Ganz im Gegentheil braucht das Re-
formkleid allerhöchstes Sd)neider- ut:d Kleidungs-
raffinement, nicht Schneider-, sondern wahre Kütift-
lerhände, um zu wirken. Jetzt werden es auch
noch die deutschen Köd)innen tragen, und dann
ist es gestorben, ersd)lagen von der blöden, schön-
heitsblinden Masse. —
In Paris hat man die ganze deutsche Pro-
paganda vornehm lächelttd ignorirt, um sie mit
einem großartigen Eoup zu beatttworten — wie
das für jeden Eingeweihten vorauszusehen war:
während man gegenwärtig jeden Stuhl und
jede Villa seinem Besitzer nach Maß auf den Leib
hinaufarbeiten möd)te, fand dort in der Kleider-
mode eine gegentheilige Bewegung statt: man
suchte nach Formen, die das bisher unumgäng-
liche, persönliche Körpermaß, den genau gczeich-
neten Schnitt überflüssig machen, Formen, die es
ertnöglichen, daß man Kleider wie Handschuhe,
Wäsche und Schuhe nach einer Nummer kauft,
respektive sich schicken läßt, wenn man bedenkt,
daß die große Ueberzahl der Menschen weitab
von anstättdigen Schneidern wohnt, so ist dieses
Bestreben höchst gerechtfertigt. Besonders für
amerikanische Verhältnisse und Bedürfnisse trifft
es zu.
Darum sind nun die in Paris neugeschaf-
fenen, sogenannten amerikanischen Moden
eine Sad)e, die eilten ungeheuren Sieg davon-
trägt, Formen, die bloß nach Halsweite, Gürtel-
weite und Länge gemessen zu werden brauchen
und die ganz von selbst richtig fallet: und paffen
müssen, weite Faltenjacken, die man offen trägt
oder lose übereinanderlegt, ungefütterte, weite,
überhängende Blousentaillen, überhängende weite
Aermel, enorm weite, eingefaltete Röcke. Nur
drei bestimmte Genres: Blousenkleidung. Iacken-
kleidung und spitzet:beladene, ganz transparente
„füll dress“, lose über auswechselbarem, die Toi-
lettewirkung gänzlich veränderndem Unterkleid ge-
tragem Lauter Sachen, die jeder gewöhnliche Lon-
fektiot:är vorräthig führen kann, die so raffinirt
ausgedacht t:nd gemacht sind, daß sie Jedem paffen
und gut stehen nnd dabei so complizirt gesd)t:itten
ut:d reid) ausgestattet, daß sie nur durch großen
Betrieb und ungeheure Arbeitstheilung in so bil-
ligen Preisen geliefert werden können.
Kleider nach Maß und eigner Angabe werdet:
demt:äd)st eit: erheblicher Luxus sein. Dafür geht
plötzlid) alle Welt famos gekleidet. Aud) Fönneri
die modertten weitet: Sad)en ganz und gar ohtte
Mieder getragen werden.
Das ist also die große Gegenaktion, die ge-
waltige Kleiderresorm, weld)e der deutsd)et: Tracht
etwas einfad) zu Beschaffendes, Billiges und zu-
gleid) allgetneit: Kleidsames entgeget:stellt. —
La Donna e mobile. Die Frauen kaufen die
hübschen. billigen Kleider und lassen Grundsätze
Grundsätze sein; besonders wem: man von ihnen
verlangt, daß sie an eit:er Kleidertracht festhaltet:,
ja, wie Van de Velde meinte, lieber ein kostbares
Gewand nach Urelternart ein halbes Lebensalter
lang tragen und ehren sollet:. —
Einer Mutter hatte ein Krokodil ihr einziges
Kind etttriffen und hielt es zwisd)en seinen Zählten.
Sie weinte und flehte. Hohnlachend sprach das Kro-
kodil : Sage mir eine unumstößliche Wahrheit und
Du sollst Dein Kittd wieder haben. Darauf sprach
die Mutter unter Thränen: „Id) werde mir im
nächsten Frühjahr ein moderttes Kleid kaufen."
