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Nr. 25

JUGEND

1904

[904

Referend der angrenze!rden Coucurrenzgemeinde
ausnehmend viel Prügel bekommen, weil er mich
bei Werbungs-Versuchen antraf. Cr nannte das
Seelendiebstahl. Cs ist natürlich nur Brotneid,
denn diese Leute haben nur 82 Mitglieder und
können sich gar nicht mit uns messen.

5. I a n u a r

Cin schrecklicher Umschwung hat stattgefunden.
Cin ganz nichtsnutziges Individuum ist hier an-
gekommen und hat im Cafe Washington von der
Zeit William George's von vor den zehn Jahren
erzählt — an die er sich nicht mehr erinnert. —
Alle unsere Mitglieder sind zur Nachbargemeinde
gegangen. Alle t97, soviel waren es schon. William
George, Mary Anne und ich sind übrig geblieben,
klebrig bleibt uns jetzt nur der nächste Zug nach
Stau hop, wo ein Mann lebt, der William George's
Vetter und Pferdehändler ist.

t0. Januar

Cs war die beste Idee, die ich je gehabt habe,
im letzten Augenblick in den fälschet! Zug zu
steiget!. Ich hoffe, ich sehe williain George und
Mary Anne niemals wieder. Ich muß noch lachen,
wenn ich an ihr Gesicht denke, als sie tnich in
dem Cxpreßzug nach Newhaven verschwinden sah.
Sie war kein Geschöpf von der Sorte, die es ver-
steht. einen Mann glücklich und zufrieden zu machet!.
Sie verstand rein Nichts davot!. —

25. Januar

Die Nächte sind immer recht dunkel jetzt und
went! die Clektricitätswerke nicht tnit der Gas-
anstalt concurrieren würden, so könnte tnan aus
Romulus Arminius Meyer's Whiskyschank kauin
nach Bause finden. Ich hatte eilte Idee tu der
letztet! Woche. Nun tnache ich viel Geld — aller-
dings muß ich auch viel arbeiten und meine Zeit
eintheilen. Bei Tage habe ich Nichts zu thun.
Der Clektricitätsdirektor bildet sich ein, ich könnte
es nur Nachts besorgen. Ich habe zwischen zwölf
uttd zwei Uhr soviel Auerstrütnpfe an privaten
uttd öffentlichen Laternen zu zerbrechen, als mög-
lich. Cr zahlt 20 Cents für's Stück. Das ist
aber nicht alles. Zwischen zwei uub vier ist's
auch noch dunkel und da bin ich iteulich zum
Cngineer von der Gasfabrik gegangen, um unter
vier Augen mit ihm zu reden.

Als ich ihn verließ, hatte ich eine Isolier-
scheere in der Tasche, ganz geeignet, auch stärkere
Drähte abzuzwicken. Ich habe verstanden, daß
er einen Dollar für jede Störung in den elek-
trischen Anlagen zahlen will, wenn ich jetzt
zwischen \2 und 2 für ben Clektricitätsdirektor
und zwischen 2 und 4 für den
Gasdirektor ehrlich und fleißig
arbeite, sehe ich nicht ein, warum
ich mein Auskommen nicht finden
sollte.

von Polizei und dergleichen. Ich bin nicht der Mann
dafür, um mich ewig mit den Leuten zu streiten,
und werde lieber abreisen, als inein Recht bei
Gericht zu suchen. Die Advokaten sind hier zu
theuer. Ich erinnere mich gut daran, daß in
Curopa etit Advokat froh sein muß, wenn er aus
einer feindurchdachten, treffenden Chrenbeleidig-
ung pro Kopf J50 Mark Crpensen machen will
— und dann muß er ein fleißiger Mann sein.
Pier hat neulich der Dr. Iosua ITT. Blackdevil den
Greisler in der zweiten Avenue, an der Ccke des
Nansenplatzes wegen eines einzigen Schafskopfes
zur Auswanderung noch vor Beendigung des
Prozesses getrieben. Und das Geschäft ging gut.
Nicht nach der Avenue hinaus, aber hinten her-
aus — wo der Greisler einen schwunghaften
Bändel mit Brandy und Whisky betrieb. Cs
wohnen viele Temperenzler und Vegetarier in
diesein Stadttheil.

3. März

Blackhurst. Ich bin seit 8 Tagen hier. Unter-
wegs in der Bahn hatte ich einen rechten Schreck.
Cine Danre, die mir vis-a-vis gesessen, war aus-
gestiegen. Endlich konnte ich die Füße auf den
Sitz legen. Sie hatte es bis dahin stets verhindert.
Als der Zug abfuhr, kam sie wie wahnsinnig auf
den Perron zurückgelaufen und winkte mir zu.
Der Condukteur wunderte sich, lachte und drohte
mir mit dein Zeigefinger. Ich wußte, daß sie
ihre Geldtasche mit 85 Dollars 40 Cents hatte
liegen lassen — aber soll ich vielleicht die Noth-
leine wegen eines einzigen vergeßlichen Fraueu-
zimmer's ziehen? — Ich habe das Geld in Auf-
bewahrung genommen. Ich habe ihr mit dem
Schnupftuch zurückgewinkt. Ich bin nie unhöflich!

