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JUGEND

Nr. 41

1903

-5 c I ö ct rt ber

Paul Hetze f

üraume

Schön wie Dein Lächeln kam die Nacht
Mit Flügeln, weich wie Deine Wangen
Und schwebte an mein Lager sacht
Und hielt mich, süß wie Du, umfangen,

Und sah mir schweigend ins Gesicht
Mit Augen dunkel wie die Deinen,

Und ließ der Träume mildes Licht
In meine müde Seele scheinen.

Und meine Seele schloß sich zu
wie eine Ros' im Mondesschimmer —

Ob es die Nacht war oder Du,

Die mich geküßt — ich weiß es nimmer. .

A. I>e Nora

Jfeussere und innere Treibelt

Die^ eine besitzen wir durch die andere. Ein
hohes Schwesternpaar, das gleichmäßig geliebt sein
will und dessen Trennung dem Einzelnen wie
ganzen Völkern zum Unheil wird. Und doch, wie
grundverschieden die beiden I Die eine, wenn sie
einmal errungen ward, aus ihrem Füllhorn frei-
gebig Alle überschüttend, Würdige und Unwürdige,
die andere eine spröde Fee, die sich nur Dem ganz
weiht, der ihrem Dienste täglich reine Opfer bringt.
Jene angethan mit fliegenden Gewändern, eine
stolze und verführerische Siegerin; die andere un-
scheinbar, bescheiden, zaghaft, von den Meisten
kaum dem Namen nach gekannt, von Vielen nicht
geschätzt oder gar verachtet. Und dennoch, ihr
danken wir noch mehr als ihrer stolzen Schwester;
sie allein verleiht uns die Kraft, auch ohne das
Füllhorn der Schwester den Namen „Freie" mit
Fug uird Recht zu tragen.

Aber beider Freiheitsschwestern Macht ist nur
sehr bedingt und begrenzt. Absolute Vorstellungs-
und Gedankenfreiheit ist ebensowenig erreichbar,
wie schrankenlose Freiheit des Willens» und gar
die Freiheit der Bewegung und des Handelns ist
ein niemals durchführbares Problem, das schon in
rein physischer Hinsicht einen noch viel stärkeren
Beißkorb trägt als das fürchterliche perpetuum
mobile. Es gibt überhaupt kein materielles System
— und auch der Mensch ist ein solches sammt seiner
Psyche, — das irgendwie „bedingungslos frei", d. h.
nicht durch seine eigene Endlichkeit und durch Be-
rührungen mit anderen Systemen „unfrei" wäre.

Dennoch ist es unsere verdammte Pflicht und
Schuldigkeit, die von allen Seiten einstürmenden
Freiheitsbeschränkungen auf jenes Maß zu redu-
zieren, das durch die vernünftigen Rücksichten
ans unsere Nebenmenschen bedingt ist und
sozusagen unserer Selbstachtung den ge-
ringsten Widerstand darbietet. Das kann
bei dem Einen — je nach angeerbter Energie und
anerzogener Selbstzucht — verhältnißmäßig sehr viel
bedeuten, während es bei dem Anderen eine Seifen-
blase bleibt. Der Schwachsinnige ist überhaupt un-
fähig, den Werth der inneren oder^auch nur äußeren
Freiheit zu begreifen, und der Starksinnige ist oft
viel zu borniert, um von seiner Fähigkeit ent-
sprechenden Gebrauch zu machen. Das ganze mensch-
liche Dasein ist ein ewiges Ringen der über-
mächtigen Nufreiheit mit der armen Frei-
heit, und in seiner thierischen Unvollkommenheit
schlägt der Mensch erbarmungslos immerfort ge-
rade auf die einzigen der von ihm erschaffenen
Gottheiten los, die es verdienten, als solche das
Licht der Welt zu erblicken.

Für den in jahrhundertelanger, blöder Selbst-
knechtung ausgewachsenen Deutschen scheint mir
aber die Erziehung zur inneren, Freiheit das

Allerwichtigste, da die äußere Freiheit doch
wahrlich nur einen anständigen Sinn haben kann,
wenn unser Herz rein ist und nicht etwa im Ge-
heimen — während der äußere Mensch die rothe
Fahne schwingt — sich vor den Oelgötzen der Selbst-
sucht und Erfolganbetung erniedrigt. In dieser
Beziehung sieht es zwar bei uns in Deutschland
nicht ganz so schlimm aus, wie in anderen Län-
dern, wo im Namen des Erlösers Ketten für die
beiden Freiheitsschwestern geschmiedet werden;
aber gerade noch schlimm genug. Denn das Phili-
sterium, das ist die Angst vox der Freiheit,
läßt uns gedrückter erscheinen, als wir natürlich
gewachsen sind, und die konventionelle Lüge
lastet auf vielen Begabten unter uns wie ein un-
veräußerliches Erbtheil aus feudalen Zeiten. Aber
nicht angeboren ist uns die sklavische Ge-
sinnung, nur unser Denken ist faul und
durch falschen Unterricht ist unsere. Intelligenz
in Bezug auf die Freiheit unentwickelt ge-
blieben.

Freiheit ist Arbeit; in der äußeren Frei-
heit haben wir die aufgespeicherte Arbeit unserer
Väter, unserer Helden und Sänger, überhaupt der
idealen Vergangenheit, und dankbar wollen wir
uns auch der Freiheitskämpfe anderer Nationen
erinnern, durch die unser Freiheitskapital ohne
eigenes Zuthun vermehrt ward; aber noch viel
mehr als von den wirthschaftlichen Gütern gilt
von der äußeren Freiheit für jeden Einzel-
nen das Wort: „Erwirb sie, um sie zu be-
sitzen!" Aeußere Freiheiten, die nicht durch un-
ablässige Arbeit aller Volksgenossen immer auf's
Neue zum inneren Besitze der Gesammtheit
gemacht werden, sind unsichere, ja gefährliche
Güter. Wehe dem Volke, dessen- äußere Freiheiten
nur auf dem Papiere stehen, das nicht die
moralischen. Mittel besitzt, die von den Vorfahren

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Index
Georg Hirth: Äußere und innere Freiheit
A. De Nora: Träume
Bruno Paul Hetze: Selbander
 
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