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Nr. 3

JUGEND

1904

Ered ntr JB&xtto
Die gsiüene CDflre

Aphrodite, führe
Leise mich hinauf,

Deine goldne Thüre
Geht im Himmel auf;

Deine goldne Thüre
Scheucht mir Spiel und Ruh —
wenn die Schatten steigen
Und im schwarzen Schweigen
Sich die Rächte neigen.

Geht sie auf und zu,

Immer auf und zu...

Und es weht von drüben
wir ins Herz hinein,

Und die Sinne trüben
Sich von süßem wein-
Deine goldne Thüre
Scheucht mir Spiel und Ruh —
Schweben muß ich, schweben,

Weil mich Zlügel heben,

Und wie Waldesweben
Geht sie auf und zu,

Immer auf und zu...

Anton Eindner

Vision

ln diesem Riesenlärm der Stadt,
ln all dem Brausen, Rlirr’n und Dröhnen
Ist mir als hört' ich, fern und matt,

Doch deine liebe Stimme tönen.

Und aus der Jagd des ohne Ruh'
'Vorübert)astenden Getriebes
Blickt mir mit stillen Rügen zu
Dein Rngesicht, dein blasses, liebes.

Wie Einer, dem in Sieber glüh'n
Die Schläfen, und die Pulse schlagen,
Und dessen Hirn die Phantasien
ln wilder Bilderflucht durchjagen,

Doch immerzu das Rngesicht
Erblickt der bleichen, stillen Nonne,

Das seinen wirrsten Wahn durchbricht
Wie einen Nebeltag die Sonne,

Und die mit feiner kühler Hand
lhn schützt, dass ihm kein Leid geschehe,
Und die er noch im Sterben ahnt
Wie eines Engels stumme Nähe.

A. De Xora

Weiser Ratb

Der einfältige Zoiserbauer hat manchen Prozeß
verloren, bevor sich seine Lust zu solchen dämpfte.
Da ihn aber jetzt der Förster mit ein paar saftigen
Schimpfwörtern regalirt hat. denkt der Zoiser, so
etwas könne er doch nicht ruhig hinnehmen. Dies-
mal soll's ihm auf einen Prozeß nicht ankommen:
er will dem Förster schon heimleuchten. Um sich
Rath zu erholen, geht der Zoiser zu seinem Freunde
Schlüpfer, dem Weißgerber, der Gemeindeschreiber
ist und sich in Rechtsfragen auskennt.

„No!" sagt der, „wie Halls alsdann der Förster
gesagt?"

„Er hat gesagt", erzählt der Zoiser, „'s dümmscht
Lueder vom Dorf, sagg er, und nachher no 's
größt' Rindvieh von ganz Evaropa, sagg er —"

„Na, na!" äußert der Schlüpfer nach einigem
Nachdenken, „i moan, des is gnua zu 'nerer richtigen
Ehrenbeleidigung —"

Aber, da der Förster überhaupt ein Saugobrian
ist und nebstdem Gemeinderath, so ist es schlimm,
mit ihm „anzubandeln." Ferner soll der Zoiser
nicht glauben, daß die Sache ganz einfach ist. Also,
sagt er ihm, er wolle den Fall bis Morgen „stu-
diren": da soll der Zoiser wieder vorsprechen. —

„Na, wie steht mein' Sach'?" fragte der Bauer
am nächsten Tag voll Spannung.

„Ja, siegst!" entgegnet der Schlüpfer, und macht
das reinste Advokatengesicht. „Jetzt hätll i dein'
Fall studirt. Alsdann Paß amal guet auf, Zoiser!
I wer der's expliziten; nachher wird's der selber
aa klar sein. Na' hör zue! Was des größt' Rind-
viech von ganz Evaropa angeht, — dasselbige kann
einfach gar ka Beleidigung sein, nämlich, weil's
gar ka Berhältniß zu derer Wirklichkeit hat. Ver-
stehst mi, Zoiser, gelt? Des is beiläufi a so, als
ob i unserm Bürgermeister sagen thät, er is Pre-
sendent von Amerika!"

Der Zoiser verkneift seinen Mund zu einem
Lächeln, denn der Vergleich gefällt ihm und kommt
ihm witzig vor.

„Hab' i recht?" ruft der Schlüpfer triumphirend,
um diese Zustimmung nachdrücklich auszunützen.

„Ja, ja, mit dem hast scho recht," gibt der Zoiser
zu, „denn des wär' scho wirklich gar ka Verhült-
niß net!"

