Hippes
von Hrtbur Sebubart
Aus den Motiven zur Moral
Bei einem Kaffeeklatsch spater Jungfrauen wurde
ein junges Mädchen aus guter Familie abgeurtheilt,
das nach der Satzung der Natur die gemeinsam ein-
gegangene Schuld allein zu bezahlen batte.
„Da sieht man wieder die moderne Zeit mit ihrem
vielgepriesenen kameradschaftlichen Verkehr der jungen
Leute untereinander —" bemerkte sarkastisch die Vor-
sitzende.
„Wir hätten gar nicht so viel Gelegenheit gehabt,"
warf doppelsinnig eine Beisitzerin mit leiser Bitterkeit ein.
„Na, meine Liebe, dazu doch immerhin genug!"
verwies scharf eine zweite. . ., „aber wir haben die
Gelegenheit eben nicht benützen wollen . . ."
Stolz und selbstzufrieden klang es, fast heraus-
fordernd, wie meist, wenn man eine innere Stimme
übertauben möchte.
„Ganz richtig . .," ließ sich die Vorsitzende wieder
vernehmen, „da heißt es dann immer, wir urtheilen
hart — aber wenn die Leute gar keinen Unterschied
mehr machen wollen zwischen so einer und einem ehr-
baren Mädchen — wozu ist denn dann eigentlich
unsereins anständig geblieben?!"
Utile cum dulci
Letzten Sommer wollte ich einmal einen kranken
Freund besuchen, der in der Nähe des Bahnhofes
wohnte. Aus einer Seitenstraße tretend sah ich meinen
Weg durch eine Kopf an Kopf stehende Menschenmenge
versperrt, welche auf die Ankunft eines auswärtigen
Fürsten wartete.
Die lebende Mauer ließ ein weiteres Vordringen
meinerseits nicht räthlich erscheinen, weshalb ich zu warten
beschloß und mich neben einige junge Männer stellte;
sie waren Handwerker und sämmtlich Familienväter, wie
ich aus ihrer Unterhaltung entnahm.
Ich lauschte noch nicht lange ihrem Gespräch, da ent-
stand in der Ferne ein Brausen, das sich rasch näherte
— eine Bewegung ging durch die Menge, lautes Hoch
und Hurrah — der Fürst war vorüber, die Suiten
folgten, aber noch immer jubelte das Volk, und meine
Nachbarn schienen mir ganz besonders eifrig.
„Aber der Fürst ist ja längst vorbei!" bemerkte
ich lächelnd, als der mir zunächst stehende junge Mann
aufs neue anfing, wie besessen zu schreien.
„Z'wegen dem thuu meffs aa net!" antwortete
der Biedere mit vor Anstrengung heiserer Stimme, „uns
g'freut grad die Gaudi! Sonst, bals b’ Radau machst,
wirst d' ja glei ei'gsperrt!.."
Die Namenlosen
Vor der Münchner Staatsbibliothek sah ich kürzlich
einen alten Herrn stehen, der aufmerksam die vier
steinernen Männer betrachtete, die dort thronen.
Ich ging auf ihn zu und fragte harmlos: „Können
Sie mir vielleicht sagen, wen diese Statuen vorstellen
sollen?"
Ich habe es mir nämlich zur Gewohnheit gemacht,
täglich mindestens einen Passanten darüber um Auf-
klärung zu bitten, was für mich seit langem eine Quelle
der Erheiterung und Belehrung bildet.
„Gewiß," erwiderte er gefällig und — ich vergaß
vor Staunen den abgenommenen Hut wieder.aufzusetzen
— nannte die richtigen Namen der Reihe nach . . .
„Sie sind wohl hier fremd?" stammelte ich endlich ...
Der Alte lächelte verständnißvoll und sagte: „O nein,
ich bin schon zehn Jahre hier und gehe sogar jeden Tag
daran vorüber, aber ich wüßte, um die Wahrheit zu
sagen, die Namen auch nicht, wenn nicht mein Enkel
für morgen einen deutschen Aufsatz über die Denkmäler
Münchens zu schreiben hätte..."
