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Nr. 26

blaßles ©ciidjt, die brennenden Augen, das hestigc Zillern bewiesen
cs deutlich genug. Bald tasteten seine Hände nach der Brust, bald
nach dem Kopse, oder sic lagen steif aus den Scssellehncn; bald schloss
er die Augen, dann öffnete er sie ganz weit und bewegte sich unruhvoll,
als könne er keinen Platz siuden. Seine Unruhe wuchs immer mehr,
seine Bewegungen wurden hitziger und unbewußter. Plötzlich, wie
von einer unwiderst'chlichcn, inneren Macht cmporgcschncllt, sprang er
aus und stürzte inmitten deS Zimmers aus die Knie. Er blickte
himmelan, saliele die Hände und stöhnte mit heiserer Stimme:

„Vater unser ... der Du bist. .."

Er schüttelte sich und begann nochmals:

„Vater unser. .. der Du bist, der Du warst im Himmel. .."

Tann stockte er und sprach mit veränderter Stimme, wie bewußtlos:

„Welcher Vater? .. . In tvclchcm Himmel?..."

Ein krampfhaftes nervöses Lachen erschütterte seinen ganzen Körper;
er sprang ans und schrie lachend: „Nein, ich kann nicht beten!"

Er lief an den Tisch und zivischcn Retorten, Flaschen, Spirilus-
lampen suchte er ein kleines Fläschchen mit gläsernem Psropsen hervor.
Schnell zog er den Glaspfropscn heraus, schleuderte ihn fort, hob das
Fläschchen hoch empor, wendete sich den Skeletten zu und ries:

„Brüder! Aus Euer Wohl!" ...

Und er trank ^ *

Die goldene Frühlingssonnc stand strahlend und majestätisch am
Himmel. Die Kircheugloclen begrüßten sie. Vogelgezwitscher und
Mcnschengcbcle drangen zu ihr empor. Alle Menschen lächelten, der
Abglanz deS Himmels strahlte aus Aller Augen. „Halleluja" erklang
es aus den Kirchen. „Halleluja" sangen die Familicnchore im ersten
und zweiten Stock. „Halleluja" sangen die Armen in den feuchten
Kellerwohnungen. „Halleluja" schallte der Sopran des Mädchens in
dem Dachkämmerchcu, die vor dem zerbrochenen Spiegel ein seuchtcs
Veilchensträußcheu in den Gürtel steckte. Alle Fenster blitzten uliter den
Sonnenstrahlen, aus allen blickten fröhliche, glückliche klugen empor.
Kindcrlacheu ertönte überall. Alles war trunken von Licht und Lust;
die Kanarienvögel und die Amseln schmetterten ihren Gesang mit voller
Kehle in die Lust hinaus; Fiustcrniß, Kälte und Leid waren dem
Glanz der Wärme und der Fröhlichkeit gewichen.

Die Sonne blickte in das große Zimmer hinein: sic bestrahlte die
vielen Bücher, die Globcn und Retorten, die ungchcncrlichcn Photo-
gramme und die nummcrierlen Schädel. Sie erwärmte die kalten
Wände, vergoldete die Spinnengcwcbe und Asseln, die hier und dort
heruntcrkrochen. Zuletzt spiegelte sie sich in den Linsengläsern der
physikalischen Jnstrumenke und in — den verglasten Augäpseln des
Selbstmörders.

Er ruhte im Sessel, die zusammengekrampstcn Hände lagen ans
den Armlehnen. Kein Spott entstellte sein bleiches Antlitz: Bitterkeit
und grenzenlose Trauer hatten ihn verdrängt. Die schwärzlichen Lippen
schienen zu sagen:

„Wenn ich zum zweiten Mal leben könnte, wie anders würde
ich mein Leben gestalten."

Die Sonne huschte schnell und glcichgiltig über das starre Lcichen-
gcstcht. Was kann ihr ein einzelner lodter Mensch sein, >vo ihr Millionen
Lebender cntgegenjauchzen, die zu lieben, zu weinen und zu beten
verstehn.

So lag der einsame Selbstmörder bald wieder in Kälte und
Dunkel. Aber die F-estessreude der Stadt klang lauter und lauter,
und selbst die kältesten Herzen durchdrang der mächtige, freudige Ruf:

„Halleluja! Halleluja!"
lAulonsierke Uebecsctzung aus dem polnischen von

Henny Bock-V cum an n)

Jliebc Jugend!

Bei der vorinstruktion über Geländckenntniß fragt der Leut-
nant u. 21.:

„wodurch entstehen die Feldwege?"

„Durch die Bedürfnisse der Bauern," lautete die ebenso
schlagfertige wie treffende Antwort.

Zeitgemäß

Schriftsteller (der eine spaltenlange abfällige Kritik über sein
Werk liest): „Noch drei solche Recensionen — und ich bin
gemacht!"

Aus Gcudarmericanzcigeii
Der Lehrer INcicr hat eine Kuh für „koscher" erklärt, ohne
koscher zu sein.

Der Beschuldigte treibt sich obdach-, arbcits-, mittel- und
zwecklos in hiesiger Stadt herum.

Reinhold Max Eichler (München)
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