Nr.
JUGEND
«
1903
Da packte sie der Pnstcrer wie eine Bente und
drückte sie mit seinen Bärentatzen an seine Brust,
seine harten Züge spannten sich wie im Ringkampf,
— dann küßte er sie auf das Ohr. Sie regte sich
nicht. Als er ihr Gesicht! zu sich erhob, war jeder
Scherz daraus gewichen, eine schmerzvolle Hingabe
sprach aus den feuchten Augen, aus dem leise
bebenden Mund, die sein jähes Begehren weckte:
„Schön'r, üeb'r Toni!'
Reger! wurde ganz schwer in seinen Armen,
und ein warmer Kräuterduft ging.von ihr aus,
der ihn taumeln machte.
Draußen war die Almnacht eingefallen, nur
das Brünnerl plapperte und die Geißglocken
bimmelten.
Das war die Liebe des Pusterersl
Die Winterstube lag im Schnee begraben, nur
ein Gestapf zog sich vom Hochwald bis vor ihre
Thüre — eine schwere Fährte. Der Mann mußte
vornüber gebeugt gehen und ein Träumer, oder
ein Trinker sein, dem Zickzack nach, in dem sie
sich bewegte. Der Mann war der Pustererl
500 Ster Brennholz warteten auf ihn und
seinen Schlitten. Er hatte die Arbeit allein über-
nommen. Er floh die Welt, seitdem das Regerl
ihn so schmählich betrogen, er spuckte am liebsten
in den reinen Bergschnee davor, — nur die alte
Wab'n, die Brodträgerin, kam jeden Samstag.
Der war es ähnlich gegangen in ihrer Jugend.
Sie hatten sich längst ausgeschimpft und sich nichts
mehr zu sagen, aber am Samstag sehnten sie sich
nacheinander.
Wieder war Samstag und der Schnee pfiff
nur so unter dem Schlitten. So Tag' muß man
nutzen, morg'n lahnt's ans, dann . ,
hast's Nachschau'n!
Der Pusterer lud einen halben j
Ster mehr auf, das derleid's schon i
bei der Bahn. Das war noch sein
einziges Glück, wenn es dahin ging
im Saus, den Holzberg im Rücken,
und der eisige Wind ihm um die
Ohren pfiff. Heute räumte er das
obere Holz ab. Da ging es gach
bis zum Hüttenweg. Lauter Buche-
nes, die größten Blöcken Seltsam,
wie ihn der Geruch an etwas er-
innerte. — Er vergaß darüber ganz
nach den „Tatzen" zu sehen. —
Los! — Der Schnee stob auf, der
Schlitten pfiff. — —■ „In Himmi
roas i, daß' dir dein Verstand aba-
schick'n"-Teufl, die Wurz'n da
vorn' — daß er die nicht erst ge-
sehen. . Die rechte Tatzen einziehenI
— Sie griff nicht ein. — Ter
Schlitten schlickert in rasendem Lauf.
— Der Pusterer brenrst mit dem
Fuß — da zieht's ihn schon hinein
— ein jäher Sturz — ein Poltern
und Sausen — dann halt-wie
angeschmiedet, — ein Berg auf der
Brust-der Schlitten mit seiner
ganzen Last preßt ihn in den Schnee,
jeder Athemzug muß ihn heben —
jeder Schrei droht die Brust zu
sprengen. Jeder Versuch, sich von
der Last zu befreien, bringt neue
Gefahr. Der Pusterer schweigt und
schließt die Augen und die Buchm-
klötz riechen noch ärger. — — —
O du schöner, lieber Toni! Und
ganz schwer liegt's auf seiner Brust,
und das Geißglöckel bimmelt — —
dann wird's plötzlich leichter, —
immer leichter. — — Regerl, wo
bist? — Da schlug er die Augen
auf. — Die Wab'n — zwei Män-
ner — der Geistli'-und alle-
weil das Geißglöckel. — „Komm',
Pusterer — komm' zu deiner. —
— Mach' Reu und Leid — es geht
zu End' mit dir —"
„Wohl, Herr, fehlt si' nix —"
„Bereust du alle deine Sünden?"
„Wohl, Herr
„Dann sei dir vergeben, im Namen Gottes —"
Der Priester macht das Zeichen des Kreuzes
über dem Antlitz des Sterbenden. Das Glöckerl
klang von Neuem.