2{. März

Boston. wenn in C. Salomon's großem
waarenhans nicht vorgestern, 23 Minuten nach
9 Uhr — die Zeit habe ich genau in der Morgen-
Ausgabe gefunden — das elektrische Licht versagt
hätte, wäre ich heute schon verhungert. Cs ist
gut, wenn man eine Isolierscheere bei sich hat.

Als das Licht versagte, ging ich den Mittel-
gang geradeaus und kam zufällig zu der Gold-
und Iuwelenabtheilung. Ich half dem Angestellten
iin Dunkeln die ausgelegten Sachen fortpacken und
ich fürchte, die Journale haben Recht, wenn sie
sagen, es sei in der einen Viertelstunde, während
es so dunkel war, beträchtlich gestohlen worden.
Cs gibt überall Spitzbuben. Ich werde noch vier
Tage verbleiben. Die Detectivs, die C. Salomon
vom waarenhaus bezahlt, glauben sonst, ich hätte
es nötig, abzureisen. Die Leute sind immer so

23. Februar

Cs war gut, daß ich schon
etwas Geld auf der Bank hatte.
Cin arbeitsamer Mann kann hier
noch immer etwas verdienen.

Ich muß aber plötzlich ab-
reisen. Gegen halb zwei Uhr in
letzter Nacht, als ich gerade den
\5. Auerstrumpf dunkler machte,
packte mich wer beim Stiefel und
wollte mich herunterziehen. Ich
erkannte ihn ganz gut. Cs war
der Cngineer von der Gasanstalt.
Ich rief ihm zu, ich hätte Nach-
sehen wollen, warunr die La-
terne so schlecht brenne. Cr hatte
aber genug gesehen. Ich bedaure
sehr, mich mit ihm eingelassen
zu haben. Cr ist ein vollkommen
ungebildeter Mensch und gebraucht
ordinäre Ausdrücke. Cr sprach

mißtrauisch. Ich ,dJ Sehe wieder nach

Europa Ls qefällt mir gar nickt mehr in den
Staaten Ls ist eine unsichere Gegeird mit sehr
aeinisckter Gesellschaft. Ich denke meine Tage
als Rentier in Ruhe zu verleben. Ls gibt in
Deutschland genug kleine Städte, wo man mit
tooooo Mark ganz nett leben kann.

8. August

Seit ca. 8 Monaten bin ich hier. Babe mir
die kleiue Villa an der Goethestraße gemiethet.
Ich werde die Tochter des pensionierten Gerichts-
rathes von vis-ä-vis heiraten. Sie soll etwas Geld
haben. Mein amerikanischer Dialekt gefällt den
Leuten hier sehr. Sie werden mich zur Wahl in
den Geineinderath aufstellen. Cs geht mir gut.

JTn 3nes

Das stille Antlitz, das geliebte, schmale,

Wie glich es doch in seiner Maienblüthe
Den Hosen in der matten bilberschalc.

Wie glich es doch in seiner milden gleiche
Dem jungen Schwane, der vom ?luge müde,
Die Dacht verträumt im hohen Schilf der Teiche.

Dnd nun? — Dergrämt und düster wie die Klage
Des krausten herbstes, zwingst du mich zu denken
JE, deine schönen, lenzumglühten Tage;

Und ich vergehe in des Wechsels Schauer
Und grabe tief mit lähmendem Derlenken
Zn deine Lüge meine stumme Trauer.

J. J. Horschick

Wackerle

Die soziake Frage

Von Aark Swakd

Hamburg.

Iiter den Bekanntschaften, die ich hier unten
D gemacht habe, gebe ich den Borzug unbedingt
den großen Hunden, die vor die Milchwagen der
Stadt gespannt sind.

Ein Hund zieht, und hinten schiebt ein Mann
und hetzt das Thier mit lautem Ruf. Wenn der
Mann in die Häuser hinaufgeht, so bewacht der
Hund die Milch. Er sieht drohend und bissig
aus, aber er hat einen Maulkorb vor, denn beißen
darf er ja nicht.

Neberall begegne ich diesen Hunden und denke
oft darüber nach, ob sie mit ihrem Loose wohl un-
zufrieden sind, ob sie einen Fachverein
haben u. s. w. Aber was würde alles
Fragen nützen! Ein gutgekleideter Herr
erfährt von einem Milchhunde nicht
mehr als von einem anderen Arbeits-
mann.

Da komme ich eines Tages an den
Hafen.

An die fünfzig Milchwagen stehen in
dichtem Klumpen beisaunnen. Die Runde
ist geinacht, die Leute sitzen in ihren
Schenken hinter dem Glase. Die Hunde
liegen angespannt im Geschirr, jeder vor
seinem Wagen.

Ich habe nie so viele große Hunde
beisammen gesehen.

Ihre Augen sind halb geschlossen, die
Zunge hängt ihnen zmu Maule heraus,
die starken Zähne funkeln. Tie Früh-
lingssonne scheint auf sie und die blanken
Milcheimer nieder.

Da mit einem Male sind sie voll-
ständig wach, alle wie sie da sind.

Ein winzig kleiner Maclc-nncbmn-Trr'
rier ist — Gott weiß von woher —
auf den Platz gekommen. Er ist so


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