1903
JUGEND
Nr. 50
Ein Traum vom Glück
Ein violetter Sonnenstrahl
Fallt auf die gebleichten
Gardinen...
Im Garten unter vergilbtem Grün
Glühn schwere, goldene Aepfel...
So einsam hier und Vogelrus
Voll schwerer, schwüler Süsse —
Mir ist, als ob das Herze mir
Vom Glücke übersticße .. .
Luclwlg Sckars
Früchte vsn Zeno
Wer sid) nicht von dieser Welt fühlt,
aber doch nicht aus ihr heraus kann, für
den gibt es immer noch eine Lasse: hin-
durch !
Kinder haben Eltern, der wenlch nicht.
,»Diesen Kuss der ganzen Welt!“ riet
ein verzückter Mann.
Das Weib, das ihn liebte, erschauerte.
,Wie viel davon kommt aut meine Eippen?'
fragte sie.
*
Ist’s eine Wolke, die über dir hängt,
So wart' in Kuh',
Ist es ein Derg, der dich bedrängt,
verziehe du!
Gwksckral kommt!
(Zur Zeichnung von war Bernuth)
In der lauen Sommernacht,
Wenn die wädchen träumen,
Tastet flch's an's Fenster sacht,
Drückt die Rase breit und lacht
Unter dunklen Bäumen.
Da füllt die Kammer ein milder Schein.
Und bange wehrt das Iungferlein:
„Glühschrat, laß' mich schlafen."
Glühschrat brummelt leise fort;
wo die Aehren flüstern,
Weiß er gar verschwiegnen Drt,
Den die Hecken düstern.
Leuchtet einmal im Vorübergehn;
Ach. was muß er da Liebes sehn.
„Bitt dich, guter Glühschrat, schön,
Sag' es keiner Seele!“
Alles ist so hold verstrickt
Unterm Sternenschweigen.
7taä) dem Glühschrat Keiner blickt,
Lieb' ihm zu erzeigen.-
In den Tannen blinkt es kalt;
Horch, was dort so ängstlich hallt!
Kinder irren im Walde.
Husch» da ist der Glühschrat schon;
Und den wilden Schrecken
Sänftigt er mit gütigem Ton,
Führt fle durch die Hecken. —
Ueber Dach und Holderbaum
Glänzt der wond den Himmelsraum;
Und sie flüstern noch im Traum:
„Glühschrat, lieber Glühschrat.-
franz Langkeinricl)
„Gut, so werde ich Ihnen eine Aerztin
holen."
„Was meinen Sie? Aerztin? Was ist
jetzt dös?"
„Nun, eine Dame, die alle Prüfungen
abgelegt hat, eine kluge und erfahrene
Doktorin der Medizin, eine Freundin von
mir, die ich Ihnen aufs beste empfehle."
„A, gehend, Herr Kandidat! Zu so einer
Emanzipirten könnt' i scho' gar kein Ver-
trauen haben."
„Jemand Anderen hole ich Ihnen aber
nicht, verehrte Frau Ober-Zollrath. Wenn
Ihnen ein kluges Mädchen Abscheu ein-
flößt, so sind mir die alten Mixturen-
Männchen mit dem grauen Vollbart und
der Brille zuwider!"
Aergerlich wollte er davonlaufen. Da
hielt sie ihn angstvoll zurück und sagte:
„Na, seien '3 nur net glei' so, Herr
Kandidat! Wenn Sie halt meinen, daß
's Freil'n ihr Sach' versteht, na, so rufen
Sie 's her zu mir, in Gottesnamen!"
Fräulein Henning war bald zur Stelle.
Ein freundliches, stilles Geschöpf, so ein-
fach und bescheiden, von einer so sanft ge-
dämpften Munterkeit, daß die Frau Ober-
Zollrath eher eine Kindergärtnerin als eine
gelehrte Dame vor sich zu sehen glaubte.
Fräulein Henning untersuchte zunächst
eingehend die beschädigte Stelle, darnach
sehr ernst und lange den ganzen Körper
der alten Dame, von den dünnen Strähnen
des Scheitels an bis herab zu den erbärm-
lich mageren Waden.
„Mir scheint, Sie nähren sich schlecht, Frau
Ober-Zollrath."
„Aber nein, Freilein; i braucht net viel
für mf."
„Doch, doch! Sie müssen gesünder leben.
Mehr Lust, Frau Schneider! Mehr Sonne
und manchmal ein kleines Vergnügen!"
„O mei! Was braucht so a alte Frau
a Bergniegen! I Hab' mei Näherei und die Viecher
vom Herrn Kandidaten."
