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Nr. 43

JUGEND

1903

ÖdunTcb

Stellt an das Sterbebett mir holde Frauen,
Damit, wenn dieses Aug' im Tode schwimmt,
Ls noch das Beste mit hinübernimmt,
was ihm vergönnt auf dieser Welt zu schauen!

Sei mir dann Freude oder Fluch bestimmt,
wir gilt es gletchl Denn einer Hölle Grauen
wird dieser Funke Himmel überblauen,

Der in den Blicken schöner Frauen glimmt.

Und wird die Dual der Ewigkeit versüßen
Und durch der Teufel ganze schwarze Schaar
wird mich ein weißes Frauenantlitz grüßen

Mit seinem Lngelslächeln wunderbar,

Und gern will mit Unseligkcit ich büßen
Die Seligkeit, die mir aus Erden war.

A. I>e Nora

Kaiser Friedrich

Man errichtet ihm Denkmäler, und er ver-
dient sie. Sie sind nur ein schwaches Echo der
Liebe des deutschen Volkes und insbesondere
des preußischen, insoweit es deutsch und frei-
heitlich empfindet. Das muß betont werden.
Denn er war unter den Hohenzollern ein deut-
scher Idealist, dessen politische Leidensgeschichte
aus dem Widerspruch zwischen seinem warmen
Herzen und der eiskalten Umgebung leicht zu
erklären ist, einer Umgebung, der gerade er als
Thronfolger-, als Mann der Zukunft, ans
den Tausende und Abertausende all ihre Hoss-
nungen gesetzt hatten, sich nicht durch die
Flucht entziehen konnte und durfte. Bis
zu seinem schrecklichen Tode war er ein ebenso-
viel Gehaßter wie Geliebter. Die Reaktionäre,
die Mucker und sonstigen Rückständigen — und
ihre Zahl war und ist in Preußen Legion! —
sie konnten ihn nicht leiden, „seine ganze Rich-
tung paßte ihnen nicht." Wohin er auch
seine wundervollen Augen richtete, wo immer er
seine schimmernde Kronprinzenwürde und sein
starkes Hohenzollernbewußtsein für die Ideen
der Freiheit und Aufklärung in die Schanze
schlagen wollte, — überall begegnete ihm in den
wirklich herrschenden Kreisen jenes beleidi-
gende Achselzucken, jener giftige Basiliskenblick,
die ihm, dem stolzen Freiheitschwärmer, nicht
nur trotzten, sondern auch seiner Würde höhnten.

Friedrich war, um es kurz zu sagen, ein aus
seine eigenen Monarchentugenden fest
vertrauender Nationaldemokrat. Sein
Herz schlug mit de» freiheitlich Gesiuuteu aller
Stände, er war aber vor Allem ein Freund
der aufsteigenden Klassenbewegung.
Die Erhebung des deutschen Volkes zur Ein-
heit und das hohenzollernsche Kaiserthum er-
schienen ihm nur denkbar im Lichte der Befrei-
ung vorab des preußischen Volkes von den
letzten feudalen Fesseln. Es war sein Vcr-
hängniß, daß er in dieser durchaus richtigen,
nicht blos seiner historischen Ueberzeugung, son-
dern tiefstem Rechtssinn entspringenden Anschau-
ung Jahrzehnte lang mit dem berufenen Schö-
pfer der deutschen Einheit im Streite lag.
Er glaubte nicht an Bismarck, weil die-
ser — und wer wollte das leugnen? — von
Hause aus ein Junker war, und weil er, mit

Recht, das Junkerthum für den geschworenen
Feind der Freiheit hielt. Uns Allen ist es so
gegangen, die wir in den 60 er Jahren mit
deutschem Idealismus Zeugen der beispiellosen
Entwickelung der Dinge waren. Ich selbst war
schon 1860 als Zwanzigjähriger Mitglied des
Nationalvereins, und doch konnte ich bis 1870
nicht über das Mißtrauen gegen die über-
mächtigen junkerlichen Strömungen in Preußen
hinauskommen; die Gewährung des allgemeinen
direkten Wahlrechtes hielten Viele sogar für
eine Freiheitsfalle, was sie ja auch nun gewor-
den ist, wenngleich in einem ganz anderen als
dem ursprünglich gefürchteten Sinne. Ist es
ein Wunder, daß ein liberaler Kronprinz von
Preußen, der doch seine Pappenheimer sehr
genau kennen mußte, noch mißtrauischer war,
als wir Kleinen?

