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Nr. 3

- JUGEND

1904


Auch eine Salome

Die ultramontane Presse tanzt einen Schleier-Vauch-Tanz vor Her ödes Zeititz sch und verlangt von ihm mit

wollüstiger Grausamkeit das Haupt der modernen Kunst.

Die feindlichen Brüder

Welcher Recht hat, weih ich nicht, —
Doch es will mich schier bediinken,
Dah der Heim und dah der Giich,
Dah sie alle beide hinken.

Eine neue Anthologie

Immer mehr kommt uns zum Bewußtsein,
daß unsere Geistesheroen für das „gewisse Etwas"
eine Schwäche besäße!:. Es ist deshalb ganz un-
möglich, unseren Frauen und Töchtern Goethe,
Schiller u. s. w. in die Hand zu geben; vereinzelt
wurde schon in Schulbüchern erfolgreich der ver-
such gemacht, die Dichter zu veredeln, z. B. läßt
ein geistlicher Schulinspektor im Regierungsbezirk
Wiesbaden statt:

„Jeder Schäfer wird jetzt kühner,

Sanfter jede Schäferin"

die reinere und schönere Fassung singen:

„Jeder Käfer wird jetzt kühner,

Sanfter jede Käferin."

Aber noch immer fehlt eine gute Anthologie
moderner und klassischer Meister.

Die „Jugend" hat sich entschlossen, eine solche
sittenreine Anthologie zusammenzustellen, die in
keinem Haushalt fehlen sollte, wir geben nach-
stehend eillige Proben, und rechnen auf die Unter-
stützung unseres Leserkreises durch Einsendungen.

r. kleine

Das Meer erglänzte weit hinaus,

Die Welle brach sich am Strande,
wir saßen am einsamen Fischerhaus
Mit Deiner Gouvernante.

Der Nebel siel, das Wasser schwoll,

Die Möve flog hiir und wieder,

Aus Deinem Händchen anmuthsvoll
Fiel Dir ein Handschuh nieder.

Seit jener Stunde bleichet mein Haar,

Die Locken verzehren sich und schwinden.
Ich suche den Handschuh schon sieben Jahr,
Und kann ihn noch immer nicht fillden.

II.

Die Jahre kommen und gehen,
viel Menschen sinken in's Grab,
Doch nimmer kann ich dich fragen,
was ich auf dem Kerzen Hab'.

Ich möchte dich einmal sehen,
Und sinken vor dir auf's Knie
Und leise zu dir sprechen:

„Madam, wieviel Uhr haben Sie?"

Splitter

Es gibt Politiker, die mit ihrem Geschimpf
nicht nur ihr Auskommen, sondern auch ihr
Einkommen finden.

Mein Ideal!

Gesungen von einer Melser höheren Tochter
(Der Kronprinz hat der Geisel- höheren Töchter-
schule die Lrlaubniß verliehen, sich Kronprinz
Miheim-Schule zu benennen.)

O welch' erhebender und höchst gerechter
Stolz füllt mir meine jungfräuliche Brust.

Denn ich und alle Oelser höhren Töchter
Sind sich der hohen Ehre wohl bewußt.

Es schlägt uns unter unsren weißen Blusen
Ein Herz für König, Gott und Vaterland,

Dein Bildniß, Kronprinz, ruht an meinem Busen,
Schon mancher Kuß hat heiß auf ihm gebrannt!
Mein junges Herz, es schmilzt wie weiche Butter.
Gedenk ich Deiner träumend beim Diktat,

Ach, einstmals werd' ich als Soldatenmutter
Dir lohnen Deine edle Ehrenthat.

Es wird Dir niemals an Soldaten fehlen,

Ziehst Du als Kaiser einst in Kampf und Streit.
Auf Zwölfe kannst Du sicher von mir zählen,
— Was thut ein Mädchen nicht aus

Dankbarkeit!

Kartellen

Genealogisches

Dr. Stephan Kekule von Stradonitz weist
im „Berliner Tageblatt" nach, daß unser Kaiser
nicht bloß Karl den Großen, die heilige Elisabeth,
den Amiral Coligny und Maria Stuart unter
seinen Ahnen hat, sondern auch den Helden
Cid Campeador.

