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JUGEND

1904

A. Fiebiger

Die

Ileujciftrsnachf eines Unglücklichen

Lin Lylvesterspuk

Msller Anfang ist schwer. Daher auch ein Neu-
jahrsaffe. Meiner war sogar sehr schwer. Ich
halte zu tragen, als ich mit ihm Nachts zwei Uhr

von der Sylvesterkneipe nach Hause ging. Oh-,

nach Hause! — UeLrigens sind die Affen possirliche
Thiere. Man weiß das ja aus dem alten Kinder-
vers:

Der Affe sehr possirlich ist,

Zumal wenn er vom Apfel frißt.

Aber wenn er vom Sekt säuft, ist er noch possir-
licher. Meiner war's. Er saß nämlich oben auf
meinem Nacken oder meinem Cylinder oder sonstwo
— kurz, einfach oben — und machte Scherze. Zum
Beispiel hielt er mir hie und da mit den Händen
die Augen zu und sagte: „Guck! Guck! Wer bin
ich?" Dann schlug ich natürlich lang hin, denn
Niemand kann weitergehen, wenn ihm Jemand die
Augen zuhält. Oder er gab mir plötzlich das Ende
seines Wedels — in die Hand, sodaß ich ihn für
meinen Spazierstock hielt und meinen wirklichen
Spazierstock dabei fallen ließ.

Das wurde mir zu bunt. Ich beschloß, meinen
Affen zu fangen und tüchtig durchzuprügeln. In
meiner Jugend hatte ich eine Geschichte gelesen
von dem Assen, der mit einem Kinde auf dem
Dache saß und dem Klempnerjungen, der ihm
nachgeklettert war, und ihn auch richtig erwischt
hatte. Das war mein Fall! Der Affe saß auf
meinem Dach und ich mußte ihm nachklettern! —
Wer es noch nicht versucht hat, macht sich feinen
Begriff, wie schwer das ist. Mich machte es nicht
nur müde, es machte mich unglücklich. Wenigstens
fand mich ein Herr einige Zeit später auf dem Boden
sitzend vor: ich hatte eine drei Meter lange Dach-
traufe im Arm und weinte.

„Ist Ihnen was passirt?" fragte der Herr.
„„Ich glaube nicht,"" sagte ich. „„Ich bin nur
meinem Affen nachgeklettert."" „So," meinte der
Herr. „Sie müssen höher klettern, der Affe sitzt
noch oben." Dabei deutete er aus meinen Hut. Es
machte mir den Eindruck, als ob der freundliche Herr
mich „frozzeln" wollte, und ich hielt eine Realinjurie
für angebracht. Allein bis ich mich erhob, war der
Herr fort. Der Affe nicht. Denn das Luder begann
nun von meinem Kopf herunterzuklettern und aus
der Straße vor mir her zu Hüpfen. Ich zog meinen
Cylinder und haschte ein paarmal nach ihm, wie man
Schmetterlinge hascht. Aber er war zu flink. Einige
Männer, die mir begegneten, fanden Interesse an
meiner Jagd und waren mir behilflich. Einer ries
plötzlich: „Dort sitzt er, lieber Herr! Gehen Sie
behutsam vor, dann müssen Sie ihn kriegen." Nichtig,
saß er auf der Straße und hielt mäuschenstill. Ich
näherte mich ihm behutsam. Hätte ich es nie gethan!
Es war kein Affe; überhaupt kein lebendes Thier!

Es war-etwas vom Pferde . . Ich wollte die

infamen Rathgeber mit meinem Stocke züchtigen.


aber sie hatten meinen Stock mitgenommen. In der
Ferne hörte ich sie noch: Prost Neujahr! rufen.

Das erinnerte mich an die Zeit, in der ich lebte.
Ich war so unglücklich. Und ein Gedicht von Stieler
kam mir in den Sinn, welches anhebt:
Neujahrsnacht war's. Das große Weh
Stieg auf in dieser Nacht der Weihe-

Ich zerbrach mir lange den Kopf, weshalb dem ar-
men Stieler das große „W" aufstieg in dieser Nacht..
Das große W!? — Aber es war mir unmöglich es
herauszufinden. Zweifelsohne war er damals ebenso
unglücklich gewesen wie ich, denn er fährt fort:

