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R. Engels

(Stfteffel „frau fluentiure“)

»,.. Die alle freundin geistert auf den Straßen
Und all mein Sehnen schwingt stch irrfahrtwärts

Briefe, die ich nie geschrieben

An den Herrn Regierungsrath N. N,

p. P.

Beinahe hätte ich geschrieben: Lieber Karl! in Erinnerung an bte ©eiten
wo wir zusammen den Homer präparirten und der Herr Regierungsrath, wie
ich, noch ein Lausbub waren. Du — nein, Sic! Sie unterschieden sich
Fleiß und Streben allerdings beträchtlich von uns Rangen. Primus omniiitn
bis zum Abitur, I mit Stern im Examen und I mit weiß Gott was im Staats-
eoncurs! Und Sie waren der Liebling aller Lehrer bis^auf den einen wun-
derlichen alten (Ordinarius, der Ihnen einmal ins Zeuguiß schrieb: Be-
tragen I. Und mit Bleistift fein darunter: Lharakter IV.

warum ich das jetzt auskrame, wo wir Beide schon wieder erwachsende
Buben in's Gymnasium schicken und anfangen, Glatzen zu bekommen? —
wegen der Begegnung von gestern Mittag auf dem Residenzplatz. Er wim-
melte freilich von Menschen, hoch- und wohlgeboren, sogar etlichen mit dem
Prädikat Exeellenz. Und da mußte ich mit dem guten Heiner B. dem Herrn
Regierungsrath in die Euere kommen, der seinen schönen, neuen Pelzmantel
an hatte und sicher direkt aus dem Vorzimmer eines großen Herrn kam.
Und der lange Heiner, der seit vierundzwanzig Jahren in der Provinz hev
umfährt, voll Freude, den alten Schulkameraden in solchen: Glanz des Wohl-
standes zu sehen, läuft über die Straße, streckt dem Herrn Regierungsrath die
dicke, rothe, unbehandschuhte Pfote entgegen, grinst vor Freude über's ganze
Gesicht und brüllt: Grüß Gott, Karl! Er sieht freilich ein wenig ruppig aus
mit seinen zu kurzen Hosen, den: zu engen Ueberzieher und dein vorvorjähr-
igen Filzhut. Der Herr Regierungsrath ziehen die Nase kraus, übersehen
die dargebotcne Hand und stottern: „21 freut mich, — hätte Sie fast nicht,
erkannt I" Und hast Du nicht gesehen, sind der Herr davon! Geflüchtet! Direkt
geflüchtet. Ls war aber auch zu feines Publikum rings umher. Der arme
Heinerl Ihm that's weh! Mir auch! Für einen etwas schäbigen Lharakter
habe ich Sie nämlich immer gehalten, jetzt aber, Herr Regierungsrath, fiel's
mir wie Schuppen von den 2Iugen und ich wußte es; Sie sind ein — aber
davon später! Sie haben das ganze Leben von Serta an blos unter dem
Gesichtswinkel der Larriere angesehen, Ihr ganzes Fühlen, Lieben und hassen.
Neiden und Streben, wollen und hoffen, hat sich nur darauf bezogen. Sie
haben in Ihrer Studentenzeit genau so weiter gebüffelt und gepetzt, wie auf
dem Gymnasium, nie jung, nie frisch, nie froh, nie frei! Sie zechten nie — aus
Angst, man könne Ihnen anderntags Ihr Haarweh ausehcn, Sie küßten nicht

— aus Angst, irgendwo „hängen zu bleiben", wo Nichts für die Zukunft
M-aussprang. Aber auf allen offiziellen Bällen waren Sie und hielten Um-
schau unter den Töchtern der Vorgesetzten, tanzten mit angcwelktcn Miuistenal-
rathsmädchen Walzer und mit voluminösen präsidentensgattinnen die Frau-
gaise. Und einer solchen Mutter Rind, steif, derb und bildhäßlich, wurde
dann auch Ibre Frau. Ich weiß, daß Sie in unvorsichtiger Stunde einst ge-
spottet hatten, sie sehe aus, wie eine Röchin. Und ein paar Jahre später
bciratheten sie das Mädel doch, obwohl es nicht jünger^ und nicht feiner und
nicht hübscher geworden war seitdem. Ich weiß, daß Sie — immer corrckt!

— Ihren weg über Leichen aeqangen sind, daß Ihr Rücken der krümmste ist
im Königreich und Ihr Ton der gröbste, oder jedenfalls der kälteste, gegen
Untergebene. Ich weiß, daß Sie Ihre Gesinnung verkaufen, wenn Sie auch
in der angenehmen Lage sind, niit nur Einem Abnehmer rechnen zu müssen,
Ihrem Minister. Sie laufen in die Kirche, weil inan das jetzt gerne sieht

— unter Ihrem früheren Lhef brüsteten Sie sich als Freigeist. 2llles t|t, wie
es nach oben günstig wirken niuß: Ihr Rockschnitt und Ihre biedercu doxxel-
sohligen Stiefel, Ihr Bart, Ihre politische Meinung, Ihr Küchenzettel, Ihre
Frau und Ihr Verkehr. Und daruin erinnerten Sie sich heute auch nicht
an das Gesicht unseres guten, ordinär anssehenden Heiner und sagten „Sie!"
zu ihm. Zn demselben Heiner, der einst zwei lange pfingstfeiertage für eine
Niedertracht, die Sie verübt haben, im Karzer saß und Sie nicht verrieth, um
Ihre schöne Betragensnote nicht zu verderben.

wahrhaftig: dieses eine „Sie" wiegt reichlich Leistungen auf, die eiucn

arnicn Teufel in's Zuchthaus bringen würden!
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Ergebenst

N. N.

An Tante Aurelie

Liebe Frau Tante!

„Frau Geheimrath Aurelie v. Z. hat in hochherzigster Weise ihr ganzes
vermögen dein unter dem allerhöchsten Protektorate der Frau Prinzessin Helene
stehenden St. Ursula-Stift vermacht und sich nur für Lebenszeit die Zinsen
Vorbehalten, so stand vor acht Tagen in der Aeitung zu lesen. And heute
Morgen: „S. M. der Aönig hat der verwittweten Geheimräthin Frau 2Ju'
xetic v. Z., deren frommer und wohlthätiger Sinn rühmlichst bekannt ist, das

Na, was Ihre Hochherzigkeit und Ihren wohlthätigen Sinn betrifft, so
habe ich darüber, seit unser kleiner Vetter Max von den Husaren wegen seiner
Schulden sich erschoß, meine eigene Ansicht. Sie hatten ihn Tags vorher in
längerer, fruchtloser Audienz empfangen. Ich weiß auch, daß jenes hochherzige
Legat auf den Onkel Franz mit seinen sechs Mädels kaum einen sehr erheben-
ceil Eindruck macht und auf etliche andere arme verwandte iioch weniger.
Jene Hochherzigkeit kostet Sie feinen Heller, denn Ihre Pfandbriefe und (M*
Register
[nicht signierter Beitrag]: Briefe, die ich nie geschrieben
Robert Engels: Frau Aventiure
 
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