„Fang's do, Regerl, die Geiß — süaß, liab's
Regerl." — Der Pusterer lächelte, wie ihn noch
Niemand hat lächeln sehen, auch die Brodträgerin
nicht.
Der Geistliche, mit dem weißen Haar, starrte
auf den Schnee und murmelte ein Gebet.
Es war derselbe, der vor dem Sterbebett der
Marei gestanden, im Häusl am Fall, und es war
dasselbe Lächeln auf den Lippen des Pusterers,
dasselbe erhabene Lächeln, das ihn damals so aus
der Fassung gebracht.
Die zwei Männer führten die Leiche auf dem
Schlitten thalwärts. Dahinter humpelte die Brod-
trägerin, mit ihrem krummen Fuß, ihr folgte der
Geistliche und der Bub mit dem Glückt.
Es bimmelte ganz almerisch durch den schloh-
weißen Wintcrtag.
Das war Noth und Tod des Pusterers.
Aus dem Protokoll einer Grrafsitzung
„Nachdem der Zeuge Huber in eingehender Weise
über die Bedeutung des Eides und die strafrecht-
lichen Folgen des Meineids belehrt worden war,
wurde derselbe, weil mit dem Angeklagten ver-
wandt, unbeeidigt vernoiuinen."
Erscheinung
Nickelmann ln Nölden Geors ^ogt
„Areuzbirnbaum, I glaub gar, während r beim Saufa war, is rnei
Bebauluna zugefroren."
Der Herbst ist milde worden,
Wie meine Seele auch:
In zitternden Accorden
Taucht sie aus Baum und Strauch;
Und lauschen, lauschen kann ich ihr,
Als war' sie nicht ein Stück von mir
Und nur ein sanfter Hauch.
Die Hände muß ich falten,
Weil ich an Dich gedacht;
Ein wunderliches Walten
Hat weinen mich gemacht:
Die Würze rings in Traum und Thau
Hat Deinen Duft, treulose Frau,
Mir neu ins Herz gebracht.
Nun bist Du wieder milde,
Wie meine Seele auch;
Tauchst wie im Spiegelbilde
Aus Bach und Baum lind Strauch. .
Und lauschen, lauschen muß ich Dir,
Als wärst Du nicht gestorben mir
Und nur ein süßer Hauch.
Hntoti Eindner
Variante
Studiosus A.: „Alle meine Brandbriefe an
den Gnkel Adolf sind erfolglos geblieben; hartherzig
schlägt er meine Bitte um pekuniäre Hilfe ab."
Studiosus 6.: „Also: Briefe,
die ihn nicht erweichten."
Liebe Jugencl!
Awrohom Bauchgedanke stammt
aus einem kleinen galizischen, welt-
abgeschiedenen Dorf und kommt
zum ersten Mal in seinem Leben
nach Kruke (Krakau) zu Schloime
Kalbskopf; der wohnt am Ende
der Stadt und empfängt ihn freu-
dig gegen Abend in seiner ärm-
lichen Wohnung. Am nächsten Mor-
gen führt er seinen Gast spazieren,
um ihm die moderne Großstadt zu
Zeigen.
Zuerst sehen sie eine Eisenbahn,
„wos id dos?" fragt Awrohom.
Schloime erklärt, „wie lange
geht man von Kruke nach Wilna?"
„Toma (ca.) 5 Tog," sagt Aw-
rohom.
„Nu, mit der Eisenbohn fährt
me 5 Stund," sagt Schloime.
„Nu, sehr schön," sagt Awrohom.
Dann kommen sie an einem Te-
legraphenpfahl vorbei, „wos is
dos?" fragt Awrohom.
„Wos wird dos sein?" frägt
Schloime dagegen, „ä Tellegraff.
wie lange geht ä Brief von Kruke
nach wilne?"
„Toma ein Tog," sagt Awrohom.
„wenn ma mit'm Tellegraff
schreibt, dauerts nur eine Stund."
„Nu, sehr schön," sagt Awro-
hom. Jetzt erblickt er Telephon-
drähte. „wos id dos?" frägt er.
Schloime erklärt: „wenn Du in
wilne jeimand sprechen willst,
mußt Du hingehen oder fahren,
das dauert immer lange. Mit
dem Tellephon kannst Du reden
und schon hört man Dich in
wilne."
„Nu, sehr schön," sagt Awro-
hom. „Aber wozn die Lil?"