Wie wir hören, ist der große Historiker ge-
genwärtig damit beschäftigt, den Stammbaum des
Kaisers auch noch weiter zurückzuführen auf Co-
lumbus, Michelangelo, Herrmann den Cherusker,
Julius Cäsar, Kleopatra, Alexander den Großen,
Themistokles, Zeuxis, Praxiteles, Leonidas, Ho-
mer, Agamemnon, Achilleus, König Salomo und
die Königin von Saba.

Bei diesen Forschungen ist Herr Kekule von
Stradonitz darauf gekommen, daß er selbst aus
einer uralten Familie stammt, die schon am Hofe
von Byzanz eine große Rolle spielte.

—a—

Berliner Leben

„Junge, wat machst de delln da?"

„Laß man; ick winsche det Aas bloß'n jutes,
jlickliches Neujahr."

53

Salome

(Mit Zeichnung von A. Münzer)

Ich habe jüngst im Münchner Schauspielhaust
Die „Salome" geseh'n von Oskar Wilde«
Zu tiefst erschüttert, wie dies Weib, dies graust
Am Schlüsse jäh die Nemesis ereilt. —
Und lieb' ich sonst auch minder in der Dichte
Die psychopathisch-sexuelle Richtung,

Mein Beifall war doch stark und ungethch!

wie stimmungsvoll stieg bis zu den Soffiten
Der blaue Sternenhimmel hoch empor!

Ein gelber Vollmond in des Himmels Minen
Beleuchtete ein pittoreskes Thor —

Und Alle, die ihn sah'n, den Mond, den gelbe,i.
Die hielten schone Reden an denselben -
Mir kamen sie ein wenig länglich vor!

Dann trat Ln dem besagten Mondenglaste,
Den sie sofort besprach auch ihrerseits,
Die Jungfer Salome aus dem palaste
Mit wenig Kleidern, aber vielem Reiz,
Mit einem Stich ins vemivierZe-perverfe
Und plapperte im Stil der Blbelverse
Von allerhand mit tändelndem Gespreiz.

Als unten tief im Brunnen dann Johannes
Die warnerstimme dumpf ertönen ließ,
Entflammte sie der Bariton des Mannes,
So daß sie ihn sofort sich holen h eß.
Bleich stieg er aus dem Brunnen und asketische
Doch auf die Jungfrau wirkte er magnetch
Die förmlich mannstoll sich alsbald erwies.

Erst wollte sie den weißen Leib ihm streicheln
Dann kosen mit dem ungekämmten Haar,
Dann einen Kuß von seinem Mund

erschmeicheln.

Und was ihr sonst erstrebenswert!) noch lM
Doch kühl und grob ward ihr von dem

ProphM

Die Gunst verweigert, die sie sich erberen,
wodurch sie sehr gereizt ward offenbar.

Ich meinerseits, ich kann es kaum begreifen,
Daß er ihr die Gefälligkeit versagt —

Ich hätt' mich küssen lassen, oder kneifen
Von dieser Maid, so lang' es ihr behalt;
Iedoch Iohannes war zu fromm und heMS
Und er verfügte darum gegentheilig —
Und hiermit hat er seinen Kopf gewagt!

Es folgte jetzt mit Fackeln und mit M
Herodes seiner Nichte auf dem Fuß 7 <

war er meschugge oder nicht mehr mictji
Auf jeden Fall betrug er sich konfus!
Drum bat er auch inmitten seiner ^azr
Die Salome, ihm Etwas vorzutanzen ^
Und sprach: „Begehre, was Du wm,

*) Sprich: Uueild!

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Index
[nicht signierter Beitrag]: Eine neue Anthologie
Frido: Die feindlichen Brüder
-a-: Genealogisches
Karlchen: Mein Ideal
Biedermeier mit ei: Salome
Monogrammist Frosch: Berliner Leben
Monogrammist Frosch: Auch eine Salome
 
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