Die Sterne glänzten überm Schnee —

Mich aber triebs hinaus ins Freie--

Ha! Das war endlich ein rettender Gedanke!
Hinaus ins Freie! Ich muß meinen Affen hinaus
ins Freie führen.... Also ging ich, so schnell
mich meine Füße trugen, weiter. Endlich hörten
die Häuser auf, die Neubauten, die Bauplätze, die
Mörtelgruben .... ich war draußen, weit über
Giesing, draußen auf freiem Felde. Ich stellte
meinen Cylinder auf den Boden. Mit der Oeff-
nung nach unten. In diesem Augenblick sah ich,
wie etwas unter ihn hineinschlüpfte, ein Schweifende
ringelte nach, dann wars verschwunden. Kein Zweifel,
mein Affe! Er saß jetzt unter dem Cylinder. Und
ich dachte an den Schmied von Jüterbogk, der den
Teufel in einem Sack erschlug und hatte meinen
Mordplan fertig. — Bums! „Elendes Luder!" Meine
Faust schlug den ganzen Cylinder zu einem Chapeau-
Claque zusammen. — Bums! „Du Canaille!" —
Bums! Bums! Die Mordlust war erwacht und ich
schlug zu, bis der Hut, der Affe und der Boden nur
mehr eine formlose Masse waren.

Dann saß ich gebrochen da und betrachtete mein
Opfer. Die Reue begann ihre Zähne in mein Herz
zu schlagen. Plötzlich Schritte hinter mir! Ich
springe auf. Ein Mann kommt auf mich zu. Ich
schreie wie die scharfe Anita: „Ha! Sie wollen mich
verhaften!" Aber er lächelt und sagt: „Nee! Ich bin
froh, wenn ich nicht verhaftet werde."

In der That sah er darnach aus. Zerlumpt, ab-
gerissen, schäbig — einfach gemein. „Du hast auch
einen umgebracht, Bruderherz!" sprach er und streckte
mir die Rechte entgegen. Dieses „auch", dieses „Du"
und diese Rechte — oh! — Er stellte sich aber so-
gleich vor. „1903", sagte er. Es war vermutlich
seine Zuchthausnummer. Und während ich nach-
dachte, welche Nummer ich wohl selbst bekommen
würde, ertönten auss Neue Schritte. Aber nicht von
der Stadt her, wo der alte Stromer gekommen son-
dern von der entgegengesetzten Seite.

Ein junger Mann kam auf uns zu. Gut, sogar
etwas elegant und modern gekleidet, ein hübscher
Junge. Er reichte dem Alten und mir die Hand
und stellte sich vor. „1904". Noch ein Nummerirter!
Der war jedenfalls eher eine Art Hochstapler. Sie
erwarteten aber offenbar, daß ich mich auch vorstelle.
„Null!" sagte ich. „Bis dato noch Numero Null,
meine Herrn." „Sie entschuldigen," sagte der Junge,
„wir sind keine Nummern, wir sind Jahre!" Dann
wandte er sich an den Alten. „Also bist Du durch,
Bruderherz?" „Gott sei Dank!" — „Wie wars?"
„Einfach scheußlich! Als ich meine Reise in die Welt
antrat, Hab' ich besser ausgesehn als Du. Aber bis
Du Dich durchgebettelt hast, wirst Du schlechter aus-
sehen als ich." — Der Junge schüttelte sich vor
Schauder. — „Siehst Du," sprach der Alte, das
Einzige, was noch ganz geblieben ist, sind die Stiefel.
Friedensstiefel, mit Eisen beschlagen! Russisches Leder
mit japanischem Lack! Werden aber schon sehr mürbe.
Ich fürchte, sie hätten doch bald ein Loch bekommen!"
— „Und diese Hose? Pfui, Bruder, unanständig!
Geht ja fast auseinander, schämst Du Dich nicht?"
„Warum? Wiener Fabrikat, Fa^on a 1a Oesterreich-
Ungarn ! Hält nur noch an einem Faden
„Gräßlich! Bon wem hast Du den Rock? Er sieht
so geflickt aus —„Wie das macedonische Reform-
programm. Nur der Hut ist noch haltbar. Er ist
schwarz. Conservirt sich am besten und ist immer
obenauf." — „Und Du glaubst, daß sie mir alle
meine schönen Kleider ausziehen und solche zerlumpte
Fetzen dafür aufhängen werden?" „Gewiß, mein

Junge, und ihre ganze schmutzige Wäsche dazu." -
„Gibt es keinen andern Weg zur Ewigkeit?" „Min
Durch die Welt mußt Du Dich erst durchschlaaen'
Denn helpt bat nich, sagt Jochen." Der Juna?
seufzte. Der Alte sagte: „Mach Dir nichts draus'
Manchmal kriegt man ja auch schöne Sachen ap-
schenkt. Lebwohl!" y

Er wandte sich, nachdem er dem Jungen die Hand
geschüttelt, zum Gehen, drehte sich aber nochmal um
und sprach: „Nimm das besoffene Schwein hier mit
in die Stadt, sonst erfriert es heraußen!"