JUGEND
«
1903
Da packte sie der Pnstcrer wie eine Bente und
drückte sie mit seinen Bärentatzen an seine Brust,
seine harten Züge spannten sich wie im Ringkampf,
— dann küßte er sie auf das Ohr. Sie regte sich
nicht. Als er ihr Gesicht! zu sich erhob, war jeder
Scherz daraus gewichen, eine schmerzvolle Hingabe
sprach aus den feuchten Augen, aus dem leise
bebenden Mund, die sein jähes Begehren weckte:
„Schön'r, üeb'r Toni!'
Reger! wurde ganz schwer in seinen Armen,
und ein warmer Kräuterduft ging.von ihr aus,
der ihn taumeln machte.
Draußen war die Almnacht eingefallen, nur
das Brünnerl plapperte und die Geißglocken
bimmelten.
Das war die Liebe des Pusterersl
Die Winterstube lag im Schnee begraben, nur
ein Gestapf zog sich vom Hochwald bis vor ihre
Thüre — eine schwere Fährte. Der Mann mußte
vornüber gebeugt gehen und ein Träumer, oder
ein Trinker sein, dem Zickzack nach, in dem sie
sich bewegte. Der Mann war der Pustererl
500 Ster Brennholz warteten auf ihn und
seinen Schlitten. Er hatte die Arbeit allein über-
nommen. Er floh die Welt, seitdem das Regerl
ihn so schmählich betrogen, er spuckte am liebsten
in den reinen Bergschnee davor, — nur die alte
Wab'n, die Brodträgerin, kam jeden Samstag.
Der war es ähnlich gegangen in ihrer Jugend.
Sie hatten sich längst ausgeschimpft und sich nichts
mehr zu sagen, aber am Samstag sehnten sie sich
nacheinander.
Wieder war Samstag und der Schnee pfiff
nur so unter dem Schlitten. So Tag' muß man
nutzen, morg'n lahnt's ans, dann . ,
hast's Nachschau'n!
Der Pusterer lud einen halben j
Ster mehr auf, das derleid's schon i
bei der Bahn. Das war noch sein
einziges Glück, wenn es dahin ging
im Saus, den Holzberg im Rücken,
und der eisige Wind ihm um die
Ohren pfiff. Heute räumte er das
obere Holz ab. Da ging es gach
bis zum Hüttenweg. Lauter Buche-
nes, die größten Blöcken Seltsam,
wie ihn der Geruch an etwas er-
innerte. — Er vergaß darüber ganz
nach den „Tatzen" zu sehen. —
Los! — Der Schnee stob auf, der
Schlitten pfiff. — —■ „In Himmi
roas i, daß' dir dein Verstand aba-
schick'n"-Teufl, die Wurz'n da
vorn' — daß er die nicht erst ge-
sehen. . Die rechte Tatzen einziehenI
— Sie griff nicht ein. — Ter
Schlitten schlickert in rasendem Lauf.
— Der Pusterer brenrst mit dem
Fuß — da zieht's ihn schon hinein
— ein jäher Sturz — ein Poltern
und Sausen — dann halt-wie
angeschmiedet, — ein Berg auf der
Brust-der Schlitten mit seiner
ganzen Last preßt ihn in den Schnee,
jeder Athemzug muß ihn heben —
jeder Schrei droht die Brust zu
sprengen. Jeder Versuch, sich von
der Last zu befreien, bringt neue
Gefahr. Der Pusterer schweigt und
schließt die Augen und die Buchm-
klötz riechen noch ärger. — — —
O du schöner, lieber Toni! Und
ganz schwer liegt's auf seiner Brust,
und das Geißglöckel bimmelt — —
dann wird's plötzlich leichter, —
immer leichter. — — Regerl, wo
bist? — Da schlug er die Augen
auf. — Die Wab'n — zwei Män-
ner — der Geistli'-und alle-
weil das Geißglöckel. — „Komm',
Pusterer — komm' zu deiner. —
— Mach' Reu und Leid — es geht
zu End' mit dir —"
„Wohl, Herr, fehlt si' nix —"
„Bereust du alle deine Sünden?"
„Wohl, Herr
„Dann sei dir vergeben, im Namen Gottes —"
Der Priester macht das Zeichen des Kreuzes
über dem Antlitz des Sterbenden. Das Glöckerl
klang von Neuem.
