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JUGEND


Berlichingen-Marsch

Z» Ehre» des bekannten Anti-Luther-Jesurten Berlichingen hat ein ultramontaner begeisterter Musikus sogar einen

Marsch komponirt, dessen Noten wahrscheinlich obige Gestalt besitzen!

Streiflichter der „Jugend"

Ein Gymnasial-Oberlehrer, der gegen unser
heutiges Gymnasium wettert,— Hui ab! Oder wa-
rum kommt unsere Gymnasialreform trotz aller Pro-
teste und Vorschläge und Beschlüsse keinen Schritt
vorwärts? Weil in allen Behörden und Bersamm-
[unqen, die das entscheidende Wort zu sprechen ha-
bender Gymnasiallehrer die erste Gerge spielt. Was
helfen da die schönsten Kaiserworte und die besten
ministeriellen Verfügungen, solange man immer und
immer wieder den Bock zum Gärtner macht? Herr
vr. Ludwig Gurlitt hat daher ein gutes Werk
qethan, ajs er seine Broschüre „Der Deutsche und
sein Vaterland" veröffentlichte. Nicht etwa daß
ich glaubte, daß er die Mehrzahl seiner Collegen zu
seiner Ansicht bekehren würde. O nein! Der echte
Philologe ist so fest davon überzeugt, daß die latein-
ischen Genusregeln und die verba auf tu die Quint-
essenz des klassischen Geistes darstellen, daß er über
Gurlitts „englische Erziehungsphantasmen" mitleidig
lächeln wird. Turnerei uno Spiel als ernste Con-
currenten des Lateinischen und des Griechischen —
lächerlich! — Daß die Griechen auch ihre Palästra
hatten,,thut nichts zur Sache. Und daß die Griechen
nicht die babylonischen und ägyptischen Gesetze aus-
wendig lernten, sondern die von Solon und Klei-
nes, erklärt sich lediglich aus ihrem Mangel an
histonschem Sinn. Wir aber haben das klassische
Zdeal! O wenn ich das Wort höre, möchte ich mrr
jedesmal den Besen des Herakles borgen, um die
nach derAusmistung des Augiasstalles nothwendigste
ärdeit zu thun: — die Säuberung unsers Gymna-
Ms von,philologischer Engbrüstigkeit und philo-
Mllcher Sllbenstecherei! Wo steckt denn dieses klassi-
l^ Nea!? 'Etwa in den grammatischen Exercitien
und dem Auswendiglernen der seltensten und un-

gebräuchlichsten Vokabeln? Ich erinnere mich noch
gut, wie ich als elfjähriger Zunge unter den Aus-
nahmen der Genusregel ligo „der Schwibbogen"
auswendig lernen mußte. Ich weiß aber auch, daß
mein Lehrer so wenig wie ich wußte, was ein Schwib-
bogen sei. und wie das Ding ungefähr aussehen
möchte, und so verfolgte mich dann von Klaffe zu
Klaffe bis hinauf in die Prima das unbekannte Un-
geheuer ,,ligo, der Schwibbogen", und lange bevor
ich von dem Kantischen „Ding an sich" hörte, glaubte
ich demüthig, daß es Worte gäbe, die nur dazu da
seien, daß man sich nichts hinter ihnen denke! Und
das nennt man dann das klassische Ideal oder die
Einführung in den Geist des alten Griechenthums l
Ja, zum Donnerwetter! Hatten denn die alten Grie-
chen keine Architektur? Und gab es unter den Rö-
mern keinen Vitruv, der den Herrn Gymnasial-
professor mit wenigen Worten darüber belehrt hätte,
was ein Schwibbogen sei? Aber nein! Wir wollen
ja nur in den Geist des Allerthums eindringen,
nicht in die grob-materielle antike Welt, wie sie dem
Laien in den erhaltenen Kunstdenkmälern sinnen-
fällig und aufdringlich entgegentritt! Darum lesen
wir auch nicht den ganzen Homer, den ganzen
Sophokles oder den ganzen Thukydides, schon aus
dem Grunde, weil wir diese Schriftsteller, um zur
rechten Zeit mit ihnen fertig zu werden, nur in deut-
scher Übersetzung genießen könnten; nein, wir buch-
tabiren, interpretiren, eollationiren und emendiren
o und so viel Zeilen von einem jeden und knüpfen
daran allerhano erbauliche grammatische Betracht-
ungen und Exerzitien, gleich als wenn ein Kunst-
historiker einen gothischen Dom nur dazu benützte,
um seinen Schülern einen Vortrag über die beste
Zubereitung des Mörtels zu halten. Und das nen-
nen wirDeutschen dann stolz unsere klassische Bildung!

Philologus

Gaffer Wilhelm II. hat bekanntlich den deutschen
Männergesangvereinen die Ehrenpflicht zuertheilt,
das deutsche Volkslied aus seinem Dornröschen-
schlafe zu erwecken. Er hat damit einer Sehnsucht
Ausdruck gegeben, die gar viele Musikfreunde beseelt.
Aber mir scheint, er hat die Aufgabe nicht denen
gestellt, die zu ihrer Lösung berufen sind. Wie ent-
steht ein echtes Volkslied? — Niemand weiß,
woher es kommt, es geht von Mund zu Munde,
wer es einmal gehört, vergißt es nie wieder: schlicht
und ungekünstelt klingt es, gleichsam stets von neuem
improvisirt. — Ist es nicht schon ein Widerspruch in
sich, ein solches Lied vierstimmig zu singen? Ver-
liert es nicht gerade dadurch seinen Charakter als
Volkslied? — Das Volk ist kein Hoflieferant, es
läßt sich keine Kunstrichtung vorschreiben. Und wenn
es jetzt statt der alten, innigen Volkslieder burleske
Couplets singt, so hat diese an und für sich be-
dauernswerthe Erscheinung tiefere Ursachen, an denen
alle Männergesangvereine Deutschlands durch ihren
Gesang nichts ändern werden. — Aber vielleicht
wünschte der Kaiser nur, daß der Schatz nicht ver-
loren ginge, daß die Volkslieder nicht vergessen
würden. Dieses Ziel aber läßt sich auf eine ganz
andere, bessere Weise erreichen. Singt das Volks-
lied in der Schule. Singt dort weniger „Sang
an Aegir" und „Hänschen klein, geht allein."
Lehrt in der Schule: „In einem kühlen Grunde",
„Wie ist es möglich dann" — aber, wehe! Da
kommt ja ein,,Schätzlein" drin vor, und in den
beiden Königskmdern, die so innig lieben, wie eine
Feldwebelstochter, kommt gar eine „falsche Nonne"
vor. Um Gotteswillen! So etwas soll öffentlich
gesungen werden? —

Merkt Ihr was. weshalb das Volkslied
ausstirbt-?? K ^

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Mundhygienische Trilogie.

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Register
K. E.: Kaiser Wilhelm II. hat bekanntlich...
Monogrammist Frosch: Berlichingen-Marsch
Philologus: Streiflichter der "Jugend"
 
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