Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 37

J UGHND

1903

U ttl m 61 A. Weisgerber (München)

„Verdammtes Pech! Müssen Mädels grade auf der Seite Vorbeigehen,

wo ich keinen Schmiß habe!"

gab mich heit Nachmittag eine Ohrpfeife in der
Straße, weil ich mit eine andern Dame ging, sehr
anständig. Nun macht sie noch Skandal in der
Nacht. Es sollte nich erlaubt sein, denken Sie
nich so?"

Darauf der Polizist zu Rosa: „Sie dürfen hier
keine nächtliche Ruhestörung veranlassen, das jeht
nich. Wenn ich Ihnen rathen kann, sehen Sie
nach Hause."

„Jott, ick jeh' ja schon. Billy, so'ne Jemein-
heit von Dir hätte ick nich für möglich jehalten.
Na, m r kann's recht sein. Was jeb' ick um so'n

Jammirlappen-pff!" Sie warf den Kopf

zurück und schritt davon. Aber als sie um die
nächste Ecke gebogen war, zog sie ihr Taschentuch
hervor und schluchzte zum Gotterbarmen. Der-
weilen hatte Billy das Nachtlicht angezündet, sein
Lexikon hervorgeholt und suchte nun nach dem Wort
Jammerlappen. Aber er fand es nicht. Da
ging der Billy von Cincinnati wieder zu Bett und
schlief mit dem dankbaren Herzen eines Mannes
ein, der um ein Haar unter ein dahinbrausendes
Automobil gerathen wäre.

lugenä

Meinst Du, junges Menschelein,

Fertig mit der Welt zu sein?

Ach, die Welt ist — glaub' es mir —
Lang noch fertig nicht mit Dir!

Denkst Du, daß Du, roo Du gehst,

Stolz auf eignen Füßen stehst?

Stelzen hast Du statt der Beine.

Und die Stelzen — sind nicht Deine! —

Glaubst. Du hast Dich überwunden?
Wart nur auf die nächsten Stunden:
Manches kommt noch an den Tag,

Was Dich überwinden mag! —

Doch, vor Allem, grüner Thor,

Bitte, komm nicht alt Dir vor!

Alles läßt sich — sag' ich offen —
von der lieben Jugend hoffen. —

Hans von Wolzogcn

Hbsttmnte Leseslücke

Lin Verein abstinenter Lehrer hat ein Preis-
ausschreiben erlassen für Lesestücke, durch welche
schon in den Schulen vor dem Alkohol gewarnt
werden soll.

I.

Lin junger Mensch, Namens Lduard, auch
kurzweg Lde genannt, war schon in frühester
Lebenszeit ein arger Säufer, denn er widmete sich
dem Bürstenbinderberufe, wenn er tagsüber recht
viel Bier und Schnaps getrunken Hatte, kam er
Abends betrunken nach Hans und peinigte feine
Frau und seine Kinder. Einmal war er beson-
ders roh und brachte sie mit einem Küchenmesser
um. © wie roh macht doch der Alkohol den
Menschen! Als er sie umgebracht hatte, erfaßte
ihn jedoch die Reue und ein Gensdarm und er
wurde vor Gericht gestellt. Dieses verurtheilte ihn
zum Tode, allein durch die Gnade seines Fürsten
entrann er diesem schrecklichen Ende. Dagegen
wurde er abstinent. Fünfundzwanzig Jahre lebte
er nur von Wasser und Brod und blieb in seiner
engen kleinen Zette. Und seitdem hat er nie mehr
etwas Böses gethan. © welchen Segen bringt
doch die völlige Enthaltsamkeit von geistigen Ge-
tränken!

II.