„Hören Sie nicht gern einmal Musik?"
„Ja, sagen 's mir nur, wo?"
„In den Volks-Konzerten zum Beispiel."
„Konzerten? — Dös leidt's net!"
„Die sind ja fast umsonst, Frau Schneider. Oder
mögen Sie nicht schöne Bilder sehen? Die Pinako-
thek kostet Ihnen keinen Pfennig."
„Ja, schon; aber davon versteh' i nix. Wissen
Sie, in unsren Kreisen da wird auf Kunst net gar
so viel g'schaut." Die Frau Ober-Zollrath sagte das
ein wenig von oben herab. So demütig sie sonst
war, der Kunst gegenüber fühlte sie sich als Ober-
Zollräthin überlegen. „Glauben Sie, daß 's bald
besser wird mit mein' Fusz?"
„Wir wollen es hoffen, Frau Schneider. Ich
schreibe Ihnen etwas gegen die Schmerzen auf; und
dann bleiben Sie vorläufig liegen."
Fräulein Henning rief den Zimmerherr herein:
„Sorg' dafür, Fritzl, daß die Frau Ober-Zoll-
rath brav in ihrem Bette bleibt, daß sie mal ein
Glas Wein bekommt und einen guten Bissen."
Es befremdete die Frau Ober-Zollrath, daß sich
die Beiden dutzten.
„Wir kennen uns schon lange," erklärte Fritz Porst.
„Und zwar intim und lieben uns," fügte lachend
Fräulein Henning hinzu.
„Gar verlobt?" erfuitbigte sich neugierig die Ober-
Zollräthin.
„Nein, Frau Schneider," widersprach die Aerztin
mit komischem Entsetzen, „bis auf weiteres bleiben
wir lieber so — unverheiratet."
Das Gesicht der alten Dame verlängerte sich.
Dann fragte sie voll düstrer Ahnungen:
^ „Sie kommen mir bekannt vor, Freilein. Sind
Sie etwa gar die Tochter von der Frau Appellrath ..?"
„Die wegen schlechten Lebenswandels aus dem
Hause ging? Ja, die bin ich. Und wie Sie sehen,
ist mir dieser Wandel brillant bekommen. Ich habe
dabei arbeiten und genießen gelernt, sichle mich
Fritz Rehm (München)
noch immer wohl dabei und werde mich so bald
nicht ändern." Schmunzelnd nickte sie dabei ihrem
Fritzl zu. Die Frau Ober-Zollrath aber sank entsetzt
zurück in die Kissen.
„Liebe Frau Schneider, nehmen Sie sich doch
fremdes Schicksal nicht gar so sehr zu Herzen," be-
gütigte sie die kleine Doktorin. „Denken Sie an sich
selber und Ihre Gesundheit. Erlauben Sie, daß ich
einmal wiederkomme und mich umschaue nach Ihnen?
— Gelt, Sie werfen mich schon nicht hinaus?"
Dann schrieb sie das Rezept und bot ihrer Pa-
tientin zum Abschied die Hand. Aber die alte Dame
wagte dies Instrument unweiblicher Arbeit und
Sünde kaum mit den Fingerspitzen zu berühren.
Drüben in des Zimmerherrn Stube sagte Fräu-
lein Henning halb zu sich selber:
„Was es doch für arme alte Weiblein gibt! Fast
vergißt man, daß sie auch am Leben bleiben möchten."
„Fast vergißt man," bemerkte Fritz Porst, „daß
sie zur Menschheit gehören. Die Frau Ober-Zoll-
rath, in der Art, wie sie so vegetirt, wodurch ent-
scheidet sie sich denn vom Hausthier, das hinter'm
Bretterzäune wiederkäut?"
„Fritzl, sprich nicht so hart! Sie scheint mir eine
gute alte Haut."
„Also nur Haut, nicht einmal mehr als Thier
lebendig?"
„Geh', hier soll man nicht mehr scherzen. Du
mußt nämlich wissen, daß es mit ihr zu Ende geht.
Sie ist fertig mit ihrem abgenutzten Körper und wird
das Bett nicht mehr verlassen."
„Wie? Hast du ihr das gesagt?"
„Nein! Wozu auch? Sie ist ja so zufrieden, trotz
ihrer Schmerzen, bei all ihrer Armseligkeit. — Ja,
Fritz Porst, du Unzufriedener, du ewiger Grübler,
Weltverbesserer und Phantast — die Frau Ober-
Zollräthin, die ist genügsam, die ist glücklich!"
„Und du, Liebste, bist du denn selber so genüg-
sam?"
„Mir muß es genügen, wo nicht mehr zu helfen
ist, zu lindern."