Zuletzt haben sich sie Beiden gefunden, trotz
ihrer innerlichen Gegensätzlichkeit, und wenn nicht
die fürstliche Eiche dem tückischen Wurm zum
Opfer gefallen wäre, so wäre uns Deutschen
das schmerzliche Schauspiel der Bismarckabsäg-
ung vielleicht erspart geblieben. Aber wir wollen
doch das Geschick preisen, daß es uns durch

Brunnenfigur Hubert Netzer

neunzig Tage diesen todtkranken freiheit-
liebenden Kaiser neben dem Ehrenbürger
des deutschen Reiches*) an der Spitze der
Nation sehen ließ. Es sei uns für ewige Zeiten
ein Wahrzeichen für den Sieg des deutsche»
Geistes über die schwierigsten Verwickelungen.
Und auch jener anderen Persönlichkeit, die im
Leben unseres geliebten Kaisers Friedrich neben
Bismarck die größte Rolle — eine größere Rolle
als der Vater — gespielt hat, wollen wir vor-
urtheilslos Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn
auch diese feinsinnige und temperamentvolle Frau
kein größeres Verdienst gehabt hätte, als daß
sie dem Dulder Jahre des Zornes und Kummers
mit ihrer Liebe versüßt hat, so müßten wir sie
loben, aber sie hat ein Mehreres gethan: sie
war die feurige Genossin seiner Frei-
heitsliebe, ein anmuthiger Hecht im Karpfen-
teiche der königlich preußischen Rückständigkeit.
Weim ich Spiritist wäre, so würde ich die draht-
lose Telegraphie zwischen den Mausoleen in
Potsdam und im Sachsenwald ablesen: „Michel,
mach die Augen auf!"

6esrg flirto

*) Meinen Vorschlag, dem Alten zum 80. Ge-
burtstag diesen Titel zu verleihen, hat der Reichstag
nicht beachtet. Was ist überhaupt dieser sogenannte
deutsche Reichstag? Ein Iuou8 s non lueenäo,
Schwarz und Roth die schwere Masse, aber das Gold
des deutschen Idealismus kommt nur in vereinzelten
Sandkörnern vor!

Von -Ins, der sieb ein Meid
gewinnen wollte

(Lettisches Volkslied)

Saß ein feines, stilles Mädchen
Spät beim Weben in der Kammer —

Maß mit thranennaßen Augen
Ihr gewebtes, feines Linnen.

Dunkel war es in der Kammer,

Feine, kleine Weidenzweige
Warf das Mädchen in den Ofen,

Blies dann auf die rothen Kohlen. —

Auf dein jungen, starken Braunen
Reitet Ans zum großen Markte —

Will sich eine Frau gewinnen,

Will sich ein paar Kühe kaufen.

Und das feine, stille Mädchen
Steht beim Kaufmann an der Thüre,

Auf dem Arm ihr weißes Linnen —

Will dem Kaufmann es verkaufen.

Aber Ans springt schnell vom Pferde:
„Komm, ich lieb Dich, süßes Mädchen!
Komm, verkaufe nicht Dein Linnen —

Nähe Dir daraus Dein Brauthemd I"

Und er kauft ein grünes Kränzlein.
Drückt's auf ihre weichen Haare —

Hebt sie auf den starken Braunen,

Küßt sie auf die jungen Lippen!

„Hab' ein süßes Weib gewonnen!

Mögen andre nun zuin Markte,

Kühe kaufen, Geld verspielen!"

— Und er wendet heim den Braunen.

(Deutsch von Frieva Veumann)

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Register
Georg Hirth: Kaiser Friedrich
A. De Nora: Wunsch
Frieda Neumann: Von Ans, der sich ein Weib gewinnen wollte
Hubert Netzer: Brunnenfigur
 
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