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Nr. 52

JUGEND

1903



(Kgl. Kiipfersticli-Kabinet, München)

aus — und Deutschland ist bevölkert von Ko-
bolden und Feen, von Riesen lind Zwergen,
von Nixen und Wasserfrauen. Rübezahl streift
durch den Gebirgswald,. um die Flüsse und
Weiher schweben Elfen; Gnomen und Hncke-
mannlein kriechen aus den Felsspalten hervor.

Doch nicht nur dem Märchenzauber des
deutschen Waldes gab er Form. Auch des
deutschen Weibes Wonne und Werth wurde er
nicht müde als ritterlicher Canzioniere zu be-
singen. Er war Wiener. Ein weicher, sinn-
licher Hauch ist über Wien gebreitet, llnd diese
Frauenseligkeit, dieser sinnliche Hauch gibt auch
Schwiuds Kunst die Note. Er malte die Braut-
fahrt des Ritters Kurt, malte den Grafen von
Gleichen, der mit zwei Frauen sein Leben theilt

— „ein Haus, ein Bett, ein Grab", llnd noch
am Schlüsse seines Lebens folgten jene wunder-
vollen Cyklen von Aschenbrödel, den sieben Raben,
der schönen Lau und der schönen Melusiile, worin
er die Keuschheit und Treue des deutschen Weibes,
die siegende Allgewalt der Liebe feiert.

„Meister Schwind, Sie sind ein Genie und
ein Romantiker!" Diese Worte psiegte Ludwig I.
zu sagen, wenn er seinen stereotypen Besuch in
Schwinds Werkstatt machte. Und sie enthalten
in ihrer lakonischen Kürze alles. Unzählige, die
neben Schwind arbeiteten, sind heute vergessen,
weil sie nur Reflexe fremder Kunst gaben. Schwind

— da er ein Genius war —- wird fortleben,
so lange es eine Sehnsucht aus der Prosa des
Tages hinaus in schöne weltferne Paradiese, so
lange es Traume, Poesie und Romantik gibt.

Mondnacht

Licht blinkt das Thal. Melodisch schwebt
Oer Mond und fingt ein stummes Liech
Oa; seinen ?Iug zum Himmel hebt
Uncl Lngelschaaren niederzieht.

Bald füllt die Nacht sich tausendsach
Mit Lngelsköpfchen, leicht beschwingt,
bald zittert über jedem Nach
Liwstosenwölkchen und verlstingt.. .

Hott-Oater schreitet sanft zu Thal,
Aufrechten Längs, von Haus zu Haus —-
Oer Lichtlein ungezählte Lahl
Löscht er mit seinem Krückstock aus.

Mion Eindner

Ejandzeichnung zu dem Kinderfries im Kaisersaal
der königlichen Residenz in München

Frau ITläre und der Maler

von Helene Haff

Mit Zeichnung von A. SchmidHammer)

s schritt mit Hellem Sang und Klang
Ein junger Bursch den Pfad entlang;
Was auf der Fahrt ihm wohlgefiel,
Beschaut' er, ohne Hast zum Ziel.

So kam er, eh' er sich's versann,

In einen tiefen dunklen Tann.

Im Abendgold bewegten sich
Die hohen Wipfel wunderlich,

Rings wob ein grüner Dämmerschein —
Und Alles stumm — und er allein.

Doch ob ihm auch die Schläfen pochten,

Er ging fürbaß unangefochten,

Bis eine Au sich ihm erschloß,

Auf der ein lichter Brunnen floß.

Sieh da: in moosigem Gefild
Saß hier das schönste Frauenbild!

Es hüllt der Glieder hehren Ban
Ein luftig Kleid, halb bunt, halb grau.

Ihr träuinend Aug' auf ihn gewandt,
Befragt die Frau den jungen Fant:

„Wer bist Du? Sprich, was Dein Begehr?
Wer lehrte Dich den Weg hierher?"

Der Fremdling stand verdutzt zur Stell'

Und sprach: „Ich bin ein Kunstgesell,

Doch weiß ich — wahrlich ist's mir leid —
Nicht, wo ich bin, noch wer Ihr seid."

Da hebt die Frau ihr Angesicht:

„Frau Märe ist's, die mit Dir spricht,

Und den Dein Fuß unwissend fand,

Der Pfad führt in das Märchenland."

Der Jüngling rief in Eifersdrang:

„Jn's Märchenland sehnt ich mich lang!
Schon da ich saß auf Mutters Schoß.

.Doch seit ich wuchs und wurde groß
Und nach ihm forschte da und hie,

Sprach man voll Spott: Das gab es nie."

Sie seufzte leis: „Vor solchem Hohn
Sind wir in diesen Wald entfloh'n.

Die mich sammt meinem Volk verwarf,

Die Zeit hat anderen Bedarf.

Nur was sie fest in Fäusten hält,

Begreift und schätzt die heut'ge Welt;

Und lieblicher als Elfensang
Däucht ihrem Ohr der harte Klang,

Häuft sie im Kasten blanke Thaler.

Moritz v. Schwind

Doch sprachst Du nicht, Du seist ein Maler?
So ist Dein Sinn von fei-nrer Art,

Drum sei mein Reich Dir offenbart.

Merk auf!" —

Sie winkt mit wtißen Händen;
Da regt sich's seltsam aller Enden.

Da wandelt hoch und neigt sich lind
Manch Ritterbild, manch Königskind,

Die Meerfey mit dem goldnen Haar,
Erlkönig sammt der Elfenschaar,

Die sieben Raben im Verein
Mit ihrem treuen Schwesterlein;

Freund Rübezahl als Köhlerknecht,

Der Zwerglein zierlich flink Geschlecht —
Gedrängt erfüllten sie den Plan.

Der Maler sah sie staunend nahn.

„So hat die Mutter sie beschrieben —

Wo sind sie nur so lang geblieben?" —

„Des Alltags Lärm verscheucht die Meinen.
Nur manchmal nahn sie noch den Kleinen,
Im Abendgraun, wenn Alles ruht." —

Da rief der Jüngling frohgemuth:

„Nicht doch! Heut' lös' ich Euren Bann;
Folgt mir getrost aus diesem Tann!

Mit Hand und Herz bin ich Euch eigen.
Ich wag' es, Euch der Welt zu zeigen.
Geles'nes ist ihr halb vertraut,

Doch ganz erfaßt sie, was sie schaut.

Wen harte Lebensmüh'n beschweren,

Will ich Euch sehn und glauben lehren,

Daß er vom grauen Arbeitstag
In Eurer Schönheit rasten mag!" —

Da reihte sich ein stolzer Zug:

Die Raben nahmen ihren Flug,

Es hüpfte hoch der Zwerglein Schaar,

Die Andern folgten Paar um Paar.

Frau Märe saß auf weißem Roß,

Der Jüngling schritt als ihr Genoß;

So ritt sie aus dem Märchenhain
Jn's Helle Menschenland hinein.

* *

Nun, liebe Künstler insgesammt
Und wer von deutschem Blute stammt,

Auf, singt des deutschen Meisters Lob,

Der uns den Hort des Märchens hob!

In ew'ger Jugend sestgehalten
Hat er uns all' die Huldgestalten,

Frau Mären's selig Jngesind. —

Drum Heil dem Meister

Moritz Schwind!

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Register
Helene Raff: Frau Märe und der Maler
Moritz v. Schwind: Handzeichnung zum Kinderfries im Kaisersaal der königlichen Residenz in München
Anton Lindner: Mondnacht
 
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