Sofort gab ihr das Krokodil ihr Kind zurück.
natalie BrueK-JIuffeitbera
(Wien)
630
JUGEND
1903
Unter
Sternenbanner und Mallchürze
Strips and Stars sind
heute nicht nur das
Banner Amerikas,
'sondern der elegan-
ten und elegant
thun wollenden jün-
geren Leiche über-
haupt, und man
hat zur Genüge von
jenem amerikan-
ischen Trust gehört,
der infolge dieser jüngsten Modennarrheit in allen
Hauptstädten Filialen errichten und die europä-
ische Schneiderei in den Grund bohren will.
Der Augenblick ist nicht schlecht gewählt; man
schwelgt ja, Mann und Weib gleichmäßig, in den
langen Serpentinemänteln mit vertikalen Taschen-
schlitzen, in breitsohligen Treterschuhen, Riesen-
hüten oder clownhaften Schmalrandhütchen und
Sternbannernadeln, in breitgescheiteltem L)aar,
glattrasirten Gesichtern oder gestutzten Raupen-
schnurrbärten, — die Damen wohl nur als ent-
zückte Zuschauer! — und man ist in den Mode-
geschäften bereits so klug, anspruchsvollen Runden
gegenüber mit theueren Neuheiten in der weise
herauszurücken, daß man sagt: Bringen Sie ein-
mal das amerikanische Modell heraus I — Das
wird dann zweifellos gekauft. Denn es gibt
Leute, die förmlich amerikakrank sind.
Daß die transatlantischen Herrschaften, be-
sonders die Frauen, auch das rechte Zeug zu
etner Führung in Modedingen haben, ist bei der
bekannten Lebensweise des schönen Geschlechtes
dortzulande kein Wunder; nach dein kompetenten
% Uri heil sehr modeverständiger reisender Damen
kleidet sich die New-Porkerin noch besser als die
Pariserin, wobei ihr die Stattlichkeit ihres Wuch-
ses und ihre Haltung zu Statten kommt. Und
zwar thun dies die Frauen aller Volksschichten
durchweg, und soll die Art, sich zu kleiden, —
die ja bei den Frauen verschiedener Länder so
verschieden ist, — in New-Pork und Wien fast
dieselbe sein. —
Bei dieser Geschmacksverwandtschaft begreift
es sich, daß die Wienerinnen wie toll auf die
überseeischen Moden sind, während andrerseits die
Amerikaner so viel wiener Modelle ankausen, als
nur möglich. Ts ist unglaublich, wieviel erst-
klassige Trousseaux für amerikanische Bräute in
Wien angefertigt werden. Die schlauen Pankees
wählet: damit eine Form der Bestellung, durch
die ihnen die besten Modelle für alle Lebenslagen
übersichtlich geliefert werden und obendrein zu
Ausstättungspreisen, die sich um mehr als ein
Drittel billiger als Modellpreise stellen. Sie kom-
binieren dann die europäischen Einfälle in einer
oft so excentrisch ungehörigen weise zusammen,
wie man es hier nie gewagt haben würde, aber
stets pompös, dekorativ, und so sind wir zu dem
modernsten Styl in der Kleidung gekommen, wo
man zu einem überladenen weiten Rock eine
überladene Taille mit aufgeputztem Monstreärmel
trägt, darüber einen viel zu weiten, zu reich gar-
nierten Umhang mit Kragen und Boas in un-
sinniger Größe und Form, um endlich das Gattze
mit einem b)ut zu krönen, den man. früher nur
bei den American excentrique dances and songs
im Variete zu sehen bekam. Dazu eine Frisur,
die glücklich an jenem aufgekreppten Maximum
von falscher Haarfülle angelangt ist, über das
man bei den Ehignons der ersten Siebzigerjahre
so gelacht hat.
Man sieht, das ist der Einfluß der kaufkräftigen,
Bestellungen nach Nabobslaune machenden Millio-
närinnen aus dem fernen Westen, denen die
schlauen Schneider alle theuersten Sachen auf ein
einziges Tostume hinaufzunähen trachten. Die
armen Europäerinnen glaubet: nun, daß sie das
durchaus auch haben müssen, daher der überhand-
nehmende, sicher noch nicht dagewesene Luxus.