„Nachher Paß no amal so guet auf!" fährt nun
der Schlüpfer fort. „Numero zwoa! Des Hab' i
no länger studiren müssen. Is net woar? Des
weißt ja von andere verlorene Prozeß: 's kimmt
alleweil auf'n Beweis an! Host an, so is gut;
host kan, bist tschari! Gelt, Zoiser? — Was also
des dümmst' Lueder vom Dorf anbetreffen thut, so
wär's epper vielleicht do möglich, und beweisen
kann so was ka Mensch aus der Welt. Hab' i recht
oder net?"

Verblüfft und überrumpelt versinkt der Zoiser
in tiefes Nachdenken. Endlich sagt er mit Ueber-
zeugung, wie einer, der sich schon darauf versteht:
„Na! Beweisen, des kunnt freist ka Mensch auf
der Welt. I moan, da hast aa recht —!"

„Siegst es, Zoiser!" ruft der Schlüpfer. „Bald
man de Sachen schtudirt, nachher schau'n's alle-
mal anderst aus, als wie in Anfang. So is!"

„Ja," meint der Zoiser endlich, „— was is nach-
her zu machen?"

„Nix is zu machen!" schreit der Schlüpfer, be-
geistert von seiner eigenen Capazität. „'s beste is,
wenn d' aber schon gar nix drüber redstl"

Und der Zoiser sagt nach einer kleinen Pause:
„Ja, wenn d' es schtudirt hast, nachher moan i
Halt aa, 's beste is, ma red't nix mehr d'rüber. —"

Otto von Leitgeb


W. Schulze-Belling

fruchte

„Lieber Hol; hacken, als dieses Leben!"
— wer hat das noch nicht sagen hören?
2lbcr wer hat es schon thun sehen? —
wenn Frau und Rinder — wenn meine schlcchren
Augen — wenn meine schwache Brust nicht
wäre!" — Lieber, ich sah schon bessere Männer
als Du, ohne Frau und Rind — mit Falken-
augcn und massiver Brust — das unwürdigste
Leben ertragen und kein Hol; hacken. 2lbcr
sagen thaten's auch sic. 3«, ich sah noch
Reinen Hol; hacken, der cs mit einer Schmach
umgehen konnte!

Du sollst Deine Eltern ehren, heißt cs
Aber wer sind diese Eltern? Sind das nicht
die Rinder? Sind sie nicht ein Geschlecht —
sind sie nicht gerade um Dich alter als Du?
— Ja, Du sollst Deine Rinder ehren und sie
nicht malträtiren, auch mit Deiner Liebe „ichi-
laß sie sich selber bauen, damit cs ihnen wohl
ergehe und sie lang leben auf Erden und gur,
und Du selber bald heimgchn kannst!

Zeno

Wahres Gesdncbtcben

Zwei deutsche Maler sitzen zufällig in der
Tamxagna ziemlich nahe bei einander an der Ar-
beit, ein Dresdner und etti Berliner, ein Künstler
und ein Macher. Endlich machen sie sich mit ein-
ander bekannt, und der Künstler wundert sich,
als er auf den: Bilde des Anderen „die bekann-
ten" glutfarbenen, saftigen, rothen, blauen, grünen
für Italien „charakteristischen" Töne findet. „Aber
sehen Sie das denn auch wirklich so?" fragt cr.
Der Andere: „Ja, wenn ick dat nich so malen
würde, dann jlobt et mir doch Keener, dat ick
hier war . . ."

Wahres aus der Rinderstube

Mila und Friede! werden gebadet. Der kleine
Junge betrachtet sich aufmerksam von Kopf bis
zu Fuß und stellt dann die nachdenkliche Frage:
„Mama, wozu ist denn der Nabel da?" — „Zur
Verzierung," antwortet schlagfertig das sechs-
jährige Mädchen.

Schönbcirfspiel

(Zur Zeichnung von Ernst Stern)

Cs kam mit Beftlertritten
Die Diebe hergeschritten
Und pochte bei mir an.

Sch liess sie draussen stehen,
ßiess sie zu Andern gehen

Und hob mein Baus nicht aufgeftuin.

Da wollte sie’s erzwingen
Und Karn mit blanken Klingen
Und drang als Räuber ein.

Da griff ich zu den Watten
Und machte ihr zu [chatten

Und säuberte mein Kämmerlein.

Und erst im Fasching endlich
Betrog sie mich so schändlich:

Sie sah so närrisch aus.

Und weil ich drüber lachte
Und gar nichts Arges dachte,

Uiess ich das flärrchen in mein 6our.

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Index
A. De Nora: Vision
W. Schulze-Belling: Vignette
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
Anton Lindner: Die goldene Thüre
Zeno: Früchte
Kory Towska: Schönbartspiel
[nicht signierter Beitrag]: Wahres aus der Kinderstube
Otto Georg Ritter v. Leitgeb: Weiser Rath
 
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