1904
JUGEND
Nr. 25
Isar-Athen '««■* Hagen
„Können Sie mir nich sagen, mein Jutester, wo man hier nach der Sezession kommt?"
„I woaß nöt. I bin a Hiesiger!"
von Ieno
Es gibt genug Gedanken, die man nicht
mit dem Hirn allein ausdenken kann — Herz
gehört dazu.
Erst stark sein, dann kühn. Das Andere
ist Frechheit oder Dummheit.
Es gibt nur eine Unzucht: sich in Ekel,
Scham und Gram dem Ungeliebten preiszu-
geben. Sich in allen Lüsten mit dem Ge-
liebten wälzen, ist lachendes Spiel des Lebens.
Gefühl von Grenze darf nicht heißen: hier
bist du zu Ende, sondern: hier hast du noch
zu wachsen.
Die Gencralsynodalen ließen heute auch
ihren Luther nicht mehr aufkommen.
Hölle, dein Name ist Zwecklosigkeit.
wie die kleinsten Mannskrüppel die großen
schönen Weiber lieben und sich nicht schämen,
solche sogar zu haben, so haben auch die
schwächsten Naturen die stärksten Philosophien.
Die Granzer
von Henry drban
Unter den Linden in Berlin —
Ein Herbstvormittag warm und klar —
Bei Bauer sitzt beim Glase Bier
Vergnügten Sinns ein Freundespaar.
Der eine spricht, im grauen Bart,
Mit hellem Aug' und sonngebräunt:
„Yes — mit der alten Vaterstadt
Ist's doch so'n eigenes Ding, mein Freund.
Ich uar in ganz Börlin herum,
vom Siden aus quer nach Norden,
Doch fihl' ich gar nicht mehr daheim,
Bin ein Fremdling hier geuorden."
Unter den Linden in Berlin
Der Rahle spricht und lacht dabei:
„Na ja — 's Ls weit iber dreißig Jahr,
Daß wir aus Frankreich kamen, wir Zwei.
Du jingst dann jleich nach Amerika,
Das Ilück, es hat Dir dort jelacht,
Du hast's zu einem Haufen Ield
Und sojar zu Haus und Hof jebracht.
Und doch, daß Du ein Yankee wurdst,
Wird Deine Freunde schmerzen —
Sag', Map, Ls denn fir Deutschland nu
Rein Raum mehr in Deinem Herzen?"
„Well“, meint der Map, „bei uns zu Land
Da kennt man nicht so die blasse Noch:
Der Aermste noch hat sein Sandwich dort —
Heißt's auf deitsch nicht belegtes Butterbrod?
Und der Eine ist dort dem Andern gleich —
Ich bin so viel uie der Vänderbilt!
Und niemand uird ins Zuchthaus gesperrt,
Ueil Roosevelt er 'nen Esel schilt.
N° Sir — Fm now an American!
Ich schuör' auf die Streifen und Sterne —
Doch horch' — klingt Das nicht uie Musik
von irgenduo aus der Ferne?"
Der kahle Fritz zieht seine Uhr:
„Es wird woll die Yvachtparade sein —
Erinnerst Du Dich? Zur Mittagszeit
.^ieht sie in's alte Schloß hinein.
Noch heute Lst's, wie um Siebzich einst,
Wo wir Beide, die Nischt jetrennt,
Ins alte Schloß jezogen sind
Mit dem Raiser Franz-Rejiment.
Drink' aus — wir sehen's uns mal an,
wie se um die Ecke biejen —
Trotzdem Du heute ein Aankee bist,
Macht Dir's vielleicht doch Verjnüjenv
Unter den Linden in Berlin
Steht der Graubart aus Kankeeland,
Da kommt's die Straße schon herauf
Und sprüht im Sonnenbrand:
Die Trommel rollt, die Pfeife schrillt,
Voran die Iungen-Schaar,
Die Franzer sind's, sein Regiment,
Grad' wie's um Siebzig war!
Und näher noch — ein paukenschlag,
Der Schellenbaum gen Himmel! —
Und der pariser Einzugsmarsch
Jauchzt über das Gewimmel.
Und das ist Mapens Lieblingsmarsch,
Sie spielten einst ihn vor der Schlacht,
Wo ihn des Feindes Säbelhieb
Fast um den linken Arm gebracht.
Sie spielten ihn, wie mit Hurrah
Am Hügel sie vorbeimarschirt,
wo Wilhelm droben, hoch zu Roß,
Die Sieggekrönten salutirt.
Und plötzlich — seht den Graubart doch! —
Ist er im Schwarme drinnen,
Der mir den Franzern froh stolzirt,
Und zieht im Schritt von hinnen.
Die Brust heraus, den Bauch herein,
Marfchirt der Yankee tapfer mit,
Und jubelnd braust der Einzugsmarsch,
Und klipp und klapp geht Maxens Tritt.
„Map, biste toll?" ruft Fritz ihm zu
Und zieht vergeblich ihn am Rock.
Und klipp und klapp geht Mapens Schritt
wie ein Gewehr trägt er den Stock.
Der Raiser!! — „Richt euch! Augen linkst'
Schnarrt es die Reihen nieder,
Hei, fliegt dem Rankee da das Bein —
Germania hat ihn wieder!