Es ist mehr als natürlich, daß sich eine Gegen-
bewegung herausbildete, und ebenso natürlich, daß
dafür zuerst jene Frauen den Muth fanden, die
sich das wenigste aus Toilette machen. Das
sind ganz sprichwörtlich die Norddeutschen, und
von dort kommt uns auch die neue Heilslehre,
die deshalb mit besonderem Mißtrauen angesehen
wird. .Die „Reformweiber" meinten mit Recht,
daß ihre malenden Mitschwestern noch am ehesten
etwas von Schönheit verstehen sollten — sollen
freilich — und übertrugen ihnen die Schaffung
eines neuen Frauengewandes. Die Künstlerinnet:
zerbrachen sich nicht lange den Kopf, sondern
griffen nach dem ihnen Nächstliegenden — nach
der langen Malschürze, in der sie sich den ganzen
Tag sahen, und die tatsächlich ein riesig gut-
kleidendes, Herrlid) bequemes Kleidungsstück ist,
je fleckiger, desto stimmungsvoller, und wenn wir
alle reichlich vorlieget:den Abbildungen der Ent-
würfe für küttstlerische Frauenkleidung durchgehen,
so kann man darit: leicht die verschiedenen ge-
bräuchlichen Atelierschürzenformen wiedererkentten.
Dieses Kleidungsstück hat schon bei den wun-
derbar reizvollen englischen Lostumezeichnungen
Gevatter gestanden, die uns vor mehreren fahret:
von Anning Bell und Anderen als Offenbarung
über den Lanal herüberkamen, auf Küt:stlerfesten
nachgeahmt wurden und so Idee und Anstoß zu.
der ganzen Reformbewegut:g gaben. Nur sähet:
die londonisch flottgeschnittenen, faltigen Hänge-
schürzen auf den klassisch gebauten Misses von
Kensington school of art, die da vorbildlich
waren, ganz anders aus, als die mit löblichem
Sparsinn selbstgenähten Malüberzüge an gewissen,
rührend-dürftigen Gestalten im Styl mittelalter-
licher Altarbilder, und mit der echt deutschen Lust
am häßlichen wurden gerade diese Erscheiturngen
zu Vorbildern der neuet: Tracht getwmmen. Gott
bessere sie! — Und selbst in unserem kleiderfrohen
Wien thun sich jetzt die Malweibchen zusammen
und trachten „durchzudringen." Auf der erstet:
diesjährigen wiener Sezessionsausstellung war
der wiener Vereit: für künstlerische Reformkleid-
ung, meist Künstlerinnen, in pleno reformirt
erschienen, vot: Presse und Publikutn leider mit
bitterem Hohn überschüttet.
Zu einer Zeit, wo jeder vernünftige Künstler
ganz ohne Schlapphut und langes Haar, wie jeder
vernünftige Mensch herumgeht, thun die ohnehin
viel angefochtenen Malerittnen vielleicht nicht gut,
sich eine witzblattunisormirung allerersten Ranges
anzuschaffen, und die Folgen in dieser Einsicht
sind ja nicht ausgeblieben. In Deutschland selbst
dürfte man kaum das richtige Bild davon haben,
wie wenig güt:stig die Lhancen der Reformtracht
anderswo stehen!