„Fang's do, Regerl, die Geiß — süaß, liab's
Regerl." — Der Pusterer lächelte, wie ihn noch
Niemand hat lächeln sehen, auch die Brodträgerin
nicht.
Der Geistliche, mit dem weißen Haar, starrte
auf den Schnee und murmelte ein Gebet.
Es war derselbe, der vor dem Sterbebett der
Marei gestanden, im Häusl am Fall, und es war
dasselbe Lächeln auf den Lippen des Pusterers,
dasselbe erhabene Lächeln, das ihn damals so aus
der Fassung gebracht.
Die zwei Männer führten die Leiche auf dem
Schlitten thalwärts. Dahinter humpelte die Brod-
trägerin, mit ihrem krummen Fuß, ihr folgte der
Geistliche und der Bub mit dem Glückt.
Es bimmelte ganz almerisch durch den schloh-
weißen Wintcrtag.
Das war Noth und Tod des Pusterers.
Aus dem Protokoll einer Grrafsitzung
„Nachdem der Zeuge Huber in eingehender Weise
über die Bedeutung des Eides und die strafrecht-
lichen Folgen des Meineids belehrt worden war,
wurde derselbe, weil mit dem Angeklagten ver-
wandt, unbeeidigt vernoiuinen."
Erscheinung
Nickelmann ln Nölden Geors ^ogt
„Areuzbirnbaum, I glaub gar, während r beim Saufa war, is rnei
Bebauluna zugefroren."
Der Herbst ist milde worden,
Wie meine Seele auch:
In zitternden Accorden
Taucht sie aus Baum und Strauch;
Und lauschen, lauschen kann ich ihr,
Als war' sie nicht ein Stück von mir
Und nur ein sanfter Hauch.
Die Hände muß ich falten,
Weil ich an Dich gedacht;
Ein wunderliches Walten
Hat weinen mich gemacht:
Die Würze rings in Traum und Thau
Hat Deinen Duft, treulose Frau,
Mir neu ins Herz gebracht.
Nun bist Du wieder milde,
Wie meine Seele auch;
Tauchst wie im Spiegelbilde
Aus Bach und Baum lind Strauch. .
Und lauschen, lauschen muß ich Dir,
Als wärst Du nicht gestorben mir
Und nur ein süßer Hauch.
Hntoti Eindner
Variante
Studiosus A.: „Alle meine Brandbriefe an
den Gnkel Adolf sind erfolglos geblieben; hartherzig
schlägt er meine Bitte um pekuniäre Hilfe ab."
Studiosus 6.: „Also: Briefe,
die ihn nicht erweichten."
Liebe Jugencl!
Awrohom Bauchgedanke stammt
aus einem kleinen galizischen, welt-
abgeschiedenen Dorf und kommt
zum ersten Mal in seinem Leben
nach Kruke (Krakau) zu Schloime
Kalbskopf; der wohnt am Ende
der Stadt und empfängt ihn freu-
dig gegen Abend in seiner ärm-
lichen Wohnung. Am nächsten Mor-
gen führt er seinen Gast spazieren,
um ihm die moderne Großstadt zu
Zeigen.
Zuerst sehen sie eine Eisenbahn,
„wos id dos?" fragt Awrohom.
Schloime erklärt, „wie lange
geht man von Kruke nach Wilna?"
„Toma (ca.) 5 Tog," sagt Aw-
rohom.
„Nu, mit der Eisenbohn fährt
me 5 Stund," sagt Schloime.
„Nu, sehr schön," sagt Awrohom.
Dann kommen sie an einem Te-
legraphenpfahl vorbei, „wos is
dos?" fragt Awrohom.
„Wos wird dos sein?" frägt
Schloime dagegen, „ä Tellegraff.
wie lange geht ä Brief von Kruke
nach wilne?"
„Toma ein Tog," sagt Awrohom.
„wenn ma mit'm Tellegraff
schreibt, dauerts nur eine Stund."
„Nu, sehr schön," sagt Awro-
hom. Jetzt erblickt er Telephon-
drähte. „wos id dos?" frägt er.
Schloime erklärt: „wenn Du in
wilne jeimand sprechen willst,
mußt Du hingehen oder fahren,
das dauert immer lange. Mit
dem Tellephon kannst Du reden
und schon hört man Dich in
wilne."
„Nu, sehr schön," sagt Awro-
hom. „Aber wozn die Lil?"