Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 5

JUGEND

1904

Weihnacht

Bon seinem Heimatgrunde losgerissen
Steht der geschmückte Tannenbaum vor Dir,
Und wird für Dich zu Grunde gehen müssen
In seines Schmucks und seiner Lichter Zier.

Denn wieviel Seligkeit Du auch empfunden
In seines Glanzes märchenhafter Pracht —-
Bergessen wirst Du ihn nach wenig Stunden
Und schleudern ihn zurück in seine Nacht,

Wie Du ein Herz geworfen zu den Toten,
Das, losgelöst von seinem Heimatherd,

Dir auch sein Schönstes, Süßestes geboten
Und sich in Flammenpracht für Dich verzehrt!

Denkst Du daran? Es zischen und es knistern
Die Lichter leis an Deinem Weihnachtsbaum

Wie Geister, die von alter Liebe flüstern-

Steigt Dir im Herzen auf ein Weihnachtstraum?..

A. I>e Xora

Da$$ die Glocken lustig läuten

(Lettisches Volkslied, deutsch von Frieda Neumann)

Lächerlich! Ich muß mich schämen:

Wurde müde heut mein Füllen!*)

Hab' ich denn nicht Geld im Beutel,

Neue Pferde mir zu kaufen?

Sagt, was soll das Geld mir liegen,

Soll es rosten, soll es schimmeln?

Lieber kauf' ich mir ein Füllen,

Braun, mit langer, schwarzer Mähne.

Kauf mir neuen Zaum und Zügel,

Kaufe kleine Silberglocken,

Daß die Glocken lustig tönen,

Wenn ich durch das Dunkel fahre —

Daß die Glocken lustig tönen,

Wenn ich durch das Duukel fahre,

Und die Liebste schon von Weitem
Hört die silberhellen Glocken!

*) Füllen (kumelingsch) nennt der Lette jedes Lieb-
linqspferd.

falkenNug \n Döthen

von Roda Roda

Herr vr. Andreas Pajor ging also nach Hause

— immer mit dem Gedanken beschäftigt — wer dieser
„Mucki" nur sein konnte. Im Geiste nahm er eine
Defilirung der Garnison vor und versuchte, unter
den Offizieren seiner Bekanntschaft den niedlichsten
herauszufinden, einen, den er, wenn er ein Weib
wäre, „Maust" nennen würde.

Ein Offizier mußte es ja sein. Im Brief war

von einer Ausrückung die Rede.-Oder-

hat man sich eitlen schlechten Spaß mit ihm erlaubt
und „Mausi" existirte gar nicht? Immerhin — den
peinlichen Versuch, der Sache auf den Grund zu

gehen, wird er wagen.-„Mausi"! Der Name

klingt nicht allzu rabiat. —

Als Herr Dr. Pajor in das Vorzimmer seiner
Wohnung trat und die Offizierskappe auf dem
Kleiderrechen erblickte, gab's ihm doch einen Stich.

— „Pepi, wer ist drinnen?" fragte er das Mädchen.
Sie lächelte unverschämt und mitleidig. „Der

Herr Leutnant Falkenflug."

„So! Also der! Gott sei Dank, nur der! der
ungelenke Schwabe!"

Dy. Pajor rückte die Weste hinunter, blickte ein-
mal martialisch in den Spiegel und — riß die Thü

— die Thüre auf, ganz bleich vor Erregung. —
„Sie! — Das ist unglaublich!" schrie er. Als

Frau Mari stumm blieb und Falkenflug noch
stummer: „Das ist geradezu gemein!"

Oberst Cibula hörte davon am Abend im Bürger-
kasino erzählen. Zuerst kancks ihm sehr amüsant
vor. „Verfluchter Schwabe!" — dachte er. Aber
bald versank er in Nachdenken. Die Affaire war
eigentlich gar nicht so einfach--

„Also darum! Also darum!" ging's ihm immerzu
durch den Kopf, als sein Schatten auf dem mond-
übergossenen Asphalt rhythmisch vor ihm hertanzte.

