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Nr. 5

JUGEND

1904

A. v. Kubinyi

Makertypen: Der Stilist, der für Napoleon schwärmt und Thee trinkt.

„Nein — schau, Herr Rittmeister, sei nicht bös-
es — es — geht nicht."

Am Nachmittag brachte dann die Ordonnanz aus
der Negimentskanzlei ein Dienststück.

Falkenflug setzte zitternd seinen Paraphe in das
Zustellungsbuch und las:

Reservat. Ehrenräthlicher Ausschuß.

Dien stze ttel.

Erdut, am 11. Feber 1902.

Ew. Wohlgeboren haben aus Anlaß der seitens
des Regiments-Commandos angeordneten ehren-
rüthlichen Vorerhebungen Morgen, am 12. d. M.,
10 Uhr 30 Min. Vormittags im Bibliothekszimmer
des Menagelokales zu erscheinen. Adjustierung:
kommode.

von Welikowski, Major.

Wundern — nein, wundern durste sich Falken-
flug nicht darüber. Es hatte ja nicht anders kommen
tonnen!

Einen Augenblick lang dachte er an's Erschießen.
— Wenn er so erwog, wie lustig er noch vorgestern
gewesen — Frau Mari hatte ihm mit ihrem Batist-
taschentuch die Rock-Knöpfe geputzt und war ihm
dabei immer an die Nase gefahren — und Keines
hätte auch nur geahnt-

Zum ersten Mal kam ihm das Verlangen, zu
wissen, was eigentlich mit ihr geschehen sei. Ob sich
die Pajors scheiden lassen werden? Immerhin —
sie wird nach wie vor Frau Mari bleiben. Ihm
aber — ihm wird der ehrenräthliche Ausschuß die
Ulanka auslnöpfen!

Und vor einem Abgrund, der nicht weniger tief
war, stand auch Oberst Cibula. Kein Zweifel —
er wird pensioniert werden, wenn es erst so weit
ist.

Sein Leben lang lernen, buckerln, kuschen, sich
Plagen, — durch alle Fallstricke der Manöver,
Kriegsspiele, Qualifikationslisten durchwinden und
dann so plötzlich über ein so kleines Steinchen
straucheln — zu dumm! —

Zu dumm, und doch verzeihlich. Wenn Einem
auch die Jahre ihr Stammblatt irsts Gesicht ge-
schrieben haben — man bleibt Soldat und jung

genug, um das herausfordernde Lächeln einer Frau
zu quittiren.

„Herr Leutnant Külnah," meldet Martin.

Kälnah tritt ein. „Herr Oberst, ich bitte gehor-
samst um eine private Unterredung."

„Nehmen Sie Platz."

Kälnay rührt sich nicht. „Es ist dem Herrn
Obersten wohl bekannt, daß ich eines der vier Mit-
glieder des ehrenräthlichen Ausschusses bin. Ich
bitte gehorsamst mit Enthebung von dieser Stelle."

Oberst Cibula schaut den Sprecher groß an.
Dann aber geht ihm ein Licht auf: — Ah, Du
auch! —

Als er der Kanzlei zuschreitet, um in der Vor-
schrift nachzulesen, was da zu thun sei, trifft er auf
den Grafen Bülen.

„Schöne Geschichte das," schmettert der Rittmeister.
„Jetzt kann ich, statt mich als Mitglied des Aus-
schusses nobel hinzusetzen und Cigarren zu rauchen,
zwanzig Mal in Paradehosen Zeugenaussagen
machen!"

„Zeugenaussagen, Bülen?"

„Ja, ja, Herr Oberst. Die alten Herren haben
leicht lachen." Und schon steigt er auf seinen Fuchs
und reitet davon.

„Geben Sie mir das Dienstbuch A—46."

„Herr Oberst, ich melde gehorsamst, das hat
Oberleutnant Baron Zimmer entliehen," erwidert
der Adjutant.

„Braucht denn der es so nothwendig?"

„Er — er — hat — morgen Sitzung."

„Zimmer? Der ist doch meines Wissens nur
Ersatzmann?"

„Jawohl, Herr Oberst, aber da ich in der Sache
ein wenig voreingenommen bin, oder — wie —
ich mich sonst ausdrücken soll-"

„Es ist gut! Es ist gut!" ruft Oberst Cibula
und läuft durcksts Zimmer. Ihm wirbelt der Kopf.
Diese Mari! Diese Mari! —

Da streckt Major Welikowski fragend den Schädel
in die Thürspalte. „Erlaubt — Herr Oberst?"

„Wie gerufen, Welikowski! Ich muß Dir ganz
sonderbare Sachen bekannt geben. Aber zuerst zu
Deiner Angelegenheit. Was wünschst Du?"


„Acht Wochen Urlaub, Herr Oberst."