Das galt also mir und war eine offenbare Be-
leidigung. Darauf gehörte entschieden eine Realin-
jurie. Aber als ich den Arm erheben wollte, war er
in der That steif gefroren und als ich etwas reden
wollte, brachte ich es nur mehr zu einem hilflosen
Grinsen. Das neue Jahr schob seinen Arm unter
den meinen und sprach: „Hopp, Liseli" und zerrte
mich davon, in die Stadt hinein. Das alte Jahr
war in der Richtung nach den Bergen verschwunden.

Wie ich heimkam, weiß ich nicht mehr; es mutz
sehr schnell gegangen sein. Denn plötzlich sperrte
das neue Jahr eine Thür auf und sagte: „Sie sind
zu Hause." Ich brummte etwas wie Dank. „Wollen
Sie sich gleich .niederlegen?" Ich nickte. „Dann will
ich Ihnen beim Auskleiden behilflich sein. Stuhl
ist leider keiner da, doch es wird schon gehen." Ich
wollte singen: Ist denn kein Stuhl da für meine
Hulda?, brachte es aber nicht über ein gelindes
Grunzen hinaus. Inzwischen hatte mich das Jahr
ausgezogen und verabschiedete sich. „Vergessen Sie
nicht, die Kleider vor die Thür zu hängen zum Aus-
putzen!" sagte es freundlich. „Und die ©liebeln!"
brüllte ich plötzlich, um meine volle Nüchternheit
durch Erfassen der Situation zu documentiren. „Na-
türlich die Stiefel auch," erwiderte das neue Jahr
und verschwand. Ich hängte die Kleider an die
äußere Thürklinke, wie ich das immer thue, stellte
die Stiefel vor die Schwelle und schlug die Thüre
zu. Dann legte ich mich endlich nieder und schlief
ein.

O ich Unglücklicher! Heute bin ich im Besitz
eines Strafmandats über 20 Mark wegen Verletzung
der Sittlichkeit. Das Mädchen vom ersten Stock,
welches Morgens 5 Uhr um die Milch herunter kam
und mich im Hausflur, gleich hinter der Hausthüre
liegen sah, hatte zuerst Augenschein von mir und
dann Aergerniß an mir genommen. Denn ich war
nur leicht bekleidet. Meine Kleider hatte ich vor die
Hausthüre gehängt. Sie waren fort. Meine Stiesel

auch. . Mein Hut auch. Mein Stock ebenso.

Prost Neujahr! Colibri

Sin Scbulbrief!

Fräulein Schütt, Ich möchte sie ersuchen, meine
Tochter nicht immer zu Schlagen da ich doch mein
Kind nicht für sie groß mache, da schafen sie sich
doch selber Rinder wo sie aus Rum schlagen kön-
nen soviel sie lust haben. Ich kann mein Rind
nicht nach Schule schicken denn es fibert hoch-
achtungsvoll. Frau Rrause.

Scbifferlfabr’n una Tiscberlfangett

Ein Münchner Liedl von A. De Nora
(Zu dem Bilde von A. Münzer)

Zs net meiner braunen Grethl
Heut ihr Sonntags-Ausgehtag?

-Du, weißt was, mein süßes Mädl,

Zahr'n ma Schifferl! )ffagst? — „3 mag!"

Zahr'n ma eppa so a bißl
Drauß in Starnberg umadum
Auf der .Münchner Suppenschüssel"
wit'm Dampfschiff? Kimmst? — ,,3 Kumm!"

Sarndi, das wird a Leb'nl
Und für jede Schiffsstation
JUußt mir hundert Buff'ln geb'n!

Hast soviel dabei? — „j schonl"

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Register
Colibri: Die Neujahrsnacht eines Unglücklichen
[nicht signierter Beitrag]: Ein Schulbrief!
A. De Nora: Schifferlfahr'n und Fischerlfangen
Albert Fiebiger: Zeichnung ohne Titel
 
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