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JUGEND
Nr. 50
Ein Traum vom Glück
Ein violetter Sonnenstrahl
Fallt auf die gebleichten
Gardinen...
Im Garten unter vergilbtem Grün
Glühn schwere, goldene Aepfel...
So einsam hier und Vogelrus
Voll schwerer, schwüler Süsse —
Mir ist, als ob das Herze mir
Vom Glücke übersticße .. .
Luclwlg Sckars
Früchte vsn Zeno
Wer sid) nicht von dieser Welt fühlt,
aber doch nicht aus ihr heraus kann, für
den gibt es immer noch eine Lasse: hin-
durch !
Kinder haben Eltern, der wenlch nicht.
,»Diesen Kuss der ganzen Welt!“ riet
ein verzückter Mann.
Das Weib, das ihn liebte, erschauerte.
,Wie viel davon kommt aut meine Eippen?'
fragte sie.
*
Ist’s eine Wolke, die über dir hängt,
So wart' in Kuh',
Ist es ein Derg, der dich bedrängt,
verziehe du!
Gwksckral kommt!
(Zur Zeichnung von war Bernuth)
In der lauen Sommernacht,
Wenn die wädchen träumen,
Tastet flch's an's Fenster sacht,
Drückt die Rase breit und lacht
Unter dunklen Bäumen.
Da füllt die Kammer ein milder Schein.
Und bange wehrt das Iungferlein:
„Glühschrat, laß' mich schlafen."
Glühschrat brummelt leise fort;
wo die Aehren flüstern,
Weiß er gar verschwiegnen Drt,
Den die Hecken düstern.
Leuchtet einmal im Vorübergehn;
Ach. was muß er da Liebes sehn.
„Bitt dich, guter Glühschrat, schön,
Sag' es keiner Seele!“
Alles ist so hold verstrickt
Unterm Sternenschweigen.
7taä) dem Glühschrat Keiner blickt,
Lieb' ihm zu erzeigen.-
In den Tannen blinkt es kalt;
Horch, was dort so ängstlich hallt!
Kinder irren im Walde.
Husch» da ist der Glühschrat schon;
Und den wilden Schrecken
Sänftigt er mit gütigem Ton,
Führt fle durch die Hecken. —
Ueber Dach und Holderbaum
Glänzt der wond den Himmelsraum;
Und sie flüstern noch im Traum:
„Glühschrat, lieber Glühschrat.-
franz Langkeinricl)
„Gut, so werde ich Ihnen eine Aerztin
holen."
„Was meinen Sie? Aerztin? Was ist
jetzt dös?"
„Nun, eine Dame, die alle Prüfungen
abgelegt hat, eine kluge und erfahrene
Doktorin der Medizin, eine Freundin von
mir, die ich Ihnen aufs beste empfehle."
„A, gehend, Herr Kandidat! Zu so einer
Emanzipirten könnt' i scho' gar kein Ver-
trauen haben."
„Jemand Anderen hole ich Ihnen aber
nicht, verehrte Frau Ober-Zollrath. Wenn
Ihnen ein kluges Mädchen Abscheu ein-
flößt, so sind mir die alten Mixturen-
Männchen mit dem grauen Vollbart und
der Brille zuwider!"
Aergerlich wollte er davonlaufen. Da
hielt sie ihn angstvoll zurück und sagte:
„Na, seien '3 nur net glei' so, Herr
Kandidat! Wenn Sie halt meinen, daß
's Freil'n ihr Sach' versteht, na, so rufen
Sie 's her zu mir, in Gottesnamen!"
Fräulein Henning war bald zur Stelle.
Ein freundliches, stilles Geschöpf, so ein-
fach und bescheiden, von einer so sanft ge-
dämpften Munterkeit, daß die Frau Ober-
Zollrath eher eine Kindergärtnerin als eine
gelehrte Dame vor sich zu sehen glaubte.
Fräulein Henning untersuchte zunächst
eingehend die beschädigte Stelle, darnach
sehr ernst und lange den ganzen Körper
der alten Dame, von den dünnen Strähnen
des Scheitels an bis herab zu den erbärm-
lich mageren Waden.
„Mir scheint, Sie nähren sich schlecht, Frau
Ober-Zollrath."
„Aber nein, Freilein; i braucht net viel
für mf."
„Doch, doch! Sie müssen gesünder leben.
Mehr Lust, Frau Schneider! Mehr Sonne
und manchmal ein kleines Vergnügen!"
„O mei! Was braucht so a alte Frau
a Bergniegen! I Hab' mei Näherei und die Viecher
vom Herrn Kandidaten."
„Hören Sie nicht gern einmal Musik?"