„Urlaub! Entschuldige, lieber Freuud, muß bns
gerade jetzt sein? Du weißt doch, es ist dieMoü-
mit der Frau Mari anhängig-"

„Eben darum!" meint der Major, und
sich auf die Lippen. e^t

Ob nun die Vorerhebungen noch andauern oder
nicht — darin kennt sich eigentlich kein Mensch aus
Es sind fast zwei Jahre seitdem vergangen, Falken-
flug macht Dienst und wartet. Wie gespannt er
auf das Kommende ist, kann man sich denken. Fm
November ist er an der Tour zum Oberleutnant
Wird er ernannt, so ist das ein Zeichen, daß die
Untersuchung eingestellt ist.

6in Httentat

Hofben'cht der „Jugend"

Mottenburg, 6. I. 04.

Seine fürstliche Durchlaucht Prinz Edu-
ard, der jüngst geborne erste Sohn unseres Herrschet
Seiner Durchlaucht des Fürsten Joachim, zeigte heute
Nacht eine auffallende Indisposition, welche sofort die
Allerhöchste Besorgniß Ihrer Durchlaucht der Frau
Fürstin erregte und Höchstdieselbe veranlaßt. un-
verzüglich den Leibarzt Seiner Durchlaucht, Ge-
heimen Obermedicinalrath Dr. v. Gscheid-
huber rufen zu lassen. Die im Beisein Ihrer Durch-
laucht vorgenommene Untersuchung ergab, daß Se.
Durchlaucht der Erbprinz mehrere guaddelsörmige
Eruptionen mit entzündetem Hofe an Allerhöchst
Seinem Unterleibe und Hohen Unterschenkeln auf-
wies, welche, wie ein Consilium, bestehend aus dem
Spezialarzt für Hautkrankheiten Prof. Dr.
Rumhupfer und dem berühmten Kinder-
kliniker unsrer Hochschule Prof. Dr. Bäh,
ergab, durch den Biß eines giftigen Thieres hervor-
gerufen worden waren. Den: nunmehr zugezogenen
Oberlaudesthierarzt Hofrath Roßschinder
gelang es sodann, des Thieres habhaft zu werden,
wobei nicht unerwähnt bleiben möge, daß auch Ihre
Durchlaucht die Frau Fürstin selbst sich mit hero-
ischem Mutbe und Allerhöchsteigenen Fin-
gern an der Festnahme der wüthend um sich sprin-
genden Bestie betheiligte. Se. Durchlaucht Erbprinz
Eduard haben die Untersuchung und Operation aus-
gezeichnet Überstunden und befinden sich nun wieder
den Umständen entsprechend, wohl.

Mottenburg, 7. I. 04.

Die im zoologischen Institut unserer Univer-
sität vorgenommene Untersuchung durch Geheim-
rath Prof. v. Schnüffler ergab, daß es sich bei
denr gestern verhafteten Raubthiere um den soge-
nannten Du lex irritanZ gehandelt hat.

Mottenburg, 8. I- 04.

Ueber die Frage wie Se. Durchlaucht Erbprinz
Eduard zu dem schon gemeldeten Mordanfalle ge-
kommen ist, wird zur Zeit eine eingehende Unter-
suchung gepflogen. Es soll sich um ein mit raj-
finirter Bosheit ins Werk gesetztes Atten-
tat handeln, an welchem besonders die Amme
Sr. Durchlaucht betheiligt sein soll. Sie soll nament-
lich das Thier in ihren eigenen.Kleidern eingeschmug-
gelt und dasselbe, als Se. Durchlaucht geruhten,
Nahrung zu nehmen, heimlich auf Allerhöchstoen-
felben losgelassen haben! Dieser Verdacht ist um
so begründeter als ein Onkel dieser Perjon
nachweisbar bei den heurigen Reichstags
wählen sozialdemokratisch gewählt hati..-
und als sie selbst bei der durch das hohe Medizinal
collegium bethätigten Festnahme des Atteittater^ u
üecher Weise gelacht haben soll. (!), Hoffentlich er -
geht dieselbe nicht einer wohlverdienten, exempta -

Ischen Bestrafung. Wir freuen uns übngenv kom
ßatiren zu können, daß sie nicht, aus unserem, i,
)ern aus dem benachbarten Fürstenthum Nott
bürg stammt, sodaß wir also wenigstens die -
ingthuung besitzen, kein Landeskrnd rn o.i
.uchlose Angelegenheit vernvickelt zu um
en! Se. Durchlaucht Fürst Joachim,hol dmn aM
ofort als er dies erfuhr, das Ministerium i
Kirchen- und Schulangelegenhetten angewwten, ^
ür zu sorgen, daß künftighin Zu Allerhöchst Se
ttmmendienst nur mehr Jungfrauen m ,
.-es Vaterlandes Verwendung stnden. ^
'dle Zug zeigt wieder so recht das n^nne!

Herz unseres Herrschers, den Gott erhalten

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Index
Alexander (Sandor) v. Kubinyi: Malertypen
A. De Nora: Ein Attentat
 
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