Nervös erwartete er am nächsten Tag den Ad-
jutanten zum Referat. Er unterschrieb hastig die
täglichen Eingaben, nur um — möglichst gleich-
giltig — hervorsprudeln zu können: „Sonst noch
etwas?"

„Jawohl, Herr Oberst, — Herr Leutnant Falken-
flug -"

„Herein mit ihm!"-Er schnallte den Säbel

um und schon klirrte Falkenflug ins Zimmer, un-
gewöhnlich roth, ganz ungewöhnlich roth — und

meldete gehorsamst-den-Vorfall — mit

Dr. Andreas Pajor, Sekretär der Handelskammer.

- Nothdürftig und dürftig, denn ein Redner...
Falkenflug, weiß Gott, nie gewesen. ttt

Oberft Cibula zwang sich zur Ruhe. ,Erk>«.
^hnen also gesagt. Sw seien gemein, Herr Leutnant"«
„Er hat gesagt: .Das ist gemein!' — gchtch,
Ganz sicher weiß ich's nicht. Ich war
flug suchte mühsam nach einem Ausdruck.

„Na, — gleichgültig!" brach der Oberst tun „r,

„Set es wie immer gewesen!-Was haben ^

gethan?!"

Fallenflug zog die Stirn in Falten und f*nut„

SU Boden - denn-er hatte nichts gethan'

Eine Weile blieb es still. Dann wandte A
Oberst Cibula herum und klingelte einmal %
Gegenwart des Adjutanten befahl er: „HenLeut-
itaiit, Sie werden mir binnen 24 Stunden melden
was Sie nachträglich veranlaßt haben."

*

Falkenflug bewohnte eine weißgetünchte Stube
in der letzten Gasse, die wahrhaftig nicht darnach
angethan war, soviele Gäste zu empfangen. Es
war ein ewiges Kommen und Gehen. Selbst Ritt-
meister Graf Bülen ließ sich die Mühe nicht ver-
drießen — und das will etwas heißen.

„Also, mein lieber Freund, da bleibt Dir nichts
übrig — Du mußt den Menschen durchwichsen."

Falkenflug schüttelte störrisch den Quadratfchädel.

„Ich begreife Dich wirklich nicht! Spiel doch
nicht mit Deiner Carriere. Du mußt bedenken -
schon aus Kameradschaft — das ganze Regiment ist
in Deiner Person beleidigt."

„Ich thu's nicht!" stöhnte Falkenflug.

„Ja, aber warum nicht, um Himmelswillen?"

Falkenflug sprang auf und rief, als wälze er
sich eine Zentnerlast von der Brust, indem er zum
ersten Mal seine Meinung sagte: „Ja, ich sehe ein,
es ist eine Schande für Alle. Aber, wenn ich gleich
Charge ablegen müßte, Herr Rittmeister, ich thu's
nicht. Warum? Weil, wenn Frau Mari meine
Frau wäre, und ich fände deit Pajor bei ihr oder
einen anderen Unbekattnten — ich — ich —"

„Davon ist keine Rede! Das ist ja selbstverständ-
lich! Hier handelt es sich nicht mehr darum. Hier
liegt ein Befehl des Obersten vor."

„Wenn der Herr Oberst will, daß ich dem Pajor
glatt den Kopf abschlag, — da bin ich Soldat und
muß gehorchen. — In einer halben Stunde bring'
ich ihm den Kopf. Aber zur Reinigung meiner
Ehre, rupf ich dem Pajor kein Haar aus. Das
gibt's nicht."

Graf Bülen stand auf und zuckte die Achseln.
„Du bist ein eigensinniger Schwad! Dir ist nicht
zu helfen."


5

84
Register
Joseph Wackerle: Die Hochzeitsreise
Roda Roda: Falkenflug in Nöthen
A. De Nora: Weihnacht
Frieda Neumann: Dass die Glocken lustig läuten
 
Annotationen