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Nr. 3

JUGEND

1904

und Sommer stand eine Hofe da, und im Winter
reichte sie acht Tage, wenn er nämlich das Stilende
abschnitt und etwas Salz ins Wasser that. Nun
hatte er gestern Abend eine ganz frische Hose in's
Wasser gelegt, und heute war sie verwelkt, zusammen-
geschrumpft, tobt, neigte den Hopf gegen die Brust.
Das war ein böses Zeichen. Er wußte wohl, was
für ein empfindliches Geschlecht die Blumen waren,
und er hatte bemerkt, bei welchen Menschen sie ge-
diehen und bei welchen nicht. Tr hatte im Gedächt-
niß, wie zuweilen, als seine Gattin noch lebte, ihre
Hose, die sie immer auf ihrem kleinen Nähtisch
haben mußte, nicht gedeihen wollte, sondern ganz
unvermuthet welkte. Und er hatte wahrgenom-
men, daß dieses just dann geschah, wenn es seiner
Sonne beliebte, hinter eine Wolke zu gehen, die
sich unter einem dumpfen Hollen in Tropfen auf-
löste. Die Hosen wollten: Frieden und liebevolle
Worte haben, und duldeten keinen harten Tonfall.
Musik liebten sie, und er spielte zuweilen der:
Hosen vor, so daß sie sich öffneten und lächelten.

Nun hatte Luise einen harten Sinn, und pflegte
vor sich hin zu zanken, wenn sie aufräumte. Hub
sie hatte Tage der wuth draußen in der Hüche,
so daß die Sauce gerann und alles Esten einen
Beigeschmack von Unlust bekam, den der Haxell-
meister sofort unterscheiden konnte; denn er war
selbst ein feines Instrument, das in seiner Seele
fühlte, was andere Menschen nicht fühlen.

Er vermuthete sofort, daß Luise die Hose ge-
tödtet habe; vielleicht hatte sie das arme Ding
ausgezankt, oder das Glas angestoßen, oder die
Blume böse angeathmet, die so etwas nicht ver-
trug. Darum klingelte er wieder, und als Luise
den Hopf hereinsteckte, sagte er, nicht unfreund-
lich, aber etwas bestimmter als das vorige Mal:

„was hast Du mit meiner Hose gemacht,
Luise?"

„Nichts! guter Patron."

„Nichts? Glaubst Du, die Blume stirbt von
selbst! Du siehst ja, es fehlt Wasser im Glase!
Das hast Du ausgegoffen."

Da Luise unschuldig war, ging sie in die Hüche
hinaus und weinte, denn es ist ja unangenehm,
ungerechter weise angeklagt zu werden.

Hapellmeister Hreuzberg, der andere nicht wei-
nen sehen konnte, ließ fünf gerade sein, und kaufte
abends eine neue Hose, eine recht frische, eine ohne
Stahldrähte natürlich, denn das hatte seine Frau
nie leideil können.

Und dann ging er und legte sich auf's Ohr
und schlief; glaubte freilich, die Tapete brenne,
und das Hissen sei heiß, aber schlief wieder ein.

Als er am folgenden Morgen in den Saal
hinaustrat, um vorm Pausaltar seine Andacht zu
halten — da, o weh! lag die Hose entblättert
neben dem Stiel. Er wollte nach der Hlingel
greifen, aber hielt an, als er das Bild von der,
die feine Seele geliebt hatte, am Fuße des Blumen-
glases halb zusammellgerollt und herabgefallen
liegen sah.

Das hatte Luise nicht gethan! — In seinem
kindlichen Gemüth dachte er: Sie, die mein Alles
war, mein Gewissen und meine Muse, sie miß-
billigt mich, sie ist auf mich böse; was habe ich
gethan?

Ja, wenn er sein Gewissen fragte, so gab es
ja da, wie es immer gibt, kleine Gebrechen, und
er beschloß, sie auszutilgen, so allmählich ver-
steht sich.

Und dann ließ er das Porträt unter Glas und
Hahmen bringen, und die Hose stellte er unter
eine Glasglocke, ob das vielleicht half; was zweifel-
haft war.

Dann machte er eine achttägige Heise; kehrte
in der Nacht zurück und legte sich nieder; er-
wachte einmal wie gewöhnlich und glaubte, die
Hängelampe brenne.

