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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 8.1903, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50
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Nr. 50

ms •

XPenrt es regnet, schwimmt hier blos — Alles
so in schwarzer Saure — Und auf unfern pro-
menaden — Könnte sich ein Nilpferd baden, —
Aber trotzdem thät' sich's schicken, — Sich dis-
creter auszudrücken! — Etwa so: „Das Münch-
ner Pflaster — Ist Zwar rein, wie Alabaster, —
Doch es fällt halt hin und wieder — Doch mal
darauf ein Stäubchen nieder — Ein Atom vom
Elemente, — Das man Schmutz benennen könnte."

— Aber „Drecknest" klingt nicht fein, — Herr von
Haller-Hallerstein! —

Aus dem Münchner Krankenhaus —
Flog ein Herr Kurat hinaus, — Der im
Beichtstuhl zu beflissen — war, verfängliches zu
wissen, — wenn zu ihm zur Beichte kamen —
Mädchen und vermählte Damen, — Und
bei seinem Fragespiel — Sich in wüstem Ton ge-
fiel. — Beichte hört er dort nicht mehr heut! —
3crtc von der Kammermehrheit, — welche sehr
empfindlich scheinen — Bei dramatischen Ver-
einen, — Machten wegen dem Patron — Keine
Interpellation!

SLorrn und Rosegger und Raabe —
wagte auch als Weihnachtsgabe — Für die Iu«
gend man nach Kräften — In verschiednen Buch-
geschäften — Regensburgs jetzt zu empfehlen. —
Doch da kochten gleich die Seelen — In der
Eentrumspreffe schon: — Für den Glauben
Schmach und Hohn, — Sahen diese Kirchenlichter

— In den Werken der drei Dichter, — Brüllten
nach der Obrigkeit, — Daß sie schleunigst sei
bereit — vor den Kadi die zu holen, — welche
jene Drei empfohlen, — Und bemüht sei, solchen
grellen — Unfug eilig abzustellen. — Schmierig
ist's bei dieser nobeln, — Kampfesart herauszu-
knobeln, — was sich mehr bemerkbar macht: —
Dummheit oder Niedertracht? —

Auch aus Albrecht Dürers Stadt — Nürn-
berg will ein Zeitungsblatt — Eine Botschaft
uns vermitteln, — Die uns zwingt den Kopf zu
schütteln: — Eines nackten Hirtenknaben

— Bild von Ludwig Hofmann haben — Sie
aus einem Fenster dort — Nehmen müssen wieder
fort, — weil ein evangelischer — Pastor
fand, zu seelischer — Sittlichkeitsgefährdung schie-
nen — Solche Bilder ihm zu dienen! — Unser
schwarzer Aujrrst ist — Wohl ein wunderlicher
Christ — Und sein Sittlichkeitsgeschnüffel, — Es
verdient so manchen Rüffel, — Aber wie sich auch
der fchanr- — Hafte Adolf schon benahm, —
Das aeht über's Bohnenlied — Und es ist kein
Unterschied! —

Hinter unsres Reichstags Haus — Führten
sie nunmehr auch aus — Einen neuen, perma-
nenten — XVofyribau für den Präsidenten,

— Stattlich nobel und bequem. — Exzellenz Graf
BalIestrem — wird ihn als Bewohner zieren.

— wenn wir höflich gratulieren, — weil per-
sönlich der Herr Graf — Bieder, ehrenwerth und
brav, — Können wir im Grund der Seelen —
Dennoch nicht den Wunsch verhehlen, — Daß recht
bald dort Einer von — Einer besseren Fraktion

— Als dem Lentrum Hausherr wäre — Zu des

Reichstags Glück und Ehre. Herodot

. JUGEND •

„Aufklärung!"

(mit Vignette von Julius Die;)

Nicht blos in der erakten Wissenschaft:
Astronomie, Physik und Medizin ist
Der Fortschritt heutzutage fabelhaft,

So daß man oft vor Staunen förmlich

hin ift —

Nein! Auch auf psycho-physischem Gebiet
wird vieles klar mit absoluter Logik,
was man bisher nicht wußte. Dies geschieht
Besonders häufig jetzt in puncto: Pädagogik!

was man verhüllt mit einem Lügenflor
Zumeist der deutschen Jungfrau.

beispielsweise,

Und was sie doch geflüstert sich ins Ghr,
weil doppelt lecker schmeckt verbot'ne

Speise —

wird nun ihr systematisch klar gemacht.
Man sucht sie successive aufzuklären
Und läßt sie nimmer bis zur Hochzeitsnacht
Jm Wahne, daß vom Storch die kleinen

Kinder wären!

