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1003

JUGEND

Nr. 51

I

I

Das „Neigen -Malheur des Akademisch-Dramatische»:

(Frei nach Franz Stuck, „Das verlorene Paradies")

Unverbürgtes

Durch die bekannte Interpellation in der
Kammer ist der Senat der Universität
München so nervös geworden, daß er neuer-
dings die Schweizer Landsmannschaft
aufgelöst hat, weil sie an ihrem letzten ge-
selligen Abend den Kuh-Neige»» aufführte.

M und W

(Sit dein Gedicht von A. De Nora auf S. 937 dieser Nummer)

In Wien lebte bis zum 4. Oktober 1902 ein
Jüngling israelitischer Abstammung von großer
Gelahrtheit, ungewöhnlichem Scharfsinn und ab-
normer Häßlichkeit. Nachdem der 22 jährige zu
diesem Zwecke im Beethovenhanse Wohnung ge-
nommen hatte, beförderte er sich durch einen Ne-
volverschuß in das, wie er vermuthlich gehofft,
bessere Jenseits. Und er hat wohl daran gelhau,
da er an einer Geisteskrankheit litt, die man nicht
als vorübergehende Jugendpsychose auffassen kann.
Denn der kaum den Windeln der alma mater Ent-
schlüpfte hatte bereits ein unerhörtes Verbrechen
an der Menschheit begangen durch ein ebenso
verblüffend geistreiches, als dickes Buch, in welchem
er seine Mutter und alle Mütter der Welt zu ganz
gewöhnlichen Kühen zu stempeln versucht hatte.

Trotzdem ist Dr. Otto Weininger's Ver-
dienst ein sehr großes. Er hat durch sein gran-
dioses Beispiel den unumstößlichen Beweis ge-
liefert, daß die Typomanie, an welcher zu allen
Zeiten Tausende von Gleichgewichtslosen gelitten
haben, in unseren Tagen der literarischen Sen-
sationshascherei eine doppelt gefährliche Sache ist
und zur Selbstvernichtung führen muß. Alles
Wissen, alle Gelehrsamkeit und Genialität können
eben niemals die ausgereifte Gesundheit der
Triebe und Empfindungen ersetzen, ohne welche
kein Autor das Recht hat, seinen Mitmenschen
moralische Rathschläge zu ertheilen.

Meininger lehrt: „Das Weib ist alogisch
und amoralisch;" — „Alle Fecondite ist nur ekel-
haft;" — „Der reine Mann ist das Ebenbild
Gottes, des absoluten Etwas, das Weib, auch
das Weib im Manne, ist das Symbol des Nichts;"

— „Der bejahte Phallus ist das Antimoralische;"

— „Die Erziehung der ganzen Menschheit muß
der Mutter entzogen werden;" — „Jede Liebes-
erklärung ist Schamlosigkeit und Lüge;" — „Das
Weib muß als solches untergehcn;" — „Die Frau
lügt stets, auch wenn sie objektiv die Wahrheit
spricht;" — „Das höchststehende Weib steht noch
unendlich tief unter dem tiefststehenden Manne"

— u. s. w.

Andere Beispiele solchen Quatsches lassen sich
aus dem Buche Weininger's zu Hunderten^ bei-
bringen, dabei die tollsten Widersprüche oft in
nächster Nachbarschaft. Die manchmal packende
Gedankentiefe wird fast immer durch den sexuellen
Haß vergiftet. Ein junger Mensch, der „aus
dem höchsten Gesichtspunkte des Frauen- als des
Menschheitsproblems die Forderung der Ent-
haltsamkeit für beide Geschlechter als gänz-
lich begründet" erachtet, gehört in eine Heilanstalt
für Impotente, Insolvente und Insolente; ja
schon das fade Gerede von der „Bejahung" des
Lebens ist im Munde eines jungen Menschen
untrügliches Zeichen pathologischer Schwabbligkeit.

Der arme junge Meininger, der wilde Ver-
ächter seines Stammes und Verherrliche» des an-
geblich arischen Parsifalismus (der doch in Wirk-
lichkeit christlicher, also ursprünglich jüdischer Her-
kunft ist), hat mit seinem bösen Buche der Frauen-
bewegung — die er übrigens als solche nicht
verurtheilt, da er für Mann und Weib äußer-
lich gleiches Recht verlangt, — einen noch größern
Vorschub geleistet, als Herr Paul Möhius mit
seinem physiologischen Schwachsinn des Weibes.
Er hat nämlich mit dem von ihm „entdeckten"
Gesetze der sexuellen Anziehung indirekt das
Zugeständniß gemacht, daß die guten mensch-
lichen Eigenschaften, welche er willkürlich als
männliche mit M bezeichnet, und die schlech-
ten, die als weibliche unter der Chiffre W segeln,

in den Individuen männlichen und weiblichen
Geschlechtes mit derartig verschiedenen Prozent-
sätzen vertreten sein können, daß wir berechtigt
sind, uns eine bestimmte Frau zufällig mehr aus
M, einen einzelnen Mann mehr aus W zusammen-
gesetzt zu denken. Hierdurch aber ist der ganzen
Typomanie sammt dem Verallgemeinerungswahn
der Antifcministen der Todesstoß versetzt: Denn
was wir, die-Feministen, verlangen, ist ja
nichts weiter als Anerkennung der Bildungs- und
politischen Rechte für diejenigen Frauen, die
geistig denjenigen Männern nicht nachstehen,
für welche jene Rechte existieren!

Man höre doch nun endlich ans, die armen
Weiblein durch arrogante Beleidigungen zu mal-
traitiren, ihnen vorzuwerfen, daß sie noch keinen
Shakespeare, Luther, Goethe oder Bismarck auf-
zuweisen haben und was dergleichen Unsinn mehr
ist. Sind etwa unsere Gymnasien da, um männ-
liche Genies zu züchten? Werden hier — wieder
von Männern! — die genial Veranlagten nicht
geradezu verfolgt, sobald sie sich nicht in die
Schulordnung fügen? — Ihr lieben Schwestern
aber, laßt Euch durch das jammervolle Gesäures
einiger Impotenten nicht abhalten, Eure Liebe
und Barmherzigkeit nach wie vor dem
Mannsvolk zu widmen; ob zwar das Wort
„Schweinehund" (eine Kombination, die in der
Thierwelt nicht vorkommt) nur vom Manne und
nur für den Mann erfunden ward, so gibt es
doch unter uns noch Etwelche, die Eurer mütter-
lichen und schwesterlichen Achtung und Fürsorge
nicht ganz unwürdig sind! georg f)irtD

kulturhistorische Entdeckung

Der bekannte Romödiendichter Aristophanes
scheint es leider mit der czechischen Gbstruktions--
Partei gehalten zu haben, wenn er in seiner Ro-
mödie die Ritter v. joso den Mahnruf ertönen
läßt:

lLöX«ßstaZ-s vvv Lxstvov röv xLicoZ-sv Kep/Sspov
(Nehmt euch vor dem Aörber nur in Acht!)

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Monogrammist Frosch: Das "Reigen"-Malheur des Akademisch-Dramatischen
[nicht signierter Beitrag]: Unverbürgtes
Georg Hirth: M und W
[nicht signierter Beitrag]: Kulturhistorische Entdeckungen
 
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