Als er spät in den Saal hineinkam, war's da
geradezu heiß, und es sah so heruntergekommen
aus. Die Gardinen waren verblichen; die Piano-
decke hatte auch die Farbe verloren; die Eillbände
der Notenbücher waren schief; das Petroleum in

E. Schüller

der Hängelampe war verdunstet und hing in e;11P
drohenden Tropfen unter dem Ornament wo V
Klitgen zu tanzen pflegten; das Wasser in
Wasserkaraffe war warm. "

Aber das verdrießlichste von allem war> i,„
Bild war auch verblichen, vergilbt wie das
gras! Da wurde er traurig. Und wenn er reck»
traurig wurde, griff er zuin Piano oder der Geia
je nachdem...

Er setzte sich dieses Mal ans piano, in einer
unbestimmten Absicht die E-moll-Sonate zu spielen
Griegs natürlich, und ihre Sonate, die'beste und
größte, die seines Wissens nach Beethovens D-moll
in die Welt gekommeir war, nicht weil E auf D
folgt, sondern weil es so war!

Aber das Piano wollte heute nicht gehorchen
Es war disharmonisch, machte Schwierigkeiten, so
daß er glaubte, seine Finger oder Augen seien
nicht bei Pumor. Aber es war nicht ihre Schuld
Das Piano war ganz einfach verstimint, obgleich
es erst neulich aus den geschickten pänden de^
Stimmers hervorgegangen war. Es war wie be-
hext, verzaubert!

Da griff er nach der Geige; und die mußte st
gestimmt werden versteht sich. Aber als die Tuinte
in die pöhe hinauf sollte, da weigerte sich die
Schraube; sie war festgetrocknet. Und als der
Hapellmeister sie mit harter pand anfaßte, da
sprang die Saite mit einem Hnall und rollte sich
zusammen wie eine eingetrocknete Aalhaut.

Es war behext.

Aber daß das Bild verblichen war, das war
das Verdrießlichste von allem, und darum zog er
einen Schleier über den Altar.

Damit kam eil: Schleier über das Schönste in
seinem Leben; und der Hapellmeister wurde ver-
stimmt, fing an zu grübeln uttb hörte auf, Abends
auszugehen.

So kam Mittsommer heran. Die Nächte wur-
den länger als die Tage, da aber die Persieiumi
das Zimmer dunkel hielten, konnte der Haxell-
meister keinen Unterschied merken.

Schließlich eines Nachts, es war die Nitt-
fommernacht selbst, erwachte er dabei, daß die
Uhr im Saale dreizehn schlug. Das war un-
heimlich, sowohl weil es eine unglückliche Zahl
ist, wie weil eine kluge Uhr nicht dreizehn schla-
gen kann. Da schlief er nicht wieder ein, sondern
lag und lauschte. Es tickte im Saale, und dann
knallte es, wie wenn ein Möbel birst. Gleist
darauf schlich etwas über den Fußboden, und
dairn begann die Uhr zu schlagen; und sie schlug,
schlug, fünfzig Schläge, und hunderte. Es war
unheimlich!

Aber jetzt schoß ein Lichtbüschel ins Schlaf'
zimmer hinein und warf eine Figur auf die Ta-
pete, eine wunderliche Figur, einein Hakenkreuze
gleich; und es kam aus der Saalthür. Es war
also draußen im Saale Licht angezündet Aber
wer hatte es angezündet? Und Gläser klangen,
ganz als säßen Gäste da; Ehamxagnergläser ans
geschliffenem Hristall; aber es wurde nicht ge-
sprochen. Jetzt waren neue Laute zu hören, nne
wenn man Segel birgt, oder Hleider mangelt
oder dergleichen.

Der Hapelllneister inußte hinaus, um nach
zusehen, und feine Seele in die pand des All'
mächtigen befehlend, ging er hinaus.

Er sah zuerst Luises Morgenrock durch die
Hüchenthür verschwinden; sah Houleaux, jedoch
aufgezogen; sah der: Eßtisch voller Blumen w
Gläsern; oh, so voll wie einmal, am pochzenS'
abend, als er mit seiner Braut heim kam.

Und siehe da: die Sonne, die Sonne schief
ihm mitten ins Gesicht, über blauende
und Wälder in der Ferne; die Sonne hatte c>u
Beleuchtung im Saale und alle die kleinen Sufi*
menstücke angestellt. Und es war sein Geburtv-
tag! Und er segnete die Sonne, die morgen^ 1
früh aufgewesen und dem Siebelischläfer eine'
Possen gespielt hatte. Und er segnete die Lu
innerung an die, die er die Sonne seines Lebeiir
nannte. Das war kein neuer Name, aber i


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Emil Schuller: Zierleiste
 
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