So führt ich jüngst mein Töchterlein

vor's Haus

In die Natur. Sie pflückte ein Bukettchen,
Und sah bereits ganz heirathsfähig aus
In ihrem Jaconnetcostüm, mein Jettchen.
Da stand vor uns im Wiesengrund ein Storch
Und allerliebst hat sie sogleich geplappert:
«Schau! Schau, Papa! Freund Adebar!

Und horch

wie neckisch dieses Thier mit seinem

Schnabel klappert I"

Gleich sprach ich nun: ,,Du bist jetzt alt genug,
Drum pack' ich die Gelegenheit beim Schopfe
Und schlage jenen läppischen Betrug
Definitiv nunmehr Dir aus dem Kopfe:

Die Kinder werden nicht vom Storch

geborgt —

wieso denn auch! woher soll der sie nehmen?
Auf andre weise werden sie besorgt
Und dieser braucht der Mensch sich

keineswegs zu schämen!

Kind!" sprach ich zu dem lieben

Mädchen schlau —
Und zupfte aus dem Strauß die nächste Blume:
«Man sieht der Blüthen sachgemäßen Bau
Necht instruktiv hier am Geraniumei
Solch holdes Blümchen aber hat nicht blos
Den Zweck, durch Düfte, Färbung

und Gestaltung
Uns zu erfreu'n — es birgt in seinem Schooß
Ja auch den Apparat zu seiner Art

Erhaltung!"

Mit weiser Vorsicht sucht' ich nun dem Kind
Die Lache physiologisch zu erklären:

Ich zeigte ihr, wozu die Fäden sind
Mit ihren gelben Köpfchen, den Antheren;

Ich wies auf das Pistill hin. das am Grund
Bekanntlich sich verdickt zu einem Knollen,
D'rin wir die Zellchen finden, klein und rund,
Die zu befruchten strebt der Blüthenstaub,

auch Pollen.

«So." sprach ich. «wird das Pflanzenkind.

die Frucht.

welch' letztre man den Samen nennt

gewöhnlich —

Und wie ich's hier zu zeigen Dir versucht,
So geht's bei allen Wesen, oder ähnlich!
verstehst Du mich?" — Lrröthend

sprach sie leis:

«Gewiß, Papa! Ls scheinen sich im Ganzen
Auf gleiche Art, wie ich's vom

Menschen weiß.
Die Blumen offenbar und Thiere

fortzupflanzen!"
Biedermeier mit «i

Der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht hat,
veranlaßt durch die öffentliche Behauptung eines
Hamburger Geistlichen, das Frauenstimmrecht
stehe im Widerspruch mit der christlichen
Ethik, an die bekanntesten Theologie-Professoren
aller christlichen Konfessionen die Anfrage ge-
richtet, ob sich aus den Reden Jesu ein direktes
Verbot der vollen Gleichberechtigung von Mann
und Frau ableiteu läßt und ob in den Verfassun-
gen der christlichen Urgemeinden eine Spur eines
Unterschiedes in den Rechten männlicher und weib-
licher Gemeindeglieder nachweisbar sei? —

Unser Redaktionstheologe hat sich sofort an die
Beantwortung dieser Fragen gemacht, und uns
folgende Stellen angegeben:

I 2\ot*. 14, 3 und Ephes. 5, 23: „Der Mann
ist des Weibes Haupt."

Ephes. 5, 22: „Die Weiber seien unterthan
ihren Männern als dem Herrn."

pcrr. 3, I: „Desselbigen gleichen sollen die
Weiber ihren Männern unterthan sein."

Roloff. 3, IS: „Ihr Weiber seid unterthan
euren Männern."

Ror. 14, 34: „Lasset eure Weiber schweigen
unter der Gemeine."

1. Timor!). 2, 11 u. 12: „Ein Weib lerne in
der Stille mit aller Unterthänigkeit. Einem Weibe
aber gestatte ich nicht, daß sie lehre."

Titus 2, 4L: „Daß sie die jungen Weiber
lehren züchtig sein, ihre Männer lieben, Kinder
lieben, sittig sein, häuslich, gütig, ihren Männern
unterthan, auf daß nicht das Wort Gottes ver-
lästert werde." —

Unser Redaktionstheologe meint, die heilige
Schrift sei wohl kaum das richtige Propaganda-
mittel für die Frauenrechtlerinnen, gibt ihnen je-
doch gleichzeitig den Rath, den Muth nicht sinken
zu lassen!

Julius Diez
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