wir haben vor Jahr und Tag an dieser Stelle
davon gesprochen, daß tnan die künstlerische Tracht
nicht auf die Gasse hinaustragen, sie nicht
zum rasch verhallenden Modegeschrei machen, son-
dern ihr den vornehmeren Platz im Interieur, im
Garten, im Salon und Ballsaal geben möge, ^wo
sie mit der modertten Raumkunst wundervolle Zu-
sammenklänge hat. — Die guten Frauen aber
haben größtenteils etwas ganz Schreckliches aus
der Sache gemacht. Gerade die Allzusparsamet:,
die unschön Gebauten, häßlichen und immer schlecht
Gekleideten glaubet: dabei ihren Vortheil zu fin-
den oder der gesteigerten modernen Forderung an
die wohlgepflegte und reizvolle Kleidung des Wei-
bes einfad) zu entgehen, wenn sie Reformerinnet:
werden. Ganz im Gegentheil braucht das Re-
formkleid allerhöchstes Sd)neider- ut:d Kleidungs-
raffinement, nicht Schneider-, sondern wahre Kütift-
lerhände, um zu wirken. Jetzt werden es auch
noch die deutschen Köd)innen tragen, und dann
ist es gestorben, ersd)lagen von der blöden, schön-
heitsblinden Masse. —
In Paris hat man die ganze deutsche Pro-
paganda vornehm lächelttd ignorirt, um sie mit
einem großartigen Eoup zu beatttworten — wie
das für jeden Eingeweihten vorauszusehen war:
während man gegenwärtig jeden Stuhl und
jede Villa seinem Besitzer nach Maß auf den Leib
hinaufarbeiten möd)te, fand dort in der Kleider-
mode eine gegentheilige Bewegung statt: man
suchte nach Formen, die das bisher unumgäng-
liche, persönliche Körpermaß, den genau gczeich-
neten Schnitt überflüssig machen, Formen, die es
ertnöglichen, daß man Kleider wie Handschuhe,
Wäsche und Schuhe nach einer Nummer kauft,
respektive sich schicken läßt, wenn man bedenkt,
daß die große Ueberzahl der Menschen weitab
von anstättdigen Schneidern wohnt, so ist dieses
Bestreben höchst gerechtfertigt. Besonders für
amerikanische Verhältnisse und Bedürfnisse trifft
es zu.
Darum sind nun die in Paris neugeschaf-
fenen, sogenannten amerikanischen Moden
eine Sad)e, die eilten ungeheuren Sieg davon-
trägt, Formen, die bloß nach Halsweite, Gürtel-
weite und Länge gemessen zu werden brauchen
und die ganz von selbst richtig fallet: und paffen
müssen, weite Faltenjacken, die man offen trägt
oder lose übereinanderlegt, ungefütterte, weite,
überhängende Blousentaillen, überhängende weite
Aermel, enorm weite, eingefaltete Röcke. Nur
drei bestimmte Genres: Blousenkleidung. Iacken-
kleidung und spitzet:beladene, ganz transparente
„füll dress“, lose über auswechselbarem, die Toi-
lettewirkung gänzlich veränderndem Unterkleid ge-
tragem Lauter Sachen, die jeder gewöhnliche Lon-
fektiot:är vorräthig führen kann, die so raffinirt
ausgedacht t:nd gemacht sind, daß sie Jedem paffen
und gut stehen nnd dabei so complizirt gesd)t:itten
ut:d reid) ausgestattet, daß sie nur durch großen
Betrieb und ungeheure Arbeitstheilung in so bil-
ligen Preisen geliefert werden können.
Kleider nach Maß und eigner Angabe werdet:
demt:äd)st eit: erheblicher Luxus sein. Dafür geht
plötzlid) alle Welt famos gekleidet. Aud) Fönneri
die modertten weitet: Sad)en ganz und gar ohtte
Mieder getragen werden.
Das ist also die große Gegenaktion, die ge-
waltige Kleiderresorm, weld)e der deutsd)et: Tracht
etwas einfad) zu Beschaffendes, Billiges und zu-
gleid) allgetneit: Kleidsames entgeget:stellt. —
La Donna e mobile. Die Frauen kaufen die
hübschen. billigen Kleider und lassen Grundsätze
Grundsätze sein; besonders wem: man von ihnen
verlangt, daß sie an eit:er Kleidertracht festhaltet:,
ja, wie Van de Velde meinte, lieber ein kostbares
Gewand nach Urelternart ein halbes Lebensalter
lang tragen und ehren sollet:. —
Einer Mutter hatte ein Krokodil ihr einziges
Kind etttriffen und hielt es zwisd)en seinen Zählten.
Sie weinte und flehte. Hohnlachend sprach das Kro-
kodil : Sage mir eine unumstößliche Wahrheit und
Du sollst Dein Kittd wieder haben. Darauf sprach
die Mutter unter Thränen: „Id) werde mir im
nächsten Frühjahr ein moderttes Kleid kaufen."
Sofort gab ihr das Krokodil ihr Kind zurück.
natalie BrueK-JIuffeitbera
(Wien)
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