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Nr. 44

JUGEND

1903

ORPHEUS

August Raniz (Graz)

mit der Post die „Jllustrirte Zeitung" der
Hauptstadt bekam, sah er darin denselben
Mann mit Schottenmütze und im einfachen
Touristenanzuge abgebildet und las, daß es
der Prinz war, der an diesem Tage incognito
seine Stadt passirt hatte. Die Nase senkte
sich tiefer und tiefer über das Kinn herab.
Er war sehr mißgestimmt über den Mißgriff,
den er begangen hatte.

Den ganzen Nachmittag ging er in seinem
Garten aus und ab. Der Gedanke an das
unglückselige Ereigniß nagte in ihm und
wollte ihn nicht verlassen.

Jedes Mal, wenn erzählt oder berichtet
wurde, daß irgend eine Größe incognito im
Lande herumreiste, berührte es ihn höchst
peinlich. Wenn er dann düster verschlossen
seinen Weg weiterging, war es, als wenn
er hörte: „He, lieber Mann! He, lieber
Mann!" bis er schließlich mit einem Seufzer
seine Gedanken abschüttelte, sich hoch empor-
reckte und sich umsah. Seine Haltung wurde
doppelt steif und die Nase zeigte in die Höhe.

Wenn er nach Hause kam, führte ihn sein
Drang mit einer gewissen Schnelligkeit zum
Consolenspiegel hin.

Er betrachtete in ihm kritisch seine Gestalt,
mit dem Hute auf dem Kopfe und der Kopf-
haltung, bei der sich seine Nase in ihrer im-
ponierendsten Unbeweglichkeit zeigte. Meist
ging er innerlich einigermaßen wieder auf-
gerichtet von ihm fort.

Diese verzweifelte Gruß-Geschichte war
und blieb aber der dunkle Punkt seines
Lebens.

Eines Tages ersah er aus den Zeitungen,
daß kein Geringerer, als der Fürst von
Parma, Piacenza und Guastalla im streng-
sten Incognito im Lande herumreise und daß
seine Reiseroute ihn nach diesem Orte hinführe.

Dies Letztere weckte ihn aus seinem Grü-
beln auf. Er sorgte dafür, daß sein Weg
in der gefährlichen Zeit nicht den der Tou-
risten kreuzte.

Als er aber eines Tages seinen ge-
wöhnlichen Nachmittagsgang zum Packhause
machte, um die Leute zu besehen, lag eins der
Dampfschiffe da und brodelte, brauste und
manövrierte mit den Schaufeln, um an der
Brücke anzulegen..

Von dem Packhause konnte er schräg auf
das Deck hinabsehen und grüßte mit seinem
Hute da seinen Freund, den Kapitän, auf der
Commandobrücke. Da standen die Passagiere
mit ihren Handkoffern und anderem Gepäcke
und warteten darauf, daß der Zollbeamte
an Bord kommen und seine Visitationen vor-
nehmen sollte und die Aussteigebrücke hin-
übergelegt würde.

Vombatter's überschauender Blick blieb
immer mehr auf einem olivenbraunen,
schwarzbärtigen jungen Manne hasten, der
neben dem Fallreppe stand, offenbar unge-
duldig, ans Land zu kommen. Er sah mit
einem einzigen Blicke, daß er etwas Eigen-
artiges, Südländisches hatte. Von seinem
großen Handkoffer konnte er nur die eine
Seite sehen, die sehr reich mit Messingbeschlag
versehen war. Da stieg, wie ein Blitz, eine
Ahnung in ihm auf. Er musterte ihn scharf,
und als er darauf dem Kapitän drüben be-
deutungsvoll zunickte, war es ihm, als wenn
der mitten in seiner Geschäftigkeit es mit einem
kurzen, mystischen Blinzeln beantwortete.

Aber völlig klar wurde ihm die Sache erst,
als er auf der mittelsten Messingplatte deut-
lich mit großen schwungvoll eingravierten
Buchstaben „Parma" las.

Der Prinz von Parma, Piacenza, Gua-
stalla war bei ihm noch in lebhafter Er-
innerung.

Seine Nase fuhr plötzlich in die Höhe.
Hier war Gelegenheit zu seiner Wiederelheb-

Sod

ung, sodaß Vombatter wieder Vombatter
wurde. Er knöpfelte den Rock wieder fest zu.
Die Stadt sollte repräsentiert werden. Wie
ein Pfeil flog sein Bote nach Hause nach
seinem Wagen und dem Diener wurde befoh-
len, er solle den Fremden, sobald er über den
Landungssteg zum Fahrwege hinkam, zum
Einsteigen einladen.

Er selbst eilte zum Gasthause hin und
schlug die Alarmglocke. Alles mußte in einem
Nu festlich in Stand gesetzt werden, den
fremden Fürsten so zu empfangen, daß die
Stadt keine Schande von der Sache hatte.
Während das Dampfschiff dalag, signalisierte
und manöverierte und die Verzollung statt-
fand, ging dort ein Hin- und Hereilen los.
Einer lies mit Flaggen zur Landungsbrücke
und den Fahrzeugen hinunter. Ein Andrer
fuhr zur Wittwe Andersen, die für festliche
Gelegenheiten Blumen und Blattpflanzen zu
vermiethen hatte. Ein Dritter eilte zum Club-
lokale hin, um dort die zwei Büsten zu holen.

Vombatter ging bereits mit weißem
Schlipse und Handschuhen in dem Korridore
auf und ab, blieb dann stehen, richtete sich
empor und wiederholte die wenigen kräftigen
Worte, mit denen er in englischer Sprache
— seine fürstliche Hoheit verstanden natür-
lich die verschiedenen Weltsprachen — ihn
auf der Treppe begrüßen und dem hohen
Herrn versichern wollte, daß sein Incognito
sorgfältig gewahrt werden würde.

Als der Wagen vor der Treppe hielt, hatte
sich bereits eine ganze Schaar Herren und
Damen in hellen Sommerkleidern, versammelt,
um den fremden italienischer: Fürsten zu sehen.

Als er ausstieg, wollte er nach Meinung
des Vombatters in seinem tiefen Inkognito
selbst seinen Koffer tragen, der vielleicht auch
Kostbarkelten enthielt. Er wurde aber daran
von dem Diener des Hotels verhindert, der
sich sogleich desselben bemächtigte.

Der Fürst schien sich sehr zu bemühen, die
Worte zu verstehen, die Vombatter an ihn
richtete, nickte, lächelte dann und sagte ein
paar beifällige Worte, wahrscheinlich in italien-
ischer Sprache.

Vombatter wies nun mit der Hand ein-
ladend die Treppe hinauf.

Die italienische Plüschjacke des Fürsten, seine
Beinkleider und derben Schuhe verriethen eine
lange Touristenreise. Oben im. Saale warf
er seinen breitkrämpigen Hut auf das Fenster-
brett des offenen Fensters hin und blickte
recht zufrieden auf die immer mehr zu-
nehmende Menge herab, die diesen Augen-
blick ergriff und ein lautes Hurrah rief.

Gleich darauf war er selbst in dem Neben-
zimmer und holte den messingbeschlagenen
Koffer, dessen Ueberzug er aufdeckle. Ein
kleiner Affe sprang auf seine Schulter. Aus
der unteren Hälfte des Koffers brachte er einen
Kasten heraus, Plazierte ihn schnell mit dem
Lederriemen auf dem Fensterbrette, begann
eine Leier unverdrossen zu drehen, die die
Troubadour-Arie hinausschmetterte.

Vombatter hörte auf, sich zu spreizen. Er
griff nach hinten, um sich an etwas zu stützen,
indem seine Nase wirr in der Luft herum-
fuhr, und sank in sich zusammen. Aber es
galt nun Alles. Er hatte die unvermeidliche
Blamage dort oben im Fenster vor sich. Er
richtete sich empor und sammelte seine ganze
Geistesgegenwart.

Mit einer Handbewegung gebot er dem
Leiermanne für einen Augenblick Ruhe und
trat mit seiner alten, unerschütterlichen Würde
zum Fenster hin. Es sei heute ein großer,
erinnerungsreicher Gedenktag des Vombatter-
schen Geschlechtes, verkündete er nach einem
kurzen, respekteinflößenden Blicke über das
Publikum hin. Er habe durch einen kleinen
Spaß seinen Stadtkindern eine Ueberraschnng
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August Rantz: Orpheus
 
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