JUGEND
Nr. 25
Isar-Athen '««■* Hagen
„Können Sie mir nich sagen, mein Jutester, wo man hier nach der Sezession kommt?"
„I woaß nöt. I bin a Hiesiger!"
von Ieno
Es gibt genug Gedanken, die man nicht
mit dem Hirn allein ausdenken kann — Herz
gehört dazu.
Erst stark sein, dann kühn. Das Andere
ist Frechheit oder Dummheit.
Es gibt nur eine Unzucht: sich in Ekel,
Scham und Gram dem Ungeliebten preiszu-
geben. Sich in allen Lüsten mit dem Ge-
liebten wälzen, ist lachendes Spiel des Lebens.
Gefühl von Grenze darf nicht heißen: hier
bist du zu Ende, sondern: hier hast du noch
zu wachsen.
Die Gencralsynodalen ließen heute auch
ihren Luther nicht mehr aufkommen.
Hölle, dein Name ist Zwecklosigkeit.
wie die kleinsten Mannskrüppel die großen
schönen Weiber lieben und sich nicht schämen,
solche sogar zu haben, so haben auch die
schwächsten Naturen die stärksten Philosophien.
Die Granzer
von Henry drban
Unter den Linden in Berlin —
Ein Herbstvormittag warm und klar —
Bei Bauer sitzt beim Glase Bier
Vergnügten Sinns ein Freundespaar.
Der eine spricht, im grauen Bart,
Mit hellem Aug' und sonngebräunt:
„Yes — mit der alten Vaterstadt
Ist's doch so'n eigenes Ding, mein Freund.
Ich uar in ganz Börlin herum,
vom Siden aus quer nach Norden,
Doch fihl' ich gar nicht mehr daheim,
Bin ein Fremdling hier geuorden."
Unter den Linden in Berlin
Der Rahle spricht und lacht dabei:
„Na ja — 's Ls weit iber dreißig Jahr,
Daß wir aus Frankreich kamen, wir Zwei.
Du jingst dann jleich nach Amerika,
Das Ilück, es hat Dir dort jelacht,
Du hast's zu einem Haufen Ield
Und sojar zu Haus und Hof jebracht.
Und doch, daß Du ein Yankee wurdst,
Wird Deine Freunde schmerzen —
Sag', Map, Ls denn fir Deutschland nu
Rein Raum mehr in Deinem Herzen?"
„Well“, meint der Map, „bei uns zu Land
Da kennt man nicht so die blasse Noch:
Der Aermste noch hat sein Sandwich dort —
Heißt's auf deitsch nicht belegtes Butterbrod?
Und der Eine ist dort dem Andern gleich —
Ich bin so viel uie der Vänderbilt!
Und niemand uird ins Zuchthaus gesperrt,
Ueil Roosevelt er 'nen Esel schilt.
N° Sir — Fm now an American!
Ich schuör' auf die Streifen und Sterne —
Doch horch' — klingt Das nicht uie Musik
von irgenduo aus der Ferne?"
Der kahle Fritz zieht seine Uhr:
„Es wird woll die Yvachtparade sein —
Erinnerst Du Dich? Zur Mittagszeit
.^ieht sie in's alte Schloß hinein.
Noch heute Lst's, wie um Siebzich einst,
Wo wir Beide, die Nischt jetrennt,
Ins alte Schloß jezogen sind
Mit dem Raiser Franz-Rejiment.
Drink' aus — wir sehen's uns mal an,
wie se um die Ecke biejen —
Trotzdem Du heute ein Aankee bist,
Macht Dir's vielleicht doch Verjnüjenv
Unter den Linden in Berlin
Steht der Graubart aus Kankeeland,
Da kommt's die Straße schon herauf
Und sprüht im Sonnenbrand:
Die Trommel rollt, die Pfeife schrillt,
Voran die Iungen-Schaar,
Die Franzer sind's, sein Regiment,
Grad' wie's um Siebzig war!
Und näher noch — ein paukenschlag,
Der Schellenbaum gen Himmel! —
Und der pariser Einzugsmarsch
Jauchzt über das Gewimmel.
Und das ist Mapens Lieblingsmarsch,
Sie spielten einst ihn vor der Schlacht,
Wo ihn des Feindes Säbelhieb
Fast um den linken Arm gebracht.
Sie spielten ihn, wie mit Hurrah
Am Hügel sie vorbeimarschirt,
wo Wilhelm droben, hoch zu Roß,
Die Sieggekrönten salutirt.
Und plötzlich — seht den Graubart doch! —
Ist er im Schwarme drinnen,
Der mir den Franzern froh stolzirt,
Und zieht im Schritt von hinnen.
Die Brust heraus, den Bauch herein,
Marfchirt der Yankee tapfer mit,
Und jubelnd braust der Einzugsmarsch,
Und klipp und klapp geht Maxens Tritt.
„Map, biste toll?" ruft Fritz ihm zu
Und zieht vergeblich ihn am Rock.
Und klipp und klapp geht Mapens Schritt
wie ein Gewehr trägt er den Stock.
Der Raiser!! — „Richt euch! Augen linkst'
Schnarrt es die Reihen nieder,
Hei, fliegt dem Rankee da das Bein —
Germania hat ihn wieder!