Richard, Ludwig und Zebedäus waren
drei Freunde. Richard und Ludwig tranken öfters
Bier, halten kleine Köpfe und stechende Augen,
Zebedäus aber trank nur Wasser, hatte wasser-
blaue Augen und einen Wasserkopf, während
Richard und Ludwig böse und ungezogen waren,
konnte Zebedäus kein Wässerchen trüben und Kei-
nem nicht einmal ein Tröpfchen Wasser abschlagen.
Deshalb war er auch in der Schule die Freude
seiner Lehrer, wohingegen Richard und Ludwig
stets in den hintersten Bänken saßen. Sie kamen
mit Weh und Ach durchs Gymnasium und wurden
der eine ein Arzt, der Andere ein Rechtsanwalt.
Beide hatten keine Religion, aber eine große Praxis
und tranken viele Biere, weine und Sekte, bis sie
starben. Da aber kamen sie deshalb in die Hölle.
Zebedäus aber wurde Pfarrer in Wasserburg am

Kropfsee, starb, wie er gelebt hatte, an Wassersucht
rmd kam deshalb in den Fimmel, ©hne seinen
Wasserkopf wäre er gewiß nie so fromm und glück-
lich geworden, werdet, wie er war!

III.

Alfred war ein leichtsinniger Mensch, trank
immer sehr viel Alkohol und ging im Karneval
nur auf Bälle, wo kein Wasser getrunken wird.
Einmal als er schon sehr viel Sekt getrunken hatte,
machte er auf einem solchen Balle die Bekannt-
schaft eines Mädchens. Und als er am andern
Morgen aus seiner Betrunkenheit erwachte, fühlte
er sich verlobt. ©, wer beschreibt seinen Schrecken
als er dies sah! Denn sie war ^5 Jahre alt,
pockennarbig und triefäugig und hatte drei Höcker:
zwei kleine auf der Nase vorn und einen großen
auf dem Rücken hinten. Alfred wehrte sich ver-
zweifelt; weil jedoch ihr Vater Vorstand des Ath-
letenklubs von Feldmoching war und Alfred ein
sogenannter Ehrenmann, sagte er Ja. Am Sams-
tag Nachmittags um drei Uhr war er schon ver-
heiratet. Ach, welcbes Unglück entsteht oft aus
dem übermäßigen Genuß des Alkohols! Hätte
Alfred Wasser getrunken, wäre er noch heute ledig.

Drahtlose Telegraphie

(3ur Zeichnung von A. Münzer)

Täglich geht die wunderhübsche
Frau Helene zur Parade
Und ihr eifersücht'ger Gatte
Trottet täglich neben ihr.

Lin Dthello halb und halb ein
Trauriger Pantoffelritter
Folgt er jedem Schritt der Gattin
Mit den wasserblauen Augen

Alles schleppt er, treu gehorsam:
Schirm und Umhang und packete
Und vor Allem ihre holden
Seidenpinscher Flick und Flock.

Manchmal schleppt er beide Köter,
Die zu fett sind, um zu laufen.
Manchmal aber nur den einen,
Seltner keins der beiden Biester.

Täglich wandelt an dem paare
Der Herr Leutnant Schmitt vorüber,
wie ein blaugestrich'ner Halbgott,

Der mit edlem Anstand grüßt.

Und sein seelenvolles Auge,

Noch verschönert durch das „Linglas",
Würdigt eines Feuerblickes
Immer auch die Seidenpinscher:

Nämlich mit den Seidenpinschern
Hat es folgende Bewandtniß:

Sie bedeuten eine Art des
Depeschirens ohne Draht!

Trägt der Gatte alle Awele,

Heißt dies: Heut' ist nichts zu machen,
Denn zu der bewußten Stunde
Weilt bei mir mein Menelaos l

Trägt der Gatte aber nur das
Line oder andre Hündlein,

Heißt dies: Heute, schöner Leutnant,
Triffst Du sicher mich allein!

Also weiß der Freund des Hauses,
Db ein Schäferstündlein wartet —

Ihr Gemahl ist selbst so freundlich,

Und vermittelt ihm die Botschaft!
Register
L. L. L.: Drahtlose Telegraphie
[nicht signierter Beitrag]: Abstinente Lesestücke
Albert Weisgerber: Bummel
Hans Frh. v. Wolzogen: Jugend
 
Annotationen