Robert Engels (Schondorf)
von Hrtbur Sebubart
Aus den Motiven zur Moral
Bei einem Kaffeeklatsch spater Jungfrauen wurde
ein junges Mädchen aus guter Familie abgeurtheilt,
das nach der Satzung der Natur die gemeinsam ein-
gegangene Schuld allein zu bezahlen batte.
„Da sieht man wieder die moderne Zeit mit ihrem
vielgepriesenen kameradschaftlichen Verkehr der jungen
Leute untereinander —" bemerkte sarkastisch die Vor-
sitzende.
„Wir hätten gar nicht so viel Gelegenheit gehabt,"
warf doppelsinnig eine Beisitzerin mit leiser Bitterkeit ein.
„Na, meine Liebe, dazu doch immerhin genug!"
verwies scharf eine zweite. . ., „aber wir haben die
Gelegenheit eben nicht benützen wollen . . ."
Stolz und selbstzufrieden klang es, fast heraus-
fordernd, wie meist, wenn man eine innere Stimme
übertauben möchte.
„Ganz richtig . .," ließ sich die Vorsitzende wieder
vernehmen, „da heißt es dann immer, wir urtheilen
hart — aber wenn die Leute gar keinen Unterschied
mehr machen wollen zwischen so einer und einem ehr-
baren Mädchen — wozu ist denn dann eigentlich
unsereins anständig geblieben?!"
Utile cum dulci
Letzten Sommer wollte ich einmal einen kranken
Freund besuchen, der in der Nähe des Bahnhofes
wohnte. Aus einer Seitenstraße tretend sah ich meinen
Weg durch eine Kopf an Kopf stehende Menschenmenge
versperrt, welche auf die Ankunft eines auswärtigen
Fürsten wartete.
Die lebende Mauer ließ ein weiteres Vordringen
meinerseits nicht räthlich erscheinen, weshalb ich zu warten
beschloß und mich neben einige junge Männer stellte;
sie waren Handwerker und sämmtlich Familienväter, wie
ich aus ihrer Unterhaltung entnahm.
Ich lauschte noch nicht lange ihrem Gespräch, da ent-
stand in der Ferne ein Brausen, das sich rasch näherte
— eine Bewegung ging durch die Menge, lautes Hoch
und Hurrah — der Fürst war vorüber, die Suiten
folgten, aber noch immer jubelte das Volk, und meine
Nachbarn schienen mir ganz besonders eifrig.
„Aber der Fürst ist ja längst vorbei!" bemerkte
ich lächelnd, als der mir zunächst stehende junge Mann
aufs neue anfing, wie besessen zu schreien.
„Z'wegen dem thuu meffs aa net!" antwortete
der Biedere mit vor Anstrengung heiserer Stimme, „uns
g'freut grad die Gaudi! Sonst, bals b’ Radau machst,
wirst d' ja glei ei'gsperrt!.."
Die Namenlosen
Vor der Münchner Staatsbibliothek sah ich kürzlich
einen alten Herrn stehen, der aufmerksam die vier
steinernen Männer betrachtete, die dort thronen.
Ich ging auf ihn zu und fragte harmlos: „Können
Sie mir vielleicht sagen, wen diese Statuen vorstellen
sollen?"
Ich habe es mir nämlich zur Gewohnheit gemacht,
täglich mindestens einen Passanten darüber um Auf-
klärung zu bitten, was für mich seit langem eine Quelle
der Erheiterung und Belehrung bildet.
„Gewiß," erwiderte er gefällig und — ich vergaß
vor Staunen den abgenommenen Hut wieder.aufzusetzen
— nannte die richtigen Namen der Reihe nach . . .
„Sie sind wohl hier fremd?" stammelte ich endlich ...
Der Alte lächelte verständnißvoll und sagte: „O nein,
ich bin schon zehn Jahre hier und gehe sogar jeden Tag
daran vorüber, aber ich wüßte, um die Wahrheit zu
sagen, die Namen auch nicht, wenn nicht mein Enkel
für morgen einen deutschen Aufsatz über die Denkmäler
Münchens zu schreiben hätte..."
Robert Engels (Schondorf)