„Ja, sagen 's mir nur, wo?"
„In den Volks-Konzerten zum Beispiel."
„Konzerten? — Dös leidt's net!"
„Die sind ja fast umsonst, Frau Schneider. Oder
mögen Sie nicht schöne Bilder sehen? Die Pinako-
thek kostet Ihnen keinen Pfennig."
„Ja, schon; aber davon versteh' i nix. Wissen
Sie, in unsren Kreisen da wird auf Kunst net gar
so viel g'schaut." Die Frau Ober-Zollrath sagte das
ein wenig von oben herab. So demütig sie sonst
war, der Kunst gegenüber fühlte sie sich als Ober-
Zollräthin überlegen. „Glauben Sie, daß 's bald
besser wird mit mein' Fusz?"
„Wir wollen es hoffen, Frau Schneider. Ich
schreibe Ihnen etwas gegen die Schmerzen auf; und
dann bleiben Sie vorläufig liegen."
Fräulein Henning rief den Zimmerherr herein:
„Sorg' dafür, Fritzl, daß die Frau Ober-Zoll-
rath brav in ihrem Bette bleibt, daß sie mal ein
Glas Wein bekommt und einen guten Bissen."
Es befremdete die Frau Ober-Zollrath, daß sich
die Beiden dutzten.
„Wir kennen uns schon lange," erklärte Fritz Porst.
„Und zwar intim und lieben uns," fügte lachend
Fräulein Henning hinzu.
„Gar verlobt?" erfuitbigte sich neugierig die Ober-
Zollräthin.
„Nein, Frau Schneider," widersprach die Aerztin
mit komischem Entsetzen, „bis auf weiteres bleiben
wir lieber so — unverheiratet."
Das Gesicht der alten Dame verlängerte sich.
Dann fragte sie voll düstrer Ahnungen:
^ „Sie kommen mir bekannt vor, Freilein. Sind
Sie etwa gar die Tochter von der Frau Appellrath ..?"
„Die wegen schlechten Lebenswandels aus dem
Hause ging? Ja, die bin ich. Und wie Sie sehen,
ist mir dieser Wandel brillant bekommen. Ich habe
dabei arbeiten und genießen gelernt, sichle mich
Fritz Rehm (München)
noch immer wohl dabei und werde mich so bald
nicht ändern." Schmunzelnd nickte sie dabei ihrem
Fritzl zu. Die Frau Ober-Zollrath aber sank entsetzt
zurück in die Kissen.
„Liebe Frau Schneider, nehmen Sie sich doch
fremdes Schicksal nicht gar so sehr zu Herzen," be-
gütigte sie die kleine Doktorin. „Denken Sie an sich
selber und Ihre Gesundheit. Erlauben Sie, daß ich
einmal wiederkomme und mich umschaue nach Ihnen?
— Gelt, Sie werfen mich schon nicht hinaus?"
Dann schrieb sie das Rezept und bot ihrer Pa-
tientin zum Abschied die Hand. Aber die alte Dame
wagte dies Instrument unweiblicher Arbeit und
Sünde kaum mit den Fingerspitzen zu berühren.
Drüben in des Zimmerherrn Stube sagte Fräu-
lein Henning halb zu sich selber:
„Was es doch für arme alte Weiblein gibt! Fast
vergißt man, daß sie auch am Leben bleiben möchten."
„Fast vergißt man," bemerkte Fritz Porst, „daß
sie zur Menschheit gehören. Die Frau Ober-Zoll-
rath, in der Art, wie sie so vegetirt, wodurch ent-
scheidet sie sich denn vom Hausthier, das hinter'm
Bretterzäune wiederkäut?"
„Fritzl, sprich nicht so hart! Sie scheint mir eine
gute alte Haut."
„Also nur Haut, nicht einmal mehr als Thier
lebendig?"
„Geh', hier soll man nicht mehr scherzen. Du
mußt nämlich wissen, daß es mit ihr zu Ende geht.
Sie ist fertig mit ihrem abgenutzten Körper und wird
das Bett nicht mehr verlassen."
„Wie? Hast du ihr das gesagt?"
„Nein! Wozu auch? Sie ist ja so zufrieden, trotz
ihrer Schmerzen, bei all ihrer Armseligkeit. — Ja,
Fritz Porst, du Unzufriedener, du ewiger Grübler,
Weltverbesserer und Phantast — die Frau Ober-
Zollräthin, die ist genügsam, die ist glücklich!"
„Und du, Liebste, bist du denn selber so genüg-
sam?"
„Mir muß es genügen, wo nicht mehr zu helfen